Sacra.Wiki Stift Klosterneuburg

Stift Klosterneuburg

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Geschichtlicher Überblick

Die Gründung des weltlichen Kollegiatstiftes

Um das Jahr 50 n. Chr. errichteten die Römer an der Stelle des heutigen Stiftes ein Kastell, das an diesem strategisch wichtigen Punkt den Übergang über die Donau sichern sollte. Es war der westlichste militärische Stützpunkt in der Provinz Oberpannonien, doch leider konnte bis heute sein Name nicht eindeutig geklärt werden. Ursprünglich waren die Gebäude aus Holz. Wie in anderen Grenzkastellen wurden die hölzernen Bau- ten am Anfang des 2. Jahrhunderts durch Steinbauten ersetzt. Während des 5. Jahrhunderts wurde das Kastell wie die ganze Provinz von den römischen Truppen geräumt. Erst im 11. Jahrhundert setzte wieder eine kontinuierliche Besiedlung ein, die "Neuburg" genannt wurde, im Gegensatz zur "Alten Burg", den Ruinen des Römerkastells (Burg und Stadt sind in dieser Zeit als Synonyme anzusehen). Etwa 2 km donauaufwärts bestand schon seit dem frühen 9. Jahrhundert eine Ufersiedlung um die Kirche St. Martin. In der Mark Österreich hatte seit 976 das Geschlecht der "Babenberger" das Amt der Markgrafen inne. Ihre Aufgabe war, die Grenze nach dem Sieg über die Magyaren (955) nicht nur zu sichern, sondern auch weiter nach Osten vorzuschieben. Dementsprechend verlegten die Markgrafen ihren Sitz von Pöchlarn, dem ursprünglichen Herrschaftszentrum, weiter nach Melk, dann Gars am Kamp (gegen die Slawen), Tulln, und schließlich ließ sich Markgraf Leopold III. in Neuburg nieder. Leopold III. war durch die Heirat mit Agnes, der Tochter Kaiser Heinrichs IV. und Schwester Heinrichs V., in die Reihe der vornehmsten Reichsfürsten aufgestiegen. Da Agnes in erster Ehe mit Herzog Friedrich von Schwaben, dem ersten Staufer, verheiratet gewesen war, kam noch die Versippung mit diesem zukunftsträchtigen Geschlecht hinzu. Agnes brachte aber nicht nur hohes Ansehen, sondern auch reiche materielle Mittel mit in die Mark, so dass ihr Gatte in der Lage war, seine neu gewonnene Stellung sichtbar zu dokumentieren. Dazu sollte nicht nur ein neues, prächtiges Wohngebäude, sondern auch ein Stift für weltliche Kanoniker dienen.

Über die Gründung dieses Stiftes berichtet eine bekannte Legende. Demnach habe Leopold an der Stelle, an der er auf der Jagd den verlorenen Schleier seiner Gattin nach neun Jahren wiedergefunden habe, das Stift Neuburg errichtet. Das entspricht nicht der historischen Wirklichkeit, wenngleich die Legende für den mittelalterlichen Menschen schon einen Aussagewert hatte, der hier nicht zur Diskussion steht. Jedenfalls fand Leopold hier schon mindestens zwei Kirchen im Bereich des ehemaligen römischen Kastells vor: die bereits 1108 urkundlich überlieferte Marienkirche und die St.Afra-Kapelle, dazu noch die ziemlich bescheidene Burg des Stadtherrn (als solcher ist ein Graf Walther von Chling bezeugt). Ander Stelle dieses "festen Hauses" baute nun Leopold, als er seinen Sitz in Neuburg aufschlug, ein prächtiges Gebäude, dass in Größe und Anlage dem Palas der Wartburg, der Burg von Meißen und anderer fürstlicher Residenzen entsprach. Heute ist in dem mehrfach umgebauten Trakt das Stiftsarchiv untergebracht.

Um das Jahr 1113 zog Leopold III. nach Neuburg, und ein Jahr später gründete er das zur Residenz gehörige Kollegiatstift Am 12. Juni 1114 wurde der Grundstein zur neuen Stiftskirche gelegt, die die größte Kirche des Landes werden sollte. Auch die Gründung des weltlichen Kollegiatstiftes war ein Prestigeprojekt Ein geistliches Kollegium gehörte zur Hofhaltung eines mächtigen Fürsten. Übrigens existierte auch in Lorch an der Rems, wo Leopolds Gattin als Herzogin von Schwaben residiert hatte, ein Kollegiatstift für zwölf Kanoniker und einen Propst. Es entsprach also den Gepflogenheiten der Zeit, ein solches Stift zu errichten, und auch in Neuburg lebten ein Propst und zwölf Kanoniker. Nach dem Tode des ersten Propstes Otto um das Jahr 1126 – er war zugleich Pfarrer von Falkenstein – setzte der Markgraf seinen begabtesten Sohn Otto zum Nachfolger ein und sandte ihn mit großem adeligen Gefolge (vermutlich jenen 15 Jünglingen, die später mit ihm ins Kloster Marimond eintraten) zum Studium der Theologie nach Paris. Das war für den Propst eines Kollegiatstiftes damals ein ungewöhnlicher Aufwand und lässt vermuten, dass der Markgraf seinen Sohn zum Bischofsamt ausersehen hatte und Neuburg zum Bischofssitz machen wollte. Darauf deutet auch die reiche Besitzausstattung des Stiftes hin und die Monumentalität der Stiftskirche, die durchaus das Format einer Bischofskathedrale hat.

Auf Grund des Eigenkirchenrechts hätte Markgraf Leopold wohl die Möglichkeit gehabt, ein solches Landesbistum an seinem Regierungssitz zu errichten, und für das kirchliche Leben im Lande wäre es auch sehr förderlich gewesen, denn der Diözesanbischof (Passau) und der Metropolit (Salzburg) saßen weit in der Ferne. Aber diese Bischöfe sahen die kirchenpolitischen Pläne des Markgrafen mit tiefem Misstrauen. Als daher der junge, in Frankreich studierende Prinz Otto 1132 überraschend samt seinen 15 Gefährten in das strenge Zisterzienserkloster Marimond eintrat und damit die Pläne seines Vaters durchkreuzte, sahen die Bischöfe ihre Stunde gekommen. Erzbischof Konrad von Salzburg, Bischof Reginmar von Passau und Bischof Roman von Gurk hielten gemeinsam mit anderen Klerikern in Neuburg eine kleine Synode. Und es gelang ihnen – sicherlich mit massiver Unterstützung des nunmehrigen Zisterziensermönches Otto – den Markgrafen zur Aufgabe seiner kirchenpolitischen Pläne zu bewegen. Leopold entließ die weltlichen Kanoniker samt ihrem Propst Opold, der schon während der Abwesenheit des jungen Otto als dessen Vikar fungiert hatte, und stattete sie mit anderen Pfründen aus. Neuburg sollte ein Kloster von Augustiner-Chorherren werden. Damit verzichtete er auf seine Eigenkirchenrechte, denn die Regularkanoniker unterstanden grundsätzlich immer dem Diözesanbischof. In der Lebensbeschreibung Leopolds, dem "Chronicon pii marchionis", heißt es, dass der Markgraf die weltlichen Kanoniker entlassen habe, weil sie ihm den Gottesdienst unachtsam und allzu nachlässig zu versehen schienen. Das ist kaum wörtlich zu verstehen, sondern ist ein Topos oder Gemeinplatz, wie man ihn häufig in mittelalterlichen Texten zur Begründung einer Regeländerung oder Reform lesen kann. Übrigens hat Otto seinen Vater im selben Jahr dazu veranlasst, in Heiligenkreuz auch ein Kloster seines eigenen, des Zisterzienserordens, zu gründen.

Eine zweite Ursache dürfte auch eine gewisse Rolle spielen. Wir wissen, dass die in Augsburg ansässigen Grafen von Cham und Vohburg, deren letzter Spross Bischof Hermann von Augsburg (1096–1133) war, gewisse Rechte in Neuburg besaßen. Darauf deutet die schon länger bestehende Afrakapelle hin (die heilige Afra war Patronin von Augsburg). Als Bischof Hermann 1108 im Gefolge Heinrichs V. durch Neuburg zog, fand er hier ihm untertänige Zinsleute vor, die er der hiesigen Marienkirche übereignete. Bischof Hermann, der lange von den Anhängern der Kirchenreform bekämpft worden war, starb am 11. März 1133. Das könnte dazu beigetragen haben, dass in Neuburg der Weg für die Reform frei wurde.

Der Einzug der Augustiner-Chorherren

Die Einführung der Regularkanoniker entsprach dem Reformprogramm des Salzburger Erzbischofs Konrad. Die Augustiner-Chorherren sollten geistliche Stützpunkte im Land aufbauen, um die Seelsorge im Geist der Kirchenreform zu betreiben und zugleich Bollwerke der rechtmäßigen Kirche zu bilden. Angesichts der im Hochmittelalter häufigen Spaltungen war das ein wichtiger Aspekt. Die Bischöfe schlugen dem Markgrafen auch gleich den Mann vor, der das reformierte Kloster leiten sollte: Hartmann, den bisherigen Propst von Chiemsee. Dieser war ein hervorragender Exponent des Salzburger Reformkreises und hatte schon Erfahrung im Reformieren von Konventen. Er hatte 1122 im Salzburger Domkapitel als Dekan die Augustinusregel eingeführt und leitete seit 1129 das Chorherrenstift Chiemsee. Er zog mit einer ausgewählten Mannschaft in Neuburg ein, die aus verschiedenen Konventen stammte. Man nennt St. Nikola, Chiemsee, Rottenbuch und das Salzburger Domkapitel. Als eigentliches Mutterkloster betrachtete man in Neuburg immer das Stift St. Nikola bei Passau, das 1067 von Bischof Altmann von Passau gegründet worden war. Es war, wie gesagt, eine ausgesuchte Mannschaft, unter der sich bedeutende Persönlichkeiten befanden. Zwei Brüder des berühmten Propstes Gerhoch von Reichersberg waren dabei, Marquard und Rudiger, beide versierte, in Paris geschulte Theologen, und beide wurden später nacheinander Propst. Mit dem Einzug der Regularkanoniker wurde Neuburg schlagartig zu einem theologischen Zentrum von hohem Niveau, wovon mehrere literarische Arbeiten der Konventualen zeugen. Außerdem war das Stift tatsächlich durch Jahrhunderte ein unerschütterlicher Stützpunkt streng kirchlichen Geistes und in allen Spaltungen ein treuer Parteigänger des römischen Papstes. Markgraf Leopold, der offenbar noch immer kirchenpolitische Ambitionen hatte, trug Hartmann seine Eigenpfarren zur Inkorporation an. Das war an sich im Sinne der Kirchenreform, denn die Kanoniker sollten ja in der Pfarrseelsorge tätig sein und dem Eigenkirchenwesen entgegenwirken. Mit den 13 landesfürstlichen Pfarren hatte es aber eine eigene Bewandtnis, denn sie scheinen auf kirchenrechtlich nicht ganz einwandfreie Weise in den Besitz des Markgrafen bzw. dessen Vaters Leopold II. gekommen zu sein. Daher verweigerte Propst Hartmann die Annahme dieser Pfarren und übernahm nur die Pfarre Klosterneuburg für sein Stift. Im Greifensteiner Zehentvertrag vom September 1135 übertrug Markgraf Leopold dem Bischof von Passau den Zehent der übrigen zwölf Pfarren, und für Klosterneuburg entschädigte er ihn durch anderweitigen Besitz. Das "Chronicon pii marchionis" berichtet, daßss Propst Hartmann dem Kloster eigene Statuten gegeben habe, die mit folgenden Worten beginnen: Sub testimonio Christi et ecclesiae. Diese Statuten sind leider nicht erhalten, was darauf schließen lässt, dass sie nicht allzu lange gültig waren. Später galten in Klosterneuburg wie in fast allen süddeutschen Chorherrenstiften die Statuten des Stiftes Marbach im Elsass. Durch eine Bulle vom 30. März 1134 verlieh Innozenz II. dem Stift den päpstlichen Schutz.

Am 29. September 1136 wurde die Stiftskirche geweiht, nachdem ihr Innenraum fertiggestellt worden war (das gewaltig geplante Westwerk konnte nur zum Teil ausgeführt werden). Dieselben Bischöfe, die drei Jahre zuvor die Reform des Stiftes durchgesetzt hatten, nahmen nun die feierliche Weihe vor: Konrad von Salzburg, Reginmar von Passau und Roman von Gurk. Markgraf Leopold konnte sich nicht lange an dem prächtigen Kirchenraum freuen, denn er starb schon wenige Wochen später am 15. November 1136. Er wurde im Kapitelsaal in einer Gruft beigesetzt, und die Grabstätte des "milden Markgrafen", wie er schon zu Lebzeiten genannt wurde, erfreute sich bald eines regen Zustroms von Wallfahrern, die ihn als Heiligen verehrten. Bis zur offiziellen Heiligsprechung sollten aber noch Jahrhunderte vergehen.

Mit dem Tod Leopolds III. erlosch Klosterneuburgs Funktion als Herrschersitz. Die Witwe Agnes wohnte zwar weiterhin hier bis zu ihrem Tod am 24. September 1143 und wurde an der Seite ihres Gatten bestattet. Aber Leopolds Söhne schlugen ihre Residenzen anderswo auf: Leopold IV. zog als Herzog von Bayern nach Regensburg, und Heinrich II, der erste Herzog von Österreich, machte Wien zur Hauptstadt des Landes, was sein Vater schon vorbereitet hatte.

Das Kloster hatte nun seinen mächtigen Beschützer verloren, was zu gewissen Sorgen Anlass gab. Papst Innozenz II., der schon am 8. Januar 1137 der Witwe Agnes in einem ausführlichen Schreiben Trost über den Tod ihres Gatten gespendet hatte, schrieb neuerlich am 11. April desselben Jahres an die Markgräfin und empfahl das Stift Neuburg und dessen Propst Hartmann ihrer besonderen Fürsorge. Am 30. November 1137 nahm er das Stift in einer feierlichen Urkunde neuerlich unter päpstlichen Schutz. Auch Bischof Reginmar von Passau erneuerte im selben Jahr alle Privilegien des Stiftes. Man scheint also wirklich mit dem Tod des Stifters Befürchtungen für die Zukunft verbunden zu haben und wollte sich absichern. Die Persönlichkeit des angesehenen Propstes Hartmann bot überdies eine gewisse Sicherheit. Als aber Hartmann Ende 1140 zum Bischof von Brixen ernannt wurde, sorgte sich das Stift neuerlich um seine Zukunft und um das Recht der freien Propstwahl. Deshalb wurde Anfang 1141 eine Stiftungsurkunde Leopolds III. hergestellt, die zwar inhaltlich zweifellos richtig, formal aber eine Fälschung war. Hier werden die Rechte des Stiftes und des nach der Regel des heiligen Augustinus lebenden Konvents besonders hervorgehoben. Ob diese Urkunde die Ursache war oder ob sich der schon gefestigte Konvent aus eigenen Kräften behaupten konnte, ist nicht wesentlich. Er nahm auf jeden Fall eine sehr positive Entwicklung. Wie gefestigt der ursprünglich zusammengewürfelte Neuburger Konventbereits war, geht schon daraus hervor, dass Bischof Hartmann das von ihm 1142 in der Nähe seiner Bischofsstadt Brixen gegründete Kloster Neustift mit Chorherren aus Klosterneuburg besetzen konnte. Hartmann starb am 23. Dezember 1164 in Brixen im Ruf der Heiligkeit. Da er in Brixen begraben wurde, hat sich in Klosterneuburg kein Kult für ihn entwickelt. Hier wurde einzig der Stifter Leopold III. als Heiliger verehrt.

Das Stift im Mittelalter

Wie fast alle Regularkanonikerstifte im Hochmittelalter war auch Neuburg ein Doppelkloster. So errichtete Propst Hartmann neben dem Herrenstift ein Kloster für Augustiner-Chorfrauen, dessen Kirche der heiligen Maria Magdalena geweiht war. Das Stiftungsgut soll aus dem Vermögen der Markgräfin Agnes gestammt haben. Darauf deutet hin, dass im Frauenstift ihr Todestag, der 24. September, jedes Jahr feierlich begangen wurde. Die Chorfrauen lebten in strenger Klausur, verrichteten das Chorgebet und beschäftigten sich mit Handarbeiten, insbesondere mit der Herstellung und Instandsetzung liturgischer Gewänder und kirchlicher Textilien. Sie unterstanden einer gewählten Meisterin, für ihre geistliche Betreuung war ein Chorherr als "custos dominarum" zuständig. Die wirtschaftliche Verwaltung besorgte das Herrenstift. Nach dem Fortgang des ersten Regularpropstes Hartmann ins Bistum Brixen 1140/41 trafen die Befürchtungen der Kanoniker nicht ein. Der Konvent durfte den neuen Propst frei wählen, und aus dieser ersten Wahl ging der bisherige Stiftsdekan Marquard hervor, ein Bruder des berühmten Kirchenreformers Propst Gerhoch von Reichersberg. Propst Marquard, der in Paris studiert hatte, führte das Stift durch eine sehr glückliche Periode. Er begann wahrscheinlich mit der Anlage des Traditionsbuches, in dem alle (auch die früheren) Schenkungen an das Stift verzeichnet wurden. Marquard konnte den Besitz des Klosters beträchtlich erweitern, von König Konrad III. die Befreiung von der Abgabe des "Marchfutters" erreichen und von päpstlichen Legaten Urkunden über weitreichende Privilegien entgegennehmen. Das bedeutendste darunter ist die Verleihung des Hirtenstabes (die undatierte Urkunde des Kardinallegaten Petrus ist zwischen 1147 und 1152 ausgestellt), eine ungewöhnlich frühe Auszeichnung für einen Kloster-vorsteher. Sie galt allerdings nur für ihn persönlich. Eine zweite Urkunde desselben Legaten räumte aber den Chorherren für die Zukunft das Recht ein, jede ihnen angebotene Kirche zur Verwaltung anzunehmen, und davon machte das Stift reichlichen Gebrauch.

Für das Jahr 1158 ist ein Brand im Stift chronikalisch überliefert, doch erfahren wir nicht, welchen Schaden er anrichtete. Da weiter nichts darüber berichtet wird, kann man annehmen, dass die Schäden bald behoben waren. Ein wichtiger Erfolg des Propstes war, dass ihm 1162 Herzog Heinrich II. das Recht erteilte, die Untervögte des Stiftes abzusetzen. Damit war der entscheidende Schritt zur Entvogtung getan, denn vom Hauptvogt, dem Landesfürsten, hatte das Stift kaum willkürliche Eingriffe zu erwarten. Propst Marquard war sehr viel in kirchlichem Auftrag unterwegs, meist im Gefolge des Salzburger Erzbischofs.

Für das geistige Niveau des Stiftes war es von großer Bedeutung, dass Marquard drei seiner jüngeren Brüder zum Eintritt in Klosterneuburg bewegen konnte. Der erste, Friedrich, starb bald nach seiner Ankunft. Rudiger und Heimo aber waren beide glühende Anhänger ihres ältesten Bruders, des Propstes Gerhoch von Reichersberg, der nicht nur als Reformator des Klerus unermüdlich hervortrat, sondern auch ein fleißiger theologischer Schriftsteller war. Er vertrat eine traditionelle, an Bibel und Kirchenvätern orientierte Theologie und war ein Feind der aufkommenden Scholastik, an der er die allzu theoretische und abstrakte Methode ablehnte. Die Klosterneuburger Brüder standen ihm dabei wacker zur Seite und wurden in eine heftige Kontroverse mit Magister Petrus von Wien verwickelt, einem der prominentesten Vorkämpfer der neuen Theologie. Der Streit ging unentschieden aus: War Magister Petrus ein scharfer Logiker und beherrschte die dialektische Methode, so war ihm Rudiger in der historisch-kritischen Methode überlegen (wenn man diesen modernen Ausdruck gebrauchen darf) und trat an seine Quellen mit wissenschaftlich-kritischem Geist heran.

Es scheint nun, dass Rudiger seiner theologischen Weltsicht ein sichtbares künstlerisches Denkmal setzen wollte und einen thematischen Entwurf für ein gewaltiges Kunstwerk erarbeitete. Dies dürfte allerdings erst geschehen sein, nachdem er 1167 die Nachfolge seines verstorbenen Bruders Marquard als Propst angetreten hatte. Es wurde überzeugend nachgewiesen, dass einige Werke Rudigers große Ähnlichkeit mit den Inschriften des Klosterneuburger Ambos auf weisen, des später sogenannten "Verduner Altars". Sein früher Tod im Jahre 1168 hinderte den Propst daran, das Vorhaben in die Tat umzusetzen. Erst sein Nachfolger Wernher konnte das Werk bei dem berühmten Goldschmied Meister Nikolaus von Verdun in Auftrag geben und damit eine der großartigsten Leistungen der mittelalterlichen Kunst anregen. Er nahm allerdings eine Änderung im Programm vor, indem er sechs Szenen aus der Eschatologie, der Lehre von den Letzten Dingen, einfügen ließ. Dies war damals durch die Schriften Ottos von Freising sehr aktuell. Im Jahre 1181 war das Werk des Meisters Nikolaus vollendet. Es wird an anderer Stelle ausführlich gewürdigt.

Im Schisma von 1159 bis 1180 stand das Kapitel von Neuburg treu zum römischen Papst. Da der zuständige Bischof von Passau ein Anhänger des Gegenpapstes war, ließen sich die Chorherren nicht von ihm die Weihen erteilen. Deshalb zogen im März 1167 ungefähr 30 Kleriker des Stiftes nach Friesach, wohin der von den Anhängern des Gegenpapstes vertriebene Erzbischof Konrad II. von Salzburg, ein Sohn des Markgrafen Leopold, geflüchtet war, und ließen sich von ihm die Priesterweihe erteilen. Propst Wernher wurde 1194 Bischof von Gurk.

In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts setzt in Klosterneuburg die Annalenschreibung ein. Ihre Zusammenhänge mit der übrigen Österreichischen Annalistik sind bis heute nicht restlos geklärt. Die bedeutendste Leistung auf diesem Gebiet ist das "Chronicon pii marchionis", die Lebensbeschreibung des Markgrafen Leopold. Ihr Verfasser war einer jener Chorherren, die in Friesach zum Priester geweiht wurden.

Eine Besonderheit der Augustiner-Chorherren war ihre Liturgie, die sie sehr feierlich und zugleich volksverbunden gestalteten. Sie pflegten das geistliche Schauspiel in der Kirche ebenso wie den Volksgesang. Das Klosterneuburger Osterspiel, um 1200 niedergeschrieben, ist eines der berühmtesten Beispiele dafür. Hier finden wir auch schon ein deutsches Kirchenlied, "Christ ist erstanden", schriftlich überliefert.

Das hohe geistige und wirtschaftliche Niveau, das in Neuburg im Jahrhundert der Gründung geherrscht hatte, ließ sich mit dem beginnenden 13. Jahrhundert nicht mehr ganz halten. Nun legten die Pröpste größeres Gewicht auf die Ausbildung eines Pfarrverbandes. Durch Schenkungen oder Tausch kamen mehrere Kirchen an das Stift. In dieser Zeit begann die Verehrung des Klosterstifters Leopold III., die schon bald nach seinem Tode eingesetzt hatte, zu einem regelrechten Wallfahrtsbetrieb zu werden.

Das Österreichische Interregnum nach dem Aussterben des Herzogshauses der Babenberger (1246) brachte für das ganze Land schwierige Zeiten, und so auch für das Stift Klosterneuburg. Propst Konrad Coltstein (1226–1257) gelang trotzdem die wirtschaftliche Konsolidierung des Stiftes, aber das geistige und geistliche Leben trat eher in den Hintergrund. Hier schuf erst Propst Nikolaus I. (1257–1279) einen Wandel. Er gründete 1261 das Chorfrauenstift St. Jakob (das zweite in Klosterneuburg), ließ das erste Urbar des Stiftes anlegen und erreichte die kirchliche und weltliche Anerkennung verschiedener Besitztitel des Stiftes. Papst Alexander IV. gestattete ihm 1260 den Gebrauch der Pontifikalien.

Gegen Ende des Jahrhunderts verschlechterte sich infolge der Verarmung des Volkes auch die wirtschaftliche Lage des Stiftes. Dass auch die Klosterdisziplin zurück ging, lässt ein Statut aus dem Jahre 1289 vermuten, welches das Würfelspiel unter den Chorherren verbot. Eine vom Passauer Bischof gesandte Visitationskommission setzte 1301 den Propst Hadmar aus dem Geschlecht der Esel von Gaaden ab. Gleichzeitig wurden dem Stift Statuten verordnet, die die Kompetenz des Propstes und des Konvents in wirtschaftlichen Fragen wesentlich einschränkten. Aber der abgesetzte Propst nützte die Abwesenheit Herzog Rudolfs III. aus, um mit Hilfe seiner leiblichen Brüder das Stift mit Waffengewalt zu erobern, was jedoch durch das energische Eingreifen der Herzogin Blanche verhindert werden konnte.

Dem 1306 gewählten Propst Berthold gelang es, das Stift aus seiner Krise herauszuführen und wirtschaftlich und spirituell zu konsolidieren. Zeuge dafür ist der Passauer Bischof Wernhard von Prambach, der nicht nur die einengenden Visitationsstatuten von 1301 wieder aufhob, sondern auch in einem Schreiben an Papst Clemens V. im Jahre 1312 das Stift Klosterneuburg unter allen Klöstern des Ordens des hl. Augustinus in meiner Diözese das beste in der Ordensdisziplin und in jeder Hinsicht das würdigste nennt, und außerdem die große Gastfreundschaft, die ausgedehnte Seelsorge und die Feierlichkeit der Liturgie hervorhebt.

Propst Bertholds Nachfolger Stephan von Sierndorf (1317-1335) hatte zunächst einen schweren Konflikt mit dem Stiftskapitel zu bestehen – einige seiner Widersacher wählten 1323 sogar einen Gegenpropst –, wurde aber sowohl vom Papst wie vom Landesfürsten rehabilitiert.

Am 13. September 1330 brach in der Stadt Klosterneuburg eine große Feuersbrunst aus, die auf das Stift übergriff und es zu einem guten Teil zerstörte. Der Wiederaufbau, den der Propst zügig vorantrieb, gab Stephan von Sierndorf Anlass zu künstlerischen Aufträgen großen Stils, so dass man ihn gelegentlich einen "zweiten Gründer" nannte. Das Mäzenatentum Stephans, der sich selbst sehr gerne abbilden ließ, wird in einem anderen Abschnitt gewürdigt.

Die günstige wirtschaftliche und spirituelle Situation des Stiftes dauerte während des 14. Jahrhunderts weiter an. Dies wurde von höchster Stelle anerkannt, denn Papst Innozenz VI. verlieh die Pontifikalien, die bisher nur einzelnen Pröpsten gewährt worden waren, am 18. Januar 1359 dem Propst Ortolf von Walkersdorf und allen seinen Nachfolgern. Dieses Privileg war damals noch selten. 1382 kam dann noch der Gebrauch der Sandalien dazu, so dass die Pröpste sich seither aller bischöflichen Insignien bedienen dürfen.

Auch das wissenschaftliche Leben blühte im Stifte, und der Kult des Markgrafen Leopold wurde immer populärer. Bereits 1326 wurde in Avignon von 13 Bischöfen eine prächtige Urkunde ausgestellt, die den Wallfahrern zum Grab des Markgrafen an bestimmten Tagen einen Ablass gewährte. Herzog Rudolf IV. wandte sich 1358 an den Papst mit der Bitte, den Heiligsprechungsprozess für den Klostergründer einzuleiten. Papst Innozenz VI. setzte tatsächlich eine Kommission zur Untersuchung ein, doch verlief die Angelegenheit wegen der unruhigen Zeitläufte im Sande. Erst 1466 sollte der Heiligsprechungsprozess wieder aufgenommen werden. Im Stift legte man schon 1323 ein Verzeichnis der Gebetserhörungen am Grab des Markgrafen an und suchte auch die historischen Nachrichten über sein Leben gesammelt festzuhalten. Eine Handschrift aus dem Jahre 1371, geschrieben im Auftrag des Propstes Koloman von Laa (1371–1394), enthält das Ergebnis dieser Sammlung.

Der Anfang des 15. Jahrhunderts war durch verschiedene Ordensreformen gekennzeichnet. Bei den Benediktinern ging die Reform vom Stift Melk aus. Für die Augustiner-Chorherren gab das Stift Raudnitz in Böhmen (gegründet 1333) den Anstoß zu einer Rückbesinnung auf die ursprünglichen Ordensideale. Das Konzil von Konstanz (1414-1418), zu dessen Programm die innere Reform der Kirche gehörte, machte sich die Ideen beider Richtungen zu eigen. Im Sinne des Konzils verordnete Herzog Albrecht V. eine Visitation aller Österreichischen Klöster. 1418 kamen die Visitatoren ins Stift Klosterneuburg und veranlasstenden Propst Albert Steckh, der erst kürzlich auf dem Konzil die Bestätigung aller Rechte des Stiftes erlangt hatte, zum Rücktritt. Sie führten neue, strenge Statuten im Sinne der Raudnitzer Reform ein und ernannten mit Zustimmung des Stiftskapitels den bisherigen Stiftsdechant Georg Müestinger zum neuen Propst. Damit begann neuerlich eine Blütezeit des Stiftes, denn unter Propst Georg wurde nicht nur die Klosterzucht entscheidend gebessert, sondern dem Stift gelangen auch gewaltige kulturelle Leistungen.

Die Stiftsbibliothek, von der an anderer Stelle ausführlich berichtet wird, erfuhr eine zielbewusste Erweiterung. Der Chorherr Johannes von Perchtoldsdorf erhielt beträchtliche Mittel, um in Padua Handschriften kanonistischen Inhalts zu kaufen oder kopieren zu lassen. Ebenso erwarb der Chorherr Koloman Knapp, der als Vertreter der Chorherrenstifte am Konzil von Basel teilnahm, dort Handschriften im Auftrag des Propstes. Aber auch in Klosterneuburg selbst wurden große Summen in die Bibliothek investiert. Die Künstler der Wiener Herzogswerkstatt, deren Namen wir nur aus den Klosterneuburger Rechnungsbüchern kennen, illuminierten hier in den Jahren 1420 bis 1428 zahlreiche kostbare Handschriften. Propst Georg Müestinger, der große Förderer von Wissenschaft und Kunst, war auch selbst als Forscher tätig. Als Schüler des berühmten Astronomen Johannes Schindel von Gmunden befasste er sich mit astronomischen und kartographischen Arbeiten und richtete sogar im Stift eine Werkstätte für diese Wissenschaften ein. Hier arbeitete Bruder Friedrich Amann aus der Benediktinerabtei St. Emmeram in Regensburg. Er stellte im Auftrag des Propstes in den Jahren 1421 bis 1423 die damals beste Landkarte von Europa her. Sie wird nach ihm "Fridericus-Karte" genannt, doch geht die Anregung zweifellos auf Propst Georg zurück. Der Nullmeridian (richtiger: Azimutstrahl) dieser Karte geht durch Klosterneuburg. Auch Petronell, der Geburtsort des Propstes, ist neben den großen Städten darauf eingezeichnet. Verschiedene Angaben auf dieser Karte lassen darauf schließen, dass sie durch Messungen an einem Globus gewonnen sein müssen. Sollte dies zutreffen, dann würde es bedeuten, dass in Klosterneuburg die ersten Globen der Welt konstruiert wurden.

Um die Mitte des Jahrhunderts, also erstaunlich früh für unsere Gegend, fand auch der Humanismus ins Stift Klosterneuburg Eingang. Die Chorherren Wolfgang Winthager und Johannes Swarcz, die beide an der Wiener Universität lehrten, traten schon 1452 für das Studium der antiken Klassiker und die Errichtung eigener Lehrkanzeln für die humanistischen Studien ein. Unter anderem verfasste Winthager einen Kommentar zu den Lustspielen des Terenz.

Das 1261 von Propst Nikolaus I. gegründete Chorfrauenstift St. Jakob in der Unteren Stadt hatte sich niemals richtig entfalten können und stand seit dem Jahre 1432 leer. Als nun der wortgewaltige Prediger gegen die Türkengefahr, der Franziskaner Johannes von Capestrano (auch Capistran genannt), in Klosterneuburg predigte, schenkte ihm Propst Simon Heindl 1451 das leere Kloster. Johannes, der später heiliggesprochen wurde, siedelte hier einen Konvent seines strengen Ordenszweiges der Franziskaner-Observanten an, der fortan erfolgreich in Klosterneuburg wirkte. Da den Observanten Ankauf und Verwaltung von Gütern untersagt war, sorgte eine Gemeinschaft von Bürgern, die "weltliche Bruderschaft von St. Jakob", für Unterhalt und Ausstattung des Klosters.

Nach einer Pause von über 100 Jahren lebte der Heiligsprechungsprozess für Markgraf Leopold III. wieder auf. Den Anstoß dazu gab der Landtag des Jahres 1465, als die in Korneuburg versammelten Stände ein diesbezügliches Ansuchen an den Papst richteten. Obwohl damals wirre Zustände in der Österreichischen Politik herrschten und die Stände mit dem Landesfürsten Kaiser Friedrich III. in dauerndem Konflikt lebten, bestand in dieser Frage Einigkeit und der sonst so unentschlossene Friedrich setzte sich an der Kurie für die Kanonisation seines Vorgängers ein. Dies gereichte allerdings der Sache fast zum Schaden, denn dadurch kam in Rom der Verdacht auf, es handle sich nur um ein politisches Manöver. Erst als sich das Stift Klosterneuburg selbst mit Gesandtschaften und beträchtlichen Geldmitten einschaltete, machte der Prozess echte Fortschritte. Die vom Papst eingesetzte Untersuchungskommission stellte im Winter 1468/69 eingehende Nachforschungen an, weitere Zeugeneinvernahmen folgten im Mai 1469 und im Februar 1470.

Der 1471 neu gewählte Papst Sixtus IV. verwarf den ganzen Prozess wegen formaler Mängel und ordnete neue Untersuchungen an, die in Klosterneuburg 1472/73 stattfanden. Die lange Dauer des Prozesses verschlang große Geldsummen, so dass das Verfahren schließlich aus materiellen Gründen zu scheitern drohte. Dazu kam noch eine neuerliche Verzögerung durch den Tod des Papstes 1484. Inzwischen sorgte der Krieg zwischen Kaiser Friedrich III. und König Matthias Corvinus von Ungarn für weitere Schwierigkeiten. Die ungarischen Truppen hatten am 9. April 1483 Klosterneuburg erobert und damit einen großen Teil Niederösterreichs unter ihre Kontrolle gebracht. Für den Heiligsprechungsprozess war das allerdings kein Nachteil, denn König Matthias schenkte dem Stift zur Deckung der Prozesskosten die große Summe von 2.200 Goldgulden. Vermutlich wollte er sich damit die Gunst des Volkes erkaufen, denn die Heiligsprechung des Markgrafen Leopold war in Österreich überaus populär.

Der neue Papst Innozenz VIII. brachte nun den Prozessrasch zu einem günstigen Abschluss und vollzog die Kanonisation des Österreichischen Markgrafen in feierlicher Form am 6. Januar 1485. Eine kaiserliche Gesandtschaft, bestehend aus dem Ritter Marquard von Breisach und dem Klosterneuburger Stiftsdechant Thomas List, nahm in Rom daran teil.

Der letzte Akt einer Heiligsprechung ist die Translation, die feierliche Erhebung der Reliquien des neuen Heiligen. Daran war in Klosterneuburg zunächst nicht zu denken, denn das Land stand unter ungarischer Herrschaft, und der Kaiser, dem die Heiligsprechung so am Herzen gelegen war, wollte selbst daran teilnehmen. Im Stift jedoch rüstete man für die Feierlichkeiten. Der Wiener Domherr und Humanist Ladislaus Sunthaym erhielt den Auftrag, eine Geschichte der Babenberger zu verfassen. Er tat dies schon in durchaus moderner Weise, indem er alle Orte persönlich aufsuchte und sich auch mit den Quellen kritisch auseinandersetzte. Sein Text, in deutscher Sprache verfasst, wurde 1491 auf acht große Pergamentblätter geschrieben, reich illuminiert und am Grab des heiligen Leopold aufgehängt, um den zahlreich herbeiströmenden Wallfahrern historische Informationen über den neuen Heiligen und seine Familie zu geben. Im selben Jahr 1491 ließ das Stift diesen Text in Basel drucken. Er stellt somit die älteste gedruckte Landesgeschichte Österreichs dar. Dieser Text diente als Vorlage für das gewaltige Triptychon des Babenberger-Stammbaums, eines in seiner Art und Größe einzigartigen Werkes. Nach Art einer Ausstellung wollte man dem Volk in dem riesigen Werk den neuen Landesheiligen samt seiner Familie im Bild vorführen und sorgte auch gleich für den erklärenden Text dazu: Volksbildung im besten Sinn unter Einsatz der damals wirksamen Mittel.

Während im Stift alles für den Schluss- und Höhepunkt der Heiligsprechung, die Translation, vorbereitet wurde, ließ diese noch lange auf sich warten. Zwar war nach dem Tod des Matthias Corvinus 1490 die ungarische Herrschaft sehr rasch abgeschüttelt worden, aber Kaiser Friedrich starb auch schon 1493, und sein Sohn Maximilian wollte persönlich an der Translationsfeier teilnehmen. Da der junge König zunächst durch verschiedene Kriegshändel ferngehalten war und nicht nach Österreich kommen konnte, musste man die Feier der Reliquienübertragung bis 1506 verschieben. Für diesen Anlass malte der Passauer Maler Rueland Frueauf der Jüngere den berühmten Zyklus von vier Tafelbildern mit der Gründungslegende des Stiftes.

Am 15. Februar 1506 fand dann die glanzvolle Feier der Reliquienerhebung statt. König Maximilian trug dem heiligen Vorgänger zu Ehren die Insignien eines Erzherzogs von Österreich. Er hatte das Silber zu dem kostbaren Schrein beigesteuert, den der Wiener Goldschmied Johannes Herczog anfertigte. In Erinnerung an die Synode von 1133 fungierte der Erzbischof von Salzburg als Leiter des Festaktes, assistiert von den Bischöfen von Passau und Gurk. Eine gewaltige Volksmenge war zusammengeströmt, und auch in den nächsten Jahren war Klosterneuburg das Ziel zahlreicher Pilger. Für sie ließ das Stift schon seit 1489 Abzeichen aus Blei oder Silber prägen, die sich die Wallfahrer ans Gewand (meist an den Hut) hefteten.

Es ist sehr bezeichnend für den historischen Zug, der dem Leopoldskult von Anfang an innewohnte, dass Maximilian aus Anlass der Translation auch eine Art von Historikerkongress mit seinen Hausgenealogen im Stift Klosterneuburg abhielt.

Protestantismus und Gegenreformation

Die Heiligsprechung Leopolds III. und die damit verbundenen Festlichkeiten ließen noch einmal die typisch mittelalterliche Verflechtung von Religion und Politik, von Frömmigkeit und Öffentlichkeit glanzvoll in Erscheinung treten. Aber bald sollte sich zeigen, dass die Zeit anders geworden war. Am Anfang des 16. Jahrhunderts erhoben sich an vielen Orten Wirren und Unruhen.

Im Stift Klosterneuburg wurde 1509 Georg Hausmanstetter aus einem niederösterreichischen Adelsgeschlecht zum Propst gewählt, ein Mann von großen Fähigkeiten. Diese wurden auch gleich im Dienst der Öffentlichkeit eingesetzt. Die niederösterreichischen Stände nominierten ihn zu ihrem Delegierten, und Kaiser Maximilian I. berief ihn sogar in die niederösterreichische Regierung, das "Regiment". Wegen dieser Verpflichtungen war er häufig vom Stift abwesend, was ihn dem Konvent entfremdete, zumal die finanzielle Lage des Hauses nicht gerade rosig war, denn die Kosten der Heiligsprechung des Markgrafen und hohe Steuerforderungen hatten zu einer zunehmenden Verschuldung des Stiftes geführt. Die Chorherren waren unzufrieden mit ihrem Propst, dem seine öffentlichen Funktionen wichtiger schienen als das Wohlergehen des Stiftes.

So kam es 1513 zu einem offenen Aufruhr der Chorherren gegen Propst Hausmanstetter, sodass dieser sich genötigt sah, die Stiftsuntertanen aus Langenzersdorf zur Bewachung des Klosters herbeizubeordern. Man warf dem Propst vor, dass er schlecht wirtschafte und es an "Väterlichkeit" gegenüber dem Konvent mangeln ließe. Es war allerdings nicht der ganze Konvent, der sich empörte, sondern nur eine Mehrheit, die erwiesenermaßen von Bürgern aus Klosterneuburg und Wien aufgehetzt war. Ein wichtiges Motiv dabei war der Hass gegen die Regierung, der Propst Georg angehörte. Schließlich musste der Propst flüchten, und die Regierung ordnete zu Pfingsten 1513 die Rückeroberung des Stiftes mit Waffengewalt an. Es scheint, dass man sogar an eine Konfiskation des Reliquienschreins St. Leopolds dachte. Durch falsche Interpretation von Quellen wollte man daraus auf einen Überfall auf das Stift im Jahre 1519 schließen, doch entspricht dies nicht den Tatsachen. Jedenfalls scheint Propst Georg gewaltlos ins Stift zurückgekehrt zu sein. Drei Chorherren wurden als Rädelsführer des Aufstandes verhaftet und weggebracht. Eine Überprüfung der Wirtschaftsgebarung des Stiftes durch den Statthalter Markgraf Ernst von Baden rehabilitierte den Propst. Als Kaiser Maximilian anordnete, durch kaiserliche Amtspersonen die Gebarung des Stiftes ständig überwachen zu lassen, führte dies rasch zu einer Einigung der Streitparteien, denn so etwas wollte weder der Propst noch der Konvent. Hinfort herrschte Friede in der langen Regierungszeit Propst Georgs.

Als nach dem Tod Maximilians I. 1519 eine offene Revolte der Stände gegen die vom Kaiser eingesetzte Regierung ausbrach, war Propst Georg, der ja selbst einst dieser Regierung angehört hatte, einer der wenigen, die ihr die Treue hielten. Das mag der Grund dafür gewesen sein, dass im Jahre 1520 zwei Landtage im Stift Klosterneuburg abgehalten wurden. Ihre Sitzungen fanden im Refektorium statt, so dass die Chorherren fast vier Monate hindurch in einem anderen Raum essen mussten.

Der neue Landesfürst Ferdinand I. war gesonnen, ein strenges Exempel zu statuieren, und ließ im "Blutgericht" von Wiener Neustadt am 23. Juli 1523 mehrere Anführer der Rebellion zum Tode verurteilen. Diese harte Maßnahme entfremdete die Stände dem Landesfürsten noch mehr als bisher. Propst Georg hatte zwar nicht an der Gerichtsverhandlung teilgenommen, ja sich sogar in einem mutigen Schreiben an Erzherzog Ferdinand von den Todesurteilen distanziert, aber er galt doch als Anhänger der alten Regierung und hatte sogar als einziger der Stiftsprälaten während des Aufstandes von 1519 zu ihr gehalten. Seinen guten Beziehungen zum Landesfürsten verdankte der Propst, dass ein gefährlicher Unfug verhindert werden konnte: 1527 wollten gewisse Kreise einen unehelichen Sohn Kaiser Maximilians I. namens Cornelius dem Stift Klosterneuburg als weltlichen Abt-Koadjutor aufzwingen, was aber nicht gelang.

Die Lehre Martin Luthers drang früh in Österreich ein. Ihre Träger waren vor allem die Adeligen, die sich schon aus Opposition zum katholischen Landesfürsten der neuen Lehre anschlossen. Im Jahre 1528 war das Luthertum bereits so weit verbreitet, dass der Kaiser eine große Visitation aller Klöster anordnen musste. Sie brachte ein erstaunliches Ergebnis: unter den vielen Klöstern Niederösterreichs stand als einziges Klosterneuburg noch voll zum katholischen Glauben. Der Grund dafür war sicherlich die Persönlichkeit des Propstes Georg Hausmanstetter, der als Parteigänger des Landesfürsten schon seit Jahren in scharfem politischen Gegensatz zu den mehrheitlich protestantischen Landständen stand. So lang Propst Georg regierte, blieb das Stift daher katholisch.

Die religiösen Auseinandersetzungen jener Jahre waren überschattet von der Türkengefahr. Als diese Gefahr nach der Niederlage des ungarischen Heeres bei Mohács 1526 akut wurde, musste das Stift große finanzielle Opfer für die Kriegsrüstung bringen, während die Stände eher passive Resistenz leisteten. Die militärische Gefahr bot ihnen eine gute Gelegenheit, vom bedrängten Landesfürsten Zugeständnisse religiöser Art zu erpressen. Um die hohen Kosten für die Verteidigung des Landes aufzubringen, musste das Stift Klosterneuburg auf Grund eines Dekrets Ferdinands I. wie andere geistliche Häuser seine gesamte Barschaft und den Kirchenschatz nach Wien abliefern. Am 23. August 1526 fand die Inventarisierung der Kleinodien statt, am 9. September wurden sie abgeliefert. Damals wurden fast alle mittelalterlichen Goldschmiedewerke eingeschmolzen, darunter auch der Reliquienschrein des hl. Leopold. Die Gefahr rückte immer näher. In den nächsten Jahren wurde die Rüstkammer des Stiftes, die Propst Georg seit seinem Regierungsantritt sehr gut ausgestattet hatte, in höchster Eile instandgesetzt. Als die Türken 1529 schon bedrohlich nahe waren, entschloss sich Propst Georg, mit seinem Konvent nach Passau zu fliehen. Im Stift blieben nur der Stiftshofmeister Hans Stolbrokh und der königliche Regimentsrat Melchior von Lamberg zurück. Diese beiden warben in aller Eile 120 Söldner an und nahmen die Verteidigung in die Hand. Die Bevölkerung flüchtete in die Obere Stadt bzw. in das Stift.

Am 27. September 1529 standen die Türken vor Klosterneuburg. Sie besetzten die Untere Stadt, die geräumt worden war, plünderten die Häuser und steckten sie in Brand, wobei auch die Pfarrkirche St. Martin und die Franziskanerkirche St. Jakob in Flammen aufgingen. Alle Angriffe auf die Obere Stadt konnten jedoch abgewehrt werden. Am 16. Oktober gaben schließlich die Türken die Belagerung auf und zogen von Klosterneuburg ab, ebenso von Wien. Als aber die Chorherren anfang November ins Stift zurückkehren wollten, verweigerte ihnen Melchior von Lamberg den Einlass. Er hatte nämlich kein Geld, um die Söldner zu entlohnen, und wollte auf diese Art das Stift zur Zahlung zwingen. König Ferdinand musste Lamberg befehlen, die Chorherren und Chorfrauen wieder in ihre Klöster einzulassen. Er befahl aber auch dem Propst, Lamberg die aufgelaufenen Kosten zu ersetzen. Nach längerem Hin und Her zahlte der Propst 2.000 Gulden.

Die Schäden, die die Bevölkerung an Leib und Gut erlitten hatte, waren groß. Im Wienerwald irrten viele verlassene Kinder herum. König Ferdinand befahl am 5.Januar 1530, dass das Stift sich dieser Kinder annehmen und möglichst viele bei sich unterbringen sollte. Unter der Bevölkerung hatte es aber auch Kollaborateure gegeben, die es mit den Türken gehalten hatten. Sie wurden nach Abzug des Feindes festgenommen, im Stift eingesperrt und schließlich nach Wien gebracht. Mit dem Abzug der Türken war aber die Bedrohung nicht vorbei. Der Landesfürst brauchte dringend Geld zur weiteren Rüstung. Schließlich einigte sich die Regierung mit den niederösterreichischen Landständen auf eine Summe von 36.000 Gulden. Nun gab es wieder einen Konflikt mit dem Prälatenstand, denn das Stift Klosterneuburg wollte die bereits ausgelegten 2.000 Gulden auf seinen Betrag aufgerechnet haben. Solche Opfer waren tatsächlich nötig, denn die türkischen Oberfälle und Raubzüge dauerten fort, wenn auch zunächst keine große Invasion erfolgte. Der Propst von Klosterneuburg musste allein mehr Pferde für die Kriegsrüstungen stellen als alle anderen Prälaten des Viertels unter dem Wienerwald zusammen.

Bis zum Tode Propst Georg Hausmanstetters am 3. Dezember 1541 war das Stift Klosterneuburg treu bei der katholischen Religion geblieben. Aber bald drang auch hier protestantisches Gedankengut ein. Am 19. Februar 1548 verkündete der Chorherr Johannes Weiß „zum Ärger seiner Mitbrüder“ die neue Lehre. Er predigte gegen die geistliche Kleidung, gegen Chorgebet, Fasten und Reliquienverehrung. 1554 wurde Propst Christoph Starl (1551-1558) wegen verdächtiger Aüßerungen in seinen Predigten von Ferdinand I. zur Rechenschaft gezogen. Vor allem warf ihm der König zu große Duldsamkeit gegen protestantische Lehren vor. Dass diese Vorwürfe nicht aus der Luft gegriffen waren, sollte sich nach Starls Tod zeigen. Die Chorherren wählten 1558 Peter Hübner zu seinem Nachfolger. Der neue Propst bekannte sich offen zum Luthertum und förderte die neue Lehre in der Stadt. Er ließ die jungen Kleriker und Novizen in protestantischem Geist ausbilden, predigte selbst nach der protestantischen Postille des Johann Spangenberg und hielt sich im Stiftsspital eine Konkubine. Er förderte auch das Studium junger Klosterneuburger in Wittenberg. Als er schließlich mit seiner Konkubine Anna in der Stiftskirche öffentlich Hochzeit hielt, wurde er von einer kaiserlichen Kommission im September 1562 seines Amtes enthoben und am 8. Januar 1563 durch ein offizielles kirchliches Urteil abgesetzt und exkommuniziert.

Unter seinem Nachfolger Leopold Hintermayr wurde es nicht viel besser. Eine Visitation des Jahres 1563 stellte im Stift folgenden Personalstand fest: sieben Chorherren, sieben Konkubinen, drei Eheweiber, 14 Kinder. Die Wirtschaftslage des Stiftes war katastrophal. Propst Leopold gelang es aber, binnen kurzem die Schulden abzutragen, und daher ließ ihn die Regierung sein Leben lang ungeschoren.

Die Stadt Klosterneuburg war fast ganz zum Protestantismus übergegangen. Katholischer Gottesdienst wurde nur mehr im Franziskanerkloster gefeiert. Die Franziskaner hielten meist auch die lateinischen Hochämter in der Stiftskirche, während die Chorherren mehr oder weniger protestantische Riten vollzogen. Die Pfarre St. Martin war rein lutherisch und hatte verheiratete Seelsorger. Das Chorfrauenstift St. Magdalena ging gänzlich ein. Im Jahre 1568 starb die letzte Chorfrau.

Als Propst Leopold Hintermayr 1577 plötzlich starb, erlaubte der Kaiser angesichts dieser Zustände keine freie Wahl eines Nachfolgers. Nach heftigen Auseinandersetzungen und Kämpfen zwang Kaiser Rudolf II. dem sich erbittert sträubenden Konvent den Kandidaten seiner Wahl auf, den Wiener Domdechanten Kaspar Christiani, einen norddeutschen Weltpriester. Seine Strenge und sein Glaubenseifer ließen erwarten, dass er das Stift wieder katholisch machen werde. Und so geschah es auch. Nachdem ihn der Papst vom Noviziat dispensiert und er die Ordensgelübde abgelegt hatte, entfernte er die lutherischen Chorherren aus dem Kloster, darunter den Stiftspfarrer Franz Kammerling, und suchte den verbliebenen Rest zu einem strengen Katholizismus zurückzuführen. Er entließ die protestantischen Stiftsbediensteten und bemühte sich vor allem, taugliche Persönlichkeiten zum Eintritt ins Stift zu bewegen. Das waren zum Teil bereits angesehene Leute, wie der Graner Domherr Balthasar Polzmann und der Priester Sebastian Küeller aus Görz. Binnen kurzem konnte man den Klosterneuburger Konvent wieder als katholisch bezeichnen. In der Stadt stieß der Propst aber auf heftigen Widerstand. Die vielfältigen Schwierigkeiten und sein zorniges Temperament setzten Propst Kaspar derart zu, dass er schon nach sechs Jahren seiner Amtsführung im Alter von 43 Jahren starb.

Der neue Propst Balthasar Polzmann (1584–1596) hatte es viel leichter als sein Vorgänger, zumal der Protestantismus in Österreich seinen Höhepunkt bereits überschritten hatte, woran nicht zuletzt die Uneinigkeit im eigenen Lager die Schuld trug. Der Stiftskonvent war voll katholisch und so zahlreich, dass mehrere Chorherren als Prälaten die Leitung fremder Klöster übernehmen konnten. Auch die Stadt Klosterneuburg kehrte langsam zur katholischen Religion zurück. Besonderen Eifer für die Bekehrung der Protestanten entwickelte seit 1594 der Stiftspfarrer Dr. Andreas Weißenstein, ein ehemaliger Protestant. Dieser gelehrte Mann (er war Professor der Philosophie an der Wiener Universität) führte durch seine vorzüglichen Predigten und feierlich gestalteten Gottesdienste den Großteil der Bevölkerung in die katholische Kirche zurück. Am Anfang des 17. Jahrhunderts galt Klosterneuburg wieder als katholische Stadt. Im Stift drückte sich der Sieg der Gegenreformation auch künstlerisch aus, indem einige Bauten in "gotischem" Stil errichtet wurden, um die Rückkehr zum alten Glauben zu dokumentieren. Die Gegenreformation brachte auch einen neuen Aufschwung des Leopoldskultes. Propst Balthasar Polzmann verfasste die erste wissenschaftliche Lebensbeschreibung des Klostergründers, die 1591 im Druck erschien. Vor allem aber begann er 1584 mit der Prägung der Leopoldspfennige und brachte damit wirkungsvoll einen katholischen Heiligen unter die Leute.

Ob die Einführung der Ordensnamen im Stift Klosterneuburg ursächlich mit der katholischen Restauration zusammenhängt, ist nicht sicher. Die älteste Nachricht über die Annahme eines neuen Namens bei der Einkleidung ist für den 31. Mai 1599 überliefert. Der nächste Fall wird aus dem Jahr 1610 berichtet, und binnen kurzem bürgerten sich die Ordensnamen ein.

Die Gegenreformation, wie man den Kampf gegen den Protestantismus zu nennen pflegt, hatte für die Klöster Österreichs schwerwiegende Folgen. Im Jahre 1568 wurde der "Klosterrat" als staatliche Aufsichtsbehörde für die kirchlichen Angelegenheiten geschaffen. Zunächst wirkte sich diese Behörde recht segensreich aus, da sie für die Abschaffung verschiedenener Missstände sorgte. Aber bald wurde sie zu einem bürokratischen Hemmnis für die kirchliche Entwicklung. Gereichte die Einsetzung des Propstes Kaspar Christiani 1578 immerhin dem Stift und der katholischen Religion zum Nutzen, so sollte sich das Staatskirchenturn schon bald im gegenteiligen Sinn auswirken. Als die Chorherren nach dem Tode des Propstes Balthasar Polzmann im Jahre 1596 den Stiftspfarrer Dr. Andreas Weißenstein zu seinem Nachfolger wählten, verweigerte auf Antrag des Klosterrates Kaiser Rudolf II. ihm die Bestätigung. Der Grund dafür war, dass Weißenstein für die Freiheit der Kirche von staatlicher Bevormundung eintrat. Vier Jahre währten die Kämpfe des Stiftskapitels mit den landesfürstlichen Behörden, bis die Chorherren resignierten und auf Weißensteins Antrag den Wiener Domherrn Thomas Rueff zum Propst postulierten. Auch im Jahre 1614 wurde ein gewählter Propst, der Chorherr Chrysostomus Sarioth, vom Kaiser nicht bestätigt.

Auf Grund kaiserlicher Anordnung war das Stift, wie andere Klöster auch, dazu verpflichtet, für die kaiserlichen Hofjagden Hunde zu unterhalten, die jeweils zur Verfügung gestellt werden mussten, wenn der Kaiserhof in der Nähe jagte. Diese Hunde sind in Klosterneuburg seit 1564 nachweisbar. 1571 wurde für sie ein Stall im Bereich des Stiftsspitals bei der Gertrudskirche gebaut, wo sie ein eigener Rüdenknecht betreute. Später wollte man in diesen kaiserlichen Jagdhunden die Nachkommen jener Hunde sehen, die angeblich den Schleier der Gattin St. Leopolds gefunden und damit den Anstoß zur Gründung des Stiftes gegeben hätten.

Die Neuzeit bis zu Kaiser Joseph II.

Das Stift Klosterneuburg samt der Stadt war wieder katholisch, und unter dem Propst Thomas Rueff begann wieder eine rege künstlerische Tätigkeit. Propst Thomas war auch politisch tätig und seit Georg Hausmanstetter (1509–1541) der erste Klosterneuburger Propst, der als Verordneter des niederösterreichischen Prälatenstandes fungierte. Am 1. Februar 1602 wurde er von Kaiser Rudolf II. in den Adelsstand erhoben, 1608 war er Rektor der Wiener Universität.

Trotz der allgemein anerkannten Leistungen dieses Propstes geriet das Stift nach seinem Tod 1612 in neuerliche Schwierigkeiten. Der gewählte Nachfolger Joachim Eichler starb, bevor er die Bestätigung erlangte. Darauf wurde der Chorherr Balthasar Prätorius zum Propst gewählt, doch diesen raffte die Pest am 2. Dezember 1613 hinweg, ehe er bestätigt werden konnte. Am 14. Mai 1614 wurde der bisherige Administrator Johannes Chrysostomus Sarioth, ein gebürtiger Klosterneuburger, zum Propst gewählt. Diesem versagte aber die Regierung die Bestätigung. Nun vermutete das Stiftskapitel, dass die Postulation eines Auswärtigen eher Aussicht auf Erfolg hätte (wie schon bei Thomas Rueff) und postulierte den Passauer Offizial Johann Brenner zum Propst. Diese Postulation wurde aber auf Verlangen des Kaisers von Papst Paul V. verworfen. Das Kapitel trug daher dem Wiener Bischof Melchior Khlesl das Amt des Propstes an, aber dieser lehnte die Wahl ab. Erst die sechste Wahl am 29. April 1616 beendete die vierjährige Vakanz. Gewählt wurde der ehemalige Klosterneuburger Stiftsdechant Andreas Mosmiller, der seit 1610 Propst des Stiftes St. Dorothea in Wien war. Diese Wahl wurde nun endlich vom Kaiserhof bestätigt, aber Propst Andreas musste noch bis 1618 das Stift St. Dorothea nebenbei leiten.

Diese inneren Turbulenzen dürften aber die äußere Wirksamkeit des Stiftes nicht stark beeinträchtigt haben. Noch im selben Jahr 1616 trug sich ein Ereignis zu, das Klosterneuburg in besonders engen Kontakt mit dem Lande und dem Herrscherhaus brachte. Erzherzog Maximilian III., Hochmeister des Deutschen Ritterordens und Regent von Tirol, hatte sich schon früher als großer Verehrer des heiligen Leopold und als Wohltäter des Stiftes erwiesen. Er stiftete nun am 15. November 1616 zwei kostbare Weihegaben nach Klosterneuburg: ein silbernes Büstenreliquiar des heiligen Leopold und den Österreichischen Erzherzogshut, der hinfort die Krone des Erzherzogtums Österreichs sein sollte. Warum diese Krone gerade nach Klosterneuburg gestiftet wurde, darüber hat man oft gerätselt und es mit der größeren Sicherheit im Stift zu erklären versucht. Das stimmt gewiss nicht, denn die Krone musste oft genug aus Sicherheitsgründen weggebracht werden. Man braucht aber nur den Text der Stiftungsurkunde aufmerksam zu interpretieren, um zu verstehen, dass Maximilian mit dieser Krone ein "Heiltum" schaffen wollte. So wie Ungarn mit der Stephanskrone und Böhmen mit der Wenzelskrone, sollte Österreich mit dieser "Leopoldskrone" eine heilige Landeskrone erhalten. Deshalb die komplizierten Bestimmungen: nur zur Belehnung eines neuen Landesfürsten und zu dessen Erbhuldigung durfte das Kleinod von Klosterneuburg weggebracht werden, und auch das nur für die Dauer von höchstens 30 Tagen. Auf Bitten Maximilians bestätigte Papst Paul V. diese Stiftung und bedrohte in seiner Bulle jeden Zuwiderhandelnden mit der Exkommunikation. Das alles deutet darauf hin, dass hier ein Heiligtum geschaffen werden sollte, und tatsächlich wurde die Krone als solches behandelt. Es mag verwunderlich erscheinen, dass ein so spät entstandenes Kleinod so rasch zum Heiligtum avancieren konnte, aber das geschah eben durch die Verbindung mit dem heiligen Leopold, bei dessen Grabstätte die Krone verwahrt wurde. Die Zeremonie der Erbhuldigung markierte den Beginn der Regierungszeit eines neuen Landesfürsten (zwischen 1620 und 1835 fand sie insgesamt zehnmal statt) und wurde mit entsprechendem Pomp begangen. Die Einholung des Erzherzoghutes gestaltete sich in Klosterneuburg jedesmal zu einem Volksfest.

Ähnlich große Anteilnahme des Volkes erregten auch die Hofwallfahrten nach Klosterneuburg. Schon seit dem 14. Jahrhundert waren Mitglieder der landesfürstlichen Familie an das Grab des heiligen Leopold gepilgert, aber im 17. Jahrhundert wird die Hofwallfahrt zur Institution. Die Landesfürsten kamen immer häufiger nach Klosterneuburg und seit Kaiser Leopold I. 1663 den heiligen Leopold zum offiziellen Schutzpatron von Östereich proklamiert hatte, fand nahezu jedes Jahr am 15. November mit großem Prunk die über mehrere Tage währende Hofwallfahrt statt.

Obgleich das 17. Jahrhundert von kriegerischen Ereignissen überschattet war, bedeutete es doch für Klosterneuburg in künstlerischer Hinsicht eine sehr fruchtbare Zeit. 1609 wurde das Prälaturgebäude großzügig umgestaltet, 1618 bis 1620 ein ganz neuer Fürstentrakt errichtet, 1627 bis 1633 das alte Dormitorium in prächtiger Weise umgebaut. 1634 begann unter d er Leitung von Giovanni Battista Carlone die barocke Neugestaltung der Stiftskirche, wobei der Architekt im Äußeren mittelalterlichen Charakter des Baues wahrte, aber im Inneren einen imposanten, frühbarocken Hallenraum gestaltete. Der Passauer Orgelbauer Johann Freundt schuf 1636 bis 1642 die berühmte große Orgel, und 1648 goss Leonhard Löw von Löwenburg in Wien die große Glocke für den neuen Turm, die fast 6.000 kg wiegt. Ihre Inschrift drückt Sehnsucht nach dem Frieden aus (es war die Zeit des Dreißigjährigen Krieges), aber die Türkenköpfe in ihrer Krone sind ein Symbol für die Bedrohung des Abendlandes, die mit dem Westfälischen Frieden nicht gebannt wurde, sondern für Klosterneuburg noch schlimme Tage bringen sollte.

Der Umbau der Stiftskirche war noch nicht abgeschlossen, als 1677 bis 1680 ein neues, großes Projekt verwirklicht wurde. Die Grabstätte des heiligen Leopold, der ehemalige Kapitelsaaal des Stiftes, wurde zusammen mit der anschließenden Nikolauskapelle zu einer großzügigen "Schatzkammer" ausgebaut, die die Zeugnisse der Geschichte mit dem aktuellen Wallfahrtskult des Landespatrons verband.

Trotz der ungünstigen Zeitumstände erlebte das Stift damals eine echte Blüte. Sie zeigte sich in den geschilderten Bauunternehmungen, in der Erwerbung von Besitz, vor allem aber in einer sehr guten Ordensdisziplin. Kaiser Ferdinand III. übertrug 1630 dem Propst Bernhard Waitz die Administration der beiden böhmischen Chorherrenstifte Wittingau (Třebon) und Forbes (Borovany). Sie waren fast leer und dem Untergang nahe. Propst Bernhard gelang es, durch Entsendung geeigneter Ordensleute aus Klosterneuburg (sieben nach Wittingau, drei nach Forbes), die beiden Klöster wieder zu beleben und auf eine gesunde wirtschaftliche Basis zu stellen. Ab 1663 konnten beide Häuser wieder selbständig existieren unter der Leitung Klosterneuburger Professen: Norbert Heermann in Wittingau und Georg Jaudt in Forbes.

Eine Pestepidemie im Jahre 1679 forderte eine Reihe von Todesopfern unter den Mitgliedern des Stiftes. Die größere Katastrophe für das Land sollte aber die türkische Invasion werden. Man hatte gelernt, mit der Türkengefahr zu leben, und hoffte immer noch, mit dem Erbfeind zu einer friedlichen Einigung zu kommen. Aber seit Ende 1682 verdichtete sich die Gefahr. Eine Inspektion der sicheren Orte, die der Bevölkerung als Fluchtpunkte dienen konnten, ergab ein trauriges Ergebnis. Klosterneuburg war einer der wenigen Orte, die einigermaßen den Ansprüchen genügten. Die niederösterreichischen Stände zeigten aber keine besondere Eile, für entsprechende Verteidigungsmaßnahmen zu sorgen.

Als schon im ganzen Lande die Türkenglocken läuteten, nahm man die Gefahr noch immer nicht ernst. Erst als tatarische Streifscharen seit dem 7. Juli 1683 Angst und Schrecken verbreiteten und die kaiserlichen Truppen bei Regelsbrunn eine Niederlage erlitten, brach Kaiser Leopold mit seiner Familie fluchtartig nach dem Westen auf, und wer die Möglichkeit hatte, folgte seinem Beispiel. Bischof Sinelli von Wien empfahl allen Ordensleuten die Flucht, denn gegen sie richteten sich die Grausamkeiten der Muslims ganz besonders. Am 8. Juli, einen Tag nach der Flucht des Wiener Hofes, verließ Propst Sebastian Mayr mit dem Stiftsschatz und einigen Chorherren Klosterneuburg und fuhr auf der Donau nach Passau. Am 13. Juli flüchtete der Stiftsdechant Christoph Matthäi mit dem Rest des Stiftskapitels in das Chorherrenstift Ranshofen. Nur zwei Chorherren blieben im Stift zurück: der junge Priester Wilhelm Lebsafft, der sich schon in der Pestepidemie 1679 rühmlich bewährt hatte, übernahm die geistliche Betreuung der Bewohner, und der Laienbruder Marzellin Orthner fungierte als militärischer Befehlshaber. Ihm kommt der Hauptverdienst daran zu, dass die Bewohner Klosterneuburgs gegen eine gewaltige Obermacht standhielten und aus diesem Grund militärische Hilfe vom kaiserlichen Heer bekamen, wodurch schließlich ihr Überleben gesichert war.

Über den Verlauf der Belagerung sind wir genau unterrichtet durch einen ausführlichen Bericht von Johann Martin Lerch, der 1684 im Druck erschien. Vom 16. Juli 1683 an musste sich die Obere Stadt mit dem Stift gegen zahlenmäßig weit überlegene türkische Truppen verteidigen. Angesichts dieser guten Kampfmoral legte Herzog Karl von Lothringen eine kleine militärische Besatzung in die Stadt. Gemeinsam mit den Bürgern boten die kaiserlichen Soldaten den zahlenmäßig weit überlegenen Belagerern so tapferen Widerstand und fügten ihnen durch Ausfälle so starke Verluste zu, dass die Türken bereits am 8. September von Klosterneuburg abzogen. Dadurch war für das Entsatzheer der Weg nach Wien frei. Nun zeigte sich, wie wichtig es gewesen war, dass Klosterneuburg gehalten werden konnte, denn die Stadt bildete den Flankenschutz für das Entsatzheer. Die Stadt Wien und damit Österreich – und nach damaliger Meinung, die wohl richtig ist, das christliche Abendland – war im Augenblick höchster Gefahr gerettet, und Klosterneuburg hatte nicht geringen Anteil daran.

Trotz der ungeheuren Schäden, die Stadt und Stift erlitten hatten, war die Erleichterung groß. Die ganze Untere Stadt und die Vorstadt Neusiedei mit dem Stiftsspitallagen in Schutt und Asche, aber der Wiederaufbau ging rasch voran. Auch die Umgestaltung der Stiftskirche wurde fortgesetzt. Der Maler Johann Georg Greiner konnte in einem Deckenfresko die Befreiung Klosterneuburgs von den Türken als triumphales Ereignis darstellen.

Da die Bedrohung durch die Türken vorbei war, wurde das ganze Land von einer ungeheuren Baulust erfasst. Allenthalben wurden Kirchen und Klöster neu erbaut, prächtige Paläste errichtet. In Klosterneuburg ließ man sich damit zunächst Zeit. 1704 ließ Propst Christoph Matthäi das berühmte Tausend-Eimer-Fass bauen, an dem noch heute der beliebte Volksbrauch des "Fasselrutschens" stattfindet. Erst das 600-Jahr-Jubiläum der Stiftsgründung im Jahre 1714 gab Anlass zu größerer künstlerischer Betätigung. Vorn berühmten Ingenieur Matthias Steinl wurde vor dem alten Hochaltar eine große hölzerne Attrappe errichtet, die bereits weitgehend den heutigen Hochaltar vorwegnimmt. Steinl entwarf auch drei prächtige Triumphpforten, die auf dem Platz vor der Stiftskirche aufgebaut wurden und die glücklicherweise im Bild erhalten sind.

Das Jubiläum muss auch der Anlass gewesen sein, Jakob Prandtauer mit den Plänen für einen Neubau des Stiftes und des Wiener Stiftshofes zu beauftragen. Von den Stiftsplänen sind nur zwei Grundrisse erhalten. Aus ihnen lässt sich erkennen, dass zwar die gewaltige Anlage des Escorial als Vorbild diente, aber doch möglichst viel vom alten Bestand (Stiftskirche, Kreuzgang, Leopoldskapelle, Capella speciosa usw.) integriert werden sollte. Warum dieser Plan nicht verwirklicht wurde, ist unbekannt. 1723 setzte die letzte Etappe des Umbaus der Stiftskirche ein. Die Neugestaltung des Presbyteriums wurde unter der Leitung von Matthias Steinl begonnen. Nach dessen Tod brachte Abt Berthold Dietmayr von Melk 1729 den gebürtigen Mailänder Donato Felice d'Allio als Bauleiter nach Klosterneuburg. Trotz dieses Wechsels wirkt das Presbyterium wie aus einem Guss. Es verkörpert ein religiös-politisches Programm in höchst eindrucksvoller Weise. Dieses Programm sollte im Neubau des Stiftes seine Krönung finden. Als Kaiser Karl VI. am Leopolditag des Jahres 1730 in Klosterneuburg weilte, wurden ihm die ursprünglichen Pläne des Donato Felice d'Allio vorgelegt. Diese waren bedeutend schlichter und klösterlicher als das, was daraus werden sollte. Der Kaiser beschloß nämlich, hier in Klosterneuburg seine Residenz errichten zu lassen. Was in der Neugestaltung der Kirche ideell schon vorbereitet war, sollte Realität werden: die Verschmelzung von religiöser und staatlicher Symbolik zu einem architektonischen Denkmal. Faszinierend daran ist, dass damit unbewusst ein Gedanke des Klosterstifters wieder lebendig wurde. Man glaubte seit Jahrhunderten, dass der heilige Leopold seine Burg auf dem Kahlenberg bzw. Leopoldsberg gehabt habe. In Wirklichkeit hatte er in Neuburg eine "Klosterresidenz" errichtet. In gigantischen Maßstäben sollte das nun wiederholt werden. Die Pläne wurden geändert, 1730 begann der Bau. Befohlen wurde er vom Kaiser, aber die Kosten musste das Stift tragen.

Diesem Escorial-Projekt liegt eine tiefe staatspolitische Idee zugrunde. Man muss das Projekt Karls VI. mit dem Repräsentationsbau seines Bruders Joseph I., dem Schloss Schönbrunn, in Beziehung setzen. Schönbrunn ist eine Nachahmung des Schlosses Versailles, das als Inbegriff des absolutistischen Herrscherturns gelten kann, als Symbol für ein weitgehend säkularisiertes, autonomes Königtum. Karl VI. wollte gewiss nicht weniger als sein Bruder absolutistisch herrschen, aber er speiste seine Ideen aus anderen Quellen, ganz abgesehen davon, dass ihm alles Französische zuwider war. Sein Ideal war nicht der verweltlichte, allmächtige Sonnenkönig, sondern der fromme Fürst, der sich bemüht, Gottes Auftrag zu erfüllen. Schönbrunn schenkte er 1712 der Witwe seines Bruders, und als diese sich 1728 in das von ihr gestiftete Salesianerinnenkloster zurückzog, stand das Schloss leer.

Karl VI. hatte anderes im Sinn. Klosterneuburg sollte eine Manifestation der alten Kaiseridee darstellen, wie sie die mittelalterliche Partnerschaft von Imperium und Sacerdotium repräsentiert hatte. Demgemäß sollte die Anlage eine deutliche Teilung in zwei architektonisch gleichberechtigte Baukörper zeigen: Die eine Hälfte sollte Kloster, die andere Kaiserresidenz sein. Die Mittelpunkte sollten einerseits die Stiftskirche, andererseits der Marmorsaal bilden. Es war wohl nicht nur der vom Kaiser niemals ver- wundene Verlust Spaniens der Anlass für diese Neuerfindung des Escorial, sondern mindestens ebenso die alte Kaiseridee und der genius loci Klosterneuburgs, der sich sowohl in der Geschichte des Hauses als auch in der Ausstattung der Stiftskirche ausdrückt.

Der Bau des zunächst in Angriff genommenen Traktes (nordöstlicher Hof) ging erstaunlich rasch voran. Bereits 1733 wurde der Dachstuhl aufgesetzt, 1735 wurden die Kuppeln eingedeckt, 1737 bis 1739 erhielten die Kaiserzimmer ihre prächtige Ausstattung. Kaiser Karl VI. bewohnte sie am 15. November 1739 zum ersten und letzten Mal „umma cum consolationeet complacentia“, wie der Chronist des Stiftes betonte. Am 20. Oktober des folgenden Jahres starb der Kaiser unerwartet, und damit war das grandiose Projekt abgebrochen. Seine Tochter Maria Theresia setzte zwar die Tradition der Hofwallfahrten nach Klosterneuburg fort, aber vom staatskirchlichen Konzept Karls VI. distanzierte sie sich. Sie ließ sich das vom Vater vernachlässigte Schönbrunn ausbauen und demonstrierte damit wiederum die Orientierung nach Frankreich. Wenn sie nach Klosterneuburg kam, bewohnte sie nach der Überlieferung den alten, 1618 bis 1620 erbauten Fürstentrakt, um äußerlich den Abstand zu den Ideen des Vaters zu betonen.

Während im Stift eines der aufwendigsten Bauprojekte der Barockzeit verwirklicht werden sollte, ging das Klosterleben seinen gewohnten Gang weiter. Es klingt wie eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet der Propst Ernest Perger (1707–1748), der gegen seinen Willen diesen Bau unternehmen musste, im Ruf eines strengen Ordensmannes stand. Er führte 1714 an Stelle der bisher üblichen weißen die schwarzen Talare ein. Nur die Novizen blieben bis 1772 weiß gekleidet. 1739 starb der letzte Laienbruder des Stiftes. Seither besteht der Konvent nur mehr aus Priestern bzw. Priesterkandidaten. Im selben Jahr schloss das Stift die Gebetsverbrüderung mit der Lateranensischen Chorherrenkongregation (die anderen Österreichischen Stifte waren darin schon vorausgegangen), womit verschiedene Privilegien verbunden waren. Damit wäre kirchenrechtlich schon die Exemtion von der Jurisdiktion des Diözesanbischofs vollzogen worden, doch kam das nicht zur Wirkung. Der Chorherr Paul Bernhard wirkte von 1741 bis 1747 als Administrator des schwer verschuldeten Chorherrenstiftes St. Pölten. Auf Ersuchen der Kaiserin Maria Theresia sandte das Stift 1753 den Chorherren Wilhelm Sebastian Hätzl nach Kärnten, um die dort noch zahlreich vorhandenen Protestanten zur katholischen Kirche zu bekehren. Er hatte in mehreren Orten viel Erfolg bis zu seinem Tod im Jahr 1760.

Die Kleriker des Stiftes waren bisher an der Wiener Universität bzw. im Konvikt der dort lehrenden Jesuiten ausgebildet worden. Im Jahre 1768 rief Propst Gottfried von Roleman eine theologische Hauslehranstalt ins Leben, an der die Chorherren des Stiftes ihre jungen Mitbrüder in der Theologie unterrichten sollten. Sie war zunächst sehr einfach organisiert und konnte sich auch nicht lange halten, denn Kaiser Joseph bereitete ihr wie allen Ordenshochschulen 1783 ein rasches Ende.

Die schwierige wirtschaftliche Lage des Stiftes führte zu mancherlei Einschränkungen. 1765 verzichtete der Kaiser auf die Hoftafel zum Leopoldifest, die dem Stift stets große Kosten verursachte. 1766 wird die jährliche Prägung der Leopoldipfennige eingestellt (sie werden fortan nur zu besonderen Anlässen geprägt), 1769 die Haltung der kaiserlichen Jagdhunde aufgelassen, 1776 die Hofwallfahrt nach Klosterneuburg ganz abgeschafft. Diesen Einschränkungen steht aber ein geistiger Aufschwung gegenüber. Die Errichtung der Hauslehranstalt wurde schon erwähnt. 1773 erhielt die Stiftsbibliothek neue, größere Räume. Als Lessing am 7. April 1775 das Stift Klosterneuburg besuchte, spendete er der Bibliothek hohes Lob. 1778 gestaltete das Stift seine niedere Lateinschule zu einer modernen Hauptschule um, die bald zur Musterschule (Übungsschule) wurde.

Propst Ambras Lorenz richtete seit etwa 1773 das Stiftsmuseum als systematische Sammlung ein. Sie umfasste im Sinne der Aufklärung naturwissenschaftliche Objekte (Mineralien, Konchylien, zoologische Präparate) zusammen mit Münzen und Kunstwerken. Das Erstaunliche daran ist, daß bei letzteren der Propst das Hauptgewicht auf die mittelalterliche Kunst legte, die damals überhaupt nicht geschätzt wurde. Seinem Kunstverständnis verdankt das Stiftsmuseum den einzigartigen Schatz an gotischen Tafelbildern, der unter anderen Umständen wahrscheinlich zugrunde gegangen wäre. Er sammelte gotische Tafeln auch von auswärts. Propst Ambras verschaffte dem Stiftsmuseum eines seiner kostbarsten Kunstwerke. Als der Jesuitenorden aufgehoben wurde, ließ er im Jahre 1774 aus dem Wiener Professhaus der Jesuiten die Tafeln des sogenannten Albrechtsaltars nach Klosterneuburg bringen, die ehedem den Hochaltar der Karmeliterkirche Am Hof gebildet hatten. Ohne diese Maßnahme wäre das bedeutendste Werk des gotischen Realismus in Österreich verlorengegangen.

Es zeigt sich hier wie auf anderen Gebieten, dass man im Stift wohl gerne die positiven Seiten der Aufklärung annahm – den Sinn für die Wissenschaft und deren Systematik, für Pädagogik und Quellenstudium –, sich von deren negativen Auswirkungen aber weitgehend freihalten konnte. Rationalismus, Oberflächlichkeit und reines Nützlichkeitsdenken, die so typisch für jene Zeit waren, fanden in Klosterneuburg bei weitem nicht so bereitwillig Eingang wie in anderen geistlichen Häusern. Eine Reihe von Gelehrten wirkte damals im Stift. Ambras Conrad, ein namhafter Numismatiker, verfasste einen Katalog der Stiftssammlungen. Mit historischen Studien beschäftigten sich Benedikt Prill und Willibald Leyrer, der das Stiftsarchiv neu ordnete und katalogisierte. Bedeutende Theologen waren Ferdinand Ristl und Daniel Tobenz, ein hervorragender Mathematiker war Florian Ulbrich.

Unter der Regierung Kaiser Josephs II. (1780–1790) wurde die Aufklärung zum Staatsprinzip erhoben. Diese Österreichische Variante der Aufklärung, Josephinismus genannt, war zwar nicht prinzipiell religionsfeindlich, griff aber doch sehr tief in das Schicksal der Kirche und namentlich der Klöster ein. Alle Klöster, die sich nicht einer "nützlichen" Beschäftigung wie Unterricht, Krankenpflege oder Pfarrseelsorge widmeten, sollten aufgehoben werden. Um den Kaiser von diesen und noch weitergehenden Absichten abzubringen, reiste Papst Pius VI. 1782 nach Wien. Am 20. April kam er auch nach Klosterneuburg. Er besichtigte das Stift und regte die Weiterführung des unvollendeten Prunkbaues an. Von einem Fenster des ersten Stockwerks segnete der Papst mehr als 6.000 Menschen, die sich im damals offenen Hof angesammelt hatten.

Papst Pius VI. erreichte sein Ziel nicht, der Kaiser ließ sich von seinen kirchenpolitischen Plänen nicht abbringen. 1781 wurde durch ein Hofdekret bestimmt, dass bei schwersten Strafen kein Kloster einen Kandidaten aufnehmen dürfe, bis ihm von der Regierung ein „numerus fixus“ vorgeschrieben werde. Diese Vorschreibung erfolgte am 20. Juli 1783:

Das Chorherrenstift Klosterneuburg soll nicht aufgehoben werden, die Geistlichen aber von 37 auf 18 Individuen herabgesetzt, und bis nicht diese Zahl erreicht ist, kein Novitz aufgenommen werden.

Damit war zwar die Gefahr der Aufhebung abgewandt, aber es begann eine schlimme Durststrecke, da bis zum Jahre 1790 13 Chorherren starben, ohne dass eine Einkleidung stattfinden konnte.

Unter diesen Einschränkungen litt das klösterliche Leben schwer, zumal die Regierung auch das Chorgebet, insbesondere den Choralgesang, wegen Gesundheilsschädlichkeit abzuschaffen trachtete. 1786 musste der Propst der Regierung eine wenigstens einmal wöchentlich abzuhaltende lateinische Choralvesper förmlich abtrotzen.

Das Klosterleben wurde auch durch eine andere Maßnahme erschwert. Im Rahmen der josephinischen Pfarregulierung musste das Stift nicht weniger als zehn Pfarreien bzw. Lokalkaplaneien neu errichten und besetzen. Dies verursachte nicht nur große finanzielle Lasten durch die Kirchen- und Pfarrhofbauten – obwohl diese betont schlicht gestaltet wurden –, sondern entvölkerte auch den Konvent, da ja nun die meisten Chorherren auf die Pfarren übersiedeln mussten. Das kam der Regierung nur gelegen. Im Chorherrenstift St. Dorothea in Wien wurde nach dem Tod des Propstes Ignaz Müller im Jahre 1782 eine Neuwahl von der Regierung untersagt und das Stift der Administration des Propstes Floridus Leeb von Klosterneuburg unterstellt. Obwohl dieser sich um die Erhaltung des Dorotheerklosters bemühte, wurde es 1786 gänzlich aufgehoben. Die meisten Chorherren von St. Dorothea traten in den Weltpriesterstand, nur zwei übersiedelten in das strengere Klosterneuburg. Die reichen Besitzungen des Dorotheerstiftes wurden zum größten Teil eingezogen, der verbliebene Rest jedoch 1802 dem Stift Klosterneuburg gegen eine beträchtliche Abfindungssumme einverleibt.

Einige Kunstgegenstände und das ganze Archiv von St. Dorothea kamen nach Klosterneuburg. Nicht nur die Zahl der Klöster wurde von Kaiser Joseph drastisch verringert. Auch alle "überflüssigen" Kirchen und Kapellen mussten verschwinden. So kam Klosterneuburg um zwei unersetzliche Bauwerke, die prächtige, marmorne "Capella speciosa" (geweiht 1222) und die gotische Sebastianikapelle (geweiht 1421) auf dem Stiftsplatz. Die erstere wurde 1799 gänzlich abgetragen, ihre Bauglieder fanden zum Teil beim Bau der romantischen Franzensburg im Schlosspark von Laxenburg Verwendung. Aus der Sebastianikapelle wurde das reichgeschnitzte spätgotische Chorgestühl der Stiftskirche, das seit der Barockisierung dort aufgestellt war, gleichfalls nach Laxenburg gebracht. Die Sebastianikapelle wurde auf ein Drittel ihrer Höhe abgetragen und in einen Schuppen verwandelt, ungeachtet der erst kürzlich darunter angelegten Chorherrengruft.

Kaiser Joseph verfügte 1783, dass alle künftigen Theologen nur in staatlichen Generalseminaren ausgebildet werden dürften. Daher wurde, wie schon erwähnt, die theologische Lehranstalt des Stiftes aufgehoben. Dem josephinischen Zentralismus entsprach es auch, dass der Erzherzogshut wie alle Landeskronen 1784 an die kaiserliche Schatzkammer nach Wien abgeliefert werden musste, was man in Klosterneuburg besonders schmerzlich empfand.

Der Josephinismus hat Kunst und Kultur wenig gefördert, dafür aber unwiderbringliche Kulturwerte zerstört. Glücklicher war er in seinen Sozialmaßnahmen. Das 1786 eingeführte Erbpachtsystem begünstigte die Kleinbauern und Siedler, brachte aber für die Grundherrschaft finanzielle Nachteile. Über die daraus folgenden Maßnahmen des Stiftes wird an anderer Stelle berichtet. Dass das Stift aber auch aus Eigenem soziale Initiativen setzte, beweist eine zukunftsträchtige Ortsgründung. 1786 stellte das Stift jenseits der Donau bei Jedlersdorf "am Spitz" armen Siedlern Baugründe und Darlehen zur Verfügung. Nach einer Hochwasserkatastrophe erließ ihnen Propst Floridus Leeb (1782–1799) noch dazu alle Schulden. Aus Dankbarkeit gegenüber dem Propst nannten sie den neuen Ort Floridsdorf. Er sollte sich binnen kurzem dank seiner verkehrsgünstigen Lage zu einer großen Gemeinde entwickeln.

Kaiser Joseph II. starb am 20. Februar 1790. Der auf ihn folgende, jüngere Bruder Leopold II. (1790-1792) sah sich gezwungen, viele der unpopulären Maßnahmen Josephs zurückzunehmen. Eine seiner ersten Entscheidungen war, dass er den Erzherzogshut schon am 7. April 1790 nach Klosterneuburg zurückbringen ließ. Das erweckte ungeheure Freude und war Anlass für ein großes Volksfest. Im Stift allein wurden an diesem Tag über 350 Personen bewirtet. 1791 übertrug Kaiser Leopold Il. die Würde des Oberst-Erbland-Hofkaplans von Niederösterreich, die seit 1460 dem Propst des Chorherrenstiftes St. Pölten zugestanden hatte, nach dem Tod des letzten Propstes dieses Stiftes auf den Propst von Klosterneuburg. Der Kaiser gestattete auch die Wiedererrichtung der theologischen Hauslehranstalt, so dass sie 1796 ihre Pforten öffnen und systematisch aufgebaut werden konnte. Alles schien auf eine glückliche Zukunft hinzudeuten.

19. und 20 . Jahrhundert

Das neue Jahrhundert brachte statt des erhofften Aufschwungs schwere Belastungen durch die Napoleonischen Kriege. Wirtschaftliche Schwierigkeiten veranlassten das Stift, 1802 bis 1803 die Schlösser Hagenbrunn und Hasendorf auf Abbruch zu verkaufen. Aus dem Vermögen des aufgehobenen Stiftes St.Dorothea mussten auf Anordnung der Regierung 1803 zwei große, moderne Zinshäuser in Wien erbaut werden. Nach der Kapitulation des Österreichischen Heeres in Ulm besetzten französische Truppen am 11. November 1805 die Stadt Klosterneuburg, zwei Tage vor der Besetzung Wiens. Der kommandierende General Sebastiani forderte von Stift und Stadt riesige Summen als Brandschatzung, die nur zum Teil aufgebracht werden konnten. Auch die zahlreichen Einquartierungen und Requirierungen waren sehr drückend. Um die vom Feind ausgeschriebene Kontribution von 16.000 Gulden in Bargeld erlegen zu können, musste das Stift seine wertvolle Medaillensammlung verkaufen. Im Stift verhielten sich die Truppen verhältnismäßig friedlich, aber die Chorherren in den umliegenden Pfarren hatten unter Plünderungen und Misshandlungen zu leiden. Am 20. Dezember 1805 kam Kaiser Napoleon überraschend zu einem kurzen Besuch nach Klosterneuburg und besichtigte das Stift. Nach dem Friedensschluss von Pressburg zogen am 13. Januar 1806 die letzten französischen Soldaten ab.

Im Jahre 1809 kam es neuerlich zum Krieg, und am 10. Mai dieses Jahres rückten die Franzosen wiederum in Klosterneuburg ein. Da ein unbedachter Schuss aus einem Fenster einen französischen Sergeanten tötete, schwebte die Stadt in höchster Gefahr. Nur mit Mühe konnte der sprachenkundige Stiftsdechant Augustin Herrmann, der sich jetzt, wie schon 1805, als eigentlicher Retter der Stadt erwies, die Feinde beruhigen. Diesmal war die Besatzung weit drückender als vier Jahre zuvor. Im Stift wurde viel zerstört und beschädigt, sämtliche Weinvorräte wurden weggeschafft, dazu noch hohe Geldsummen erpresst. Noch schlimmer ging es den Pfarren der Umgebung. Die meisten Kirchen wurden geplündert und verwüstet. Nach dem Friedensschluss von Schönbrunn verließen die letzten Besatzungssoldaten am 29. November 1809 Klosterneuburg.

Die wirtschaftliche Lage Österreichs war katastrophal. Um nach dem Staatsbankrott die Finanzen des Landes einigermaßen zu sanieren, forderte gleich nach dem Abmarsch der Franzosen ein kaiserliches Dekret von den Kirchen und Klöstern die Ablieferung aller Gegenstände aus Silber und Gold. In zwei Etappen wurde im Jahre 1810 eine große Zahl von Kostbarkeiten abgeliefert, darunter solche Schätze wie der große Schrein des heiligen Leopold aus dem Jahre 1553 und die von Maximilian III. gestiftete Reliquienbüste des Heiligen. Einige Gegenstände von besonderem künstlerischen oder historischen Wert konnte man zum Materialpreis freikaufen, aber das war natürlich nur bei wenigen Stücken möglich.

Nur langsam vermochte sich das Stift von den schweren Schäden zu erholen. Man mußte alle Kräfte einsetzen, um der schwierigen wirtschaftlichen Lage Herr zu werden. Nun bestand schon seit langer Zeit - wie lange, ist nicht feststellbar - die missbräuchliche Gewohnheit, dass nur die zwölf ältesten Chorherren Sitz und Stimme im Kapitel hatten. Auf eine energische Intervention der Chorherren wurde schließlich in einer Kapitelsitzung am 25. Januar 1810 sämtlichen Professpriestern das Kapitelrecht gewährt. Nur höchst ungern führte Propst Gaudenz Dunkler diesen Beschluss durch, und die zum Teil sehr vernünftigen Vorschläge aus den Reihen der Chorherren zur Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse und der Verwaltung wurden nicht verwirklicht. Dazu kam eine Reihe von Naturkatastrophen, wie Überschwemmungen, Missernten und Feuersbrünste. Da überdies die Verwaltung des Stiftes schlecht funktionierte und häufig Unterschlagungen vorkamen, mussten mehrmals staatliche Kommissionen eingreifen, um die Wirtschaft in geordnete Bahnen zu lenken. 1821 fand auch eine geistliche Visitation durch den Wiener Weihbischof statt, die verschiedene Missstände im Kloster abstellte.

Es wirkt wie ein Wunder, dass trotz all dieser Misshelligkeiten die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts für das Stift Klosterneuburg eine geistige Blütezeit war. Kaum je zuvor hatten so viele illustre Gelehrte zugleich im Stift gewirkt. Die meisten hatten Lehrstühle an der Wiener Universität inne. Genannt seien der Dogmatiker Daniel Tobenz, die Orientalisten Petrus Fourerius Ackermann und Andreas Mock, der Kirchenhistoriker Jakob Ruttenstock, die Landeshistoriker Maximilian Fischer, Alois Schützenberger und Hartmann Zeibig, der Kanonist Vinzenz Seback. Wilhelm Sedlaczek war Hofprediger, Daniel Tobenz, Gregor Hummel und Franz Xaver Schwoy wirkten als Erzieher und Lehrer im Kaiserhaus.

Allen Schwierigkeiten zum Trotz ließ das Sift auf eigene Kosten zwei bedeutende wissenschaftliche Werke drucken: die damals modernste hebräische Bibelausgabe von Johannes Jahn in vier Bänden (Wien 1806) und die erste gedruckte Geschichte Klosterneuburgs von Maximilian Fischer in zwei Bänden (Wien 1815). Dieser wissenschaftlichen Blüte entsprach auch ein hohes spirituelles Niveau. Die Chorherren des Stiftes, die niemals voll mit der Aufklärung sympathisiert hatten, standen der Romantik nahe und unterhielten enge Beziehungen zum heiligen Clemens Maria Hofbauer und zu seinem Kreis. Die Begräbnismesse für Hofbauer hielt der schon genannte Prof. Ackermann. Seine soziale Verpflichtung vergaß das Stift auch in dieser schweren Zeit nicht. Seit 1812 entstand in der Nähe von Meidling eine neue Siedlung. Das Stift schenkte den Siedlern einen großen Grundkomplex und gestattete die Errichtung einer Gemeinde. Aus Dankbarkeit nannten die Einwohner diesen Ort nach dem Propst Gaudenz Dunkler 1819 "Gaudenzdorf".

Nach dem Tod dieses Propstes wurde 1830 Jakob Ruttenstock, Professor für Kirchengeschichte an der Wiener Universität, zum Nachfolger gewählt. Man kannte den Mann - er war übrigens mit Joseph von Sonnenfels verschwägert - als tüchtigen Gelehrten und beliebten Prediger, aber er zeigte sich nun auch als vorzüglicher Wirtschafter. Es gelang ihm, binnen weniger Jahre die zerrütteten Finanzen des Stiftes so weit zu sanieren, dass man endlich daran denken konnte, den unfertigen Kaisertrakt wenigstens zu einem Viertel fertigzustellen. Dieses größte Bauunternehmen seit der Barockzeit führte der Architekt Joseph Kornhäusel 1834 bis 1842 durch. Damit wurden auch für die Stiftsbibliothek geeignete, repräsentative Räume geschaffen.

In den Jahren 1838 bis 1840 gestaltete der berühmte Kunstgärtner Konrad Rosenthal, der Schöpfer vieler herrschaftlicher Parks, den Stiftsgarten neu. Er legte ihn als englischen Garten mit verschiedenen seltenen Gewächsen an.

Die Revolution des Jahres 1848 schlug in Klosterneuburg keine hohen Wellen, doch hatte sie schwerwiegende wirtschaftliche Folgen. Wie alle Gemeinden stellte auch Klosterneuburg eine Nationalgarde auf, die jedoch nicht wie sonst üblich ein Instrument der Revolution war. In Klosterneuburg war ihre Hauptaufgabe, die immer wieder aus Wien heranmarschierenden Nationalgardisten und andere Revolutionäre zu bewachen und wieder zurück nach Wien zu eskortieren. Solche revolutionären Trupps wurden vom Stift regelmäßig in den Stiftskeller geladen, wo sie Propst Wilhelm Sedlaczek empfing und reichlich mit Speis und Trank versorgen ließ. Befriedigt und gesättigt zogen sie jedesmal heim nach Wien, bis an die Stadtgrenze von der Klosterneuburger Nationalgarde geleitet. All das kostete das Stift große Summen. Der Chronist Maximilian Fischer beziffert den Gesamtschaden des Jahres 1848 mit rund 70.000 Gulden.

Darin waren aber noch nicht die weit höheren Einbußen enthalten, die das Stift durch Abschaffung von Robot und Zehent und durch die Aufhebung der Grundherrschaften erlitt. Zum Ausgleich wurde aus den spärlichen Ablösesummen eigener Grundbesitz erworben: 1852 das Gut St. Bernhard bei Horn, ein ehemaliges Zisterzienserinnenkloster, und 1855 drei Güter in Ungarn.

Im Gefolge des Konkordates von 1855 wurde eine Visitation sämtlicher Klöster und Ordenshäuser in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie angeordnet. Vom 14. bis 18. Oktober 1855 waren Bischof Franz Joseph Rudigier und Dechant Jodok Stülz von St. Florian als Visitatoren im Stift Klosterneuburg. Sie ordneten verschiedene Neuerungen und Verbesserungen an, doch ihren Hauptzweck, die Bildung einer Österreichischen Chorherrenkongregation, konnte die Visitation nicht erreichen, denn die Bischöfe waren nicht bereit, auf ihre Jurisdiktion über die Chorherrenstifte zu verzichten. Auf Anregung der k. k. Landwirtschaftsgesellschaft errichtete Propst Adam Schreck 1860 eine Obst- und Weinbauschule. Sie war die erste landwirtschaftliche Schule Österreichs und das zweite Institut dieser Art in Europa. Die Schule nahm einen solchen Aufschwung, daß sie sehr bald über den geplanten Rahmen hinauswuchs. 1874 wurde sie vom Staat übernommen und übersiedelte 1877 in das neue, große Schulgebäude, für welches wiederum das Stift den Baugrund geschenkt hatte. Die soziale Verantwortung des Stiftes ist auch daraus zu ersehen, daß es 1875, 1898 und 1908 je ein großes Wohnhaus für seine Bediensteten errichtete, mit Dienstwohnungen, die für damalige Verhältnisse sehr komfortabel waren.

Die größten Summen wurden aber für die Kunst ausgegeben. 1865 begann man mit Restaurierungsarbeiten an der Kirche und ihren Nebenräumen, die sich bis zum Jahre 1900 hinzogen, selbstverständlich im Stil des damals üblichen Historismus.

Die Mittel füralldiese kostspieligen Vorhaben konnte das Stift dadurch aufbringen, daß viele Grundstücke für die Donauregulierung verkauft wurden. Auch das Wachstum der Stadt Wien wirkte sich günstig aus, denn bisher schlecht nutzbares Land wurde plötzlich zu wertvollem Baugrund. Die Versuchung war groß, bloß von den Zinsen des Kapitals zu leben. Glücklicherweise waren die Verantwortlichen einsichtig genug, die traditionellen Wirtschaftszweige weiter zu betreiben, auch wenn das gelegentlich wie ein sentimentaler Luxus aussah. Aber in der Inflation nach dem Ersten Weltkrieg zeigte sich, dass nur die Landwirtschaft das wirtschaftliche Überleben des Stiftes garantierte.

Innere Schwierigkeiten im Konvent führten zu einer Apostolischen Visitation in den Jahren 1904 bis 1906, doch brachte diese das positive Ergebnis, daß sich die Österreichischen Chorherrenstifte zu einer Kongregation zusammenschlossen und damit endlich die Exemtion erlangten. Im Jahre 1907 wurde Friedrich Piffl zum Propst des Stiftes gewählt. Er hatte sich als Kaplan in Wien intensiv für die sozialen Anliegen der Bevölkerung eingesetzt, zugleich aber auch als tüchtiger Professor der Moraltheologie und vorzüglicher Leiter der Stiftswirtschaft bewährt. Seine kurze Regierungszeit zählt zu den fruchtbarsten der Stiftsgeschichte. Als Propst förderte er die Wissenschaft in jeder Weise. Die theologische Hauslehranstalt reformierte er dahingehend, daß sie wirklich Hochschulniveau erreichte. Er begründete das "Jahrbuch des Stiftes Klosterneuburg" und unterstützte alle wissenschaftlichen Studien seiner Mitbrüder. 1910 stellte das Stift der neugegründeten Abteilung für Kirchenmusik an der k. u. k. Akademie für Musik und Darstellende Kunst die erforderlichen Räume im Altstift zur Verfügung und sorgte unentgeltlich für deren Wartung und Heizung. Die Akademie machte Klosterneuburg in der ganzen musikalischen Welt bekannt. Ihr Leiter war der Stiftsorganist Vinzenz Goller, dessen kirchenmusikalische Reformversuche starken Widerhall fanden. Propst Friedrich Piffl förderte auch die moderne Kirchenkunst, so ließ er zum Beispiel 1911 den berühmten Ornat im Jugendstil herstellen. Im selben Jahr wurde die ehemalige Chorfrauenkirche im Schiefergarten, die seit 1722 als Getreidespeicher gedient hatte, zum "Vereinshaus" umgebaut, in dem die katholischen Vereine verschiedene Räume für ihre Tätigkeit und einen großen Theatersaal erhielten.

In diese Zeit fällt auch das soziale Engagement des Chorherrn Rudolf Eichhorn, der sich als Reichsratsabgeordneter unermüdlich für die Rechte der Arbeiter einsetzte. In ähnlicher Weise engagierten sich Engelbert Fischer für die gute Jugendliteratur, Roman Himmelbauer und Petrus Rumler für die Erwachsenenbildung. Im Jahre 1904 führte Pater Heinrich Abel S.J. die erste Männerwallfahrt nach Klosterneuburg, die zu einer feststehenden Einrichtung wurde und alljährlich den Charakter einer kirchenpolitischen Demonstration hatte. Sie findet noch heute statt, gewöhnlich von einem Bischof angeführt, mit dem Höhepunkt einer programmatischen Predigt. Daneben gab es noch viele Wallfahrten um das Fest des heiligen Leopold.

Namentlich nach dem Zweiten Weltkrieg fanden Kinder-, Jugend- und Frauenwallfahrten statt. Auch einzelne Pfarren veranstalteten große Wallfahrten zum heiligen Leopold. Heute findet neben der traditionellen Männerwallfahrt alljährlich noch die Ministrantenwallfahrt statt.

Für das Stift Klosterneuburg war es ein Unglück, dass Propst Friedrich Piffl 1913 zum Erzbischof von Wien ernannt wurde, denn dieser fähige Mann hätte die großen Schwierigkeiten, die der Erste Weltkrieg und die Nachkriegszeit für das Stift brachten, wahrscheinlich besser meistern können als sein Nachfolger. Bei Ausbruch des Krieges hatte das Stift mit 95 Konventualen den höchsten Personalstand seiner Geschichte. Die Pause der Kriegsjahre führte zu einer Verringerung dieser Zahl.

Das Stift musste im Krieg zwei Lazarette einrichten und unterhalten. Durch die Inflation der Nachkriegszeit gingen alle Kapitalien verloren, und infolge der schlechten Wirtschaftslage war auch der Ertrag der Stiftsbetriebe gering. Deshalb sah sich das Stift 1921 gezwungen, seine uralte Schule aufzulassen. Sie wurde vom Land als öffentliche Schule weitergeführt. Ebenso musste das Stift seine Apotheke aufgeben, aus der die Stiftsangestellten seit dem 16. Jahrhundert kostenlos Heilmittel bezogen hatten, und die Zuwendungen an die Kirchenmusikakademie einstellen. Sie übersiedelte 1924 nach Wien. Die Stiftsbibliothek musste einige kostbare Inkunabeln verkaufen, um dringend nötige Geldmittel zu beschaffen. Nur langsam erholte sich das Stift von den wirtschaftlichen Schwierigkeiten. In einer Hinsicht aber hatte der Krieg für Klosterneuburg segensreiche Folgen. Der Chorherr und Theologieprofessor Dr. Pius Parsch (1884-1954) lernte als Feldkurat an der Front die Menschen aus nächster Nähe kennen und erfuhr, wie wenig sie vom Wesen des katholischen Glaubens, von der Liturgie und von der Bibel wussten. Nach seiner Heimkehr aus dem Krieg versuchte er dies zu ändern. Er begann Bibelstunden zu halten - bisher in der katholischen Kirche unerhört - und das Volk in die Feier der Liturgie einzuführen. Seine Schriften wurden in viele Sprachen übersetzt, die "Klosterneuburger Messtexte" erreichten Millionenauflagen, die "Klosterneuburger Betsingmesse" wurde in der ganzen katholischen Welt zum Begriff. Die liturgische Erneuerung der Gegenwart wäre ohne die Pionierarbeit von Pius Parsch nicht denkbar. Seine volksliturgischen Gottesdienste feierte er in der alten Spitalkirche St. Gertrud, die stilvoll erneuert und bald Ziel der Liturgiefreunde aus aller Welt wurde. In dieser Kirche hat Pius Parsch, der wohl der berühmteste Chorherr in der Geschichte des Stiftes Klosterneuburg war, seine letzte Ruhestätte gefunden.

Das Jubiläum des Jahres 1936 - 800. Wiederkehr des Todestages St. Leopolds - erweckte viele Impulse. Für die ständestaatliche Regierung war es ein Anlass, den Österreichischen Staatsgedanken zu propagieren. Die großen Feierlichkeiten zeigten, obwohl sie religiös motiviert waren, deutlich die Abwehr gegen den Nationalsozialismus. Aus diesem Anlass wurde der neue Silberschrein des heiligen Leopold geschaffen.

Alle Bemühungen des Ständestaates waren umsonst, Hitlers Truppen marschierten ein, und Österreich wurde dem Deutschen Reich eingegliedert. Für das Stift Klosterneuburg hatte das üble Folgen. Bereits 1938 musste das seit über 300 Jahren bestehende Sängerknabenkonvikt aufgelöst werden, 1939 verlor die theologische Lehranstalt des Stiftes das Offentlichkeitsrecht. Die von Pius Parsch eingerichtete Druckerei wurde eingestellt, ihre Maschinen beschlagnahmt. Das Stift wurde unter öffentliche Verwaltung gestellt und musste einen großen Teil seiner Besitzungen abtreten. Schließlich wurde das Stift am 30. April 1941 gänzlich aufgehoben und enteignet. Die Chorherren mussten das Haus verlassen, wurden zunächst im Wiener Piaristenkloster interniert und später auf die verschiedenen Stiftspfarren verteilt. Im Stift durfte zur Aufrechterhaltung der Seelsorge nur der Pfarrer mit drei Kaplänen in einem streng abgesonderten Trakt wohnen. Glücklicherweise übernahm das Kunsthistorische Museum die Verwaltung des Hauses. Daher blieb der gesamte Kunstbesitz nicht nur erhalten, sondern wurde auch fachgemäß gepflegt und zum Teil restauriert. In den Kellern des Stiftes wurde ein großer Teil der Bestände des Kunsthistorischen Museums und der Wiener Schatzkammer geborgen.

War also für die Kunst ausreichend gesorgt, so erlitten die Wirtschaftsbetriebe durch die Aufhebung sehr schwere Schäden. Es ist übrigens interessant, dass die ungarische Regierung die Aufhebung des Stiftes nicht anerkannte. Die ungarischen Güter wurden auch nach der Aufhebung weiter von einem Chorherrn verwaltet. Erst 1944 wurden sie von der nationalsozialistischen Pfeilkreuzler-Regierung enteignet. Dem schloss sich das kommunistische Regime an.

Der Krieg kostete einer ganzen Reihe junger Chorherren das Leben. Auch einen patriotischen Blutzoll musste das Stift den nationalsozialistischen Machthabern leisten. Der Chorherr Roman Scholz, ein begabter Dichter und begeisternder Jugendseelsorger, war ursprünglich vom Gedankengut des Nationalsozialismus angezogen gewesen, erkannte aber bald die Gefährlichkeit dieser Bewegung. Schon im Herbst 1938 rief er eine Widerstandsgruppe ins Leben, der viele seiner Schüler und Freunde angehörten. Die Gruppe verfolgte nur geistige Ziele. Sie wollte das Volk über das wahre Wesen des Nationalsozialismus aufklären, lehnte aber Gewaltanwendung ab. Ein eingeschleuster Spitzel ließ die Gruppe auffliegen. Die Mitglieder erhielten harte Strafen. Roman Scholz wurde am 10. Mai 1944 hingerichtet.

Das Stift überlebte nicht nur die nationalsozialistische Besetzung unbeschädigt. Auch der russische Einmarsch 1945, so schmerzlich er für die Klosterneuburger Bevölkerung war, hat das Stift verschont. Der damalige Stiftspfarrer Oswald Rod, der schon den nationalsozialistischen Machthabern mutig entgegengetreten war, trat gegen die Besatzungsmacht ebenso unerschrocken auf und konnte damit großes Unheil von Stift und Stadt abwehren. In Tattendorf allerdings wurde der Chorherr Alois Kremar, als er in seinem Pfarrhof Frauen schützen wollte, von eindringenden Russen am 3. April 1945 erschossen.

Offiziell konnten die Chorherren am 30. April 1945, auf den Tag genau nach vier Jahren, in ihr Stift zurückkehren. Das beschlagnahmte Eigentum erhielten sie nach und nach zurück. Diese Jahre waren zweifellos die schwierigsten in der Geschichte des Stiftes. Als Alipius Linda 1937 zum Propst des Stiftes gewählt wurde, konnte er nicht ahnen, was ihm bevorstand. Er führte aber sein Stift mit großer Klugheit und viel Mut trotz gesundheitlicher Behinderung durch diese schweren Jahre. Als er 1953 starb, war das Schlimmste überwunden. Sein engster Mitarbeiter Gebhard Koberger, der nun zum Propst gewählt wurde, konnte an das Werk des Wiederaufbaus schreiten. Er wurde übrigens als erster Österreicher 1969 zum Abt-Primas des gesamten Augustiner-Chorherrenordens gewählt. Der Wiederaufbau der Wirtschaft wird an anderer Stelle gewürdigt. Für das Kloster war der geistige Wiederaufbau wichtiger. Er geschah im Zeichen von Pius Parsch. War dieser zuvor ein Einzelgänger gewesen, dessen Ideen wohl der uralten Tradition des Ordens und des Stiftes entsprachen, der aber doch nur wenige Verbündete unter den Mitbrüdern besaß, so änderte sich das nach dem Krieg. Nun machte sich das Stift offiziell seine Ideen zu eigen, Pius Parsch wurde zum Lehrmeister der Ordensjugend. Freilich war Klosterneuburg nun nicht mehr im selben Maß wie früher das Zentrum der "Volksliturgischen Bewegung", denn diese war inzwischen Allgemeingut geworden. Sein Erbe wird weitergeführt durch das Österreichische Katholische Bibelwerk, das im Stift seinen Sitz hat, geleitet vom Chorherrn Dr. Norbert Höslinger, einem Schüler von Pius Parsch.

Einige von Bomben zerstörte Kirchen und Pfarrhöfe musste das Stift wiederaufbauen. Darüber hinaus förderte und finanzierte das Stift in seinen Pfarren verschiedene Heime und Jugendzentren. 1961 bis 1964 wurde ein neues Juvenatsgebäude zur Heranbildung der Ordensjugend erbaut, das leider nach drei Jahrzehnten wegen Mangels an Nachwuchs geschlossen werden mußte. Ebenso erging es dem 1954 wiedererrichteten Sängerknabeninternat. Als soziale Leistung wurde 1975 bis 1979 eine große Wohnhausanlagefür die Stiftsbediensteten errichtet. Sie soll zugleich ein Denkmal für das II. Vatikanische Konzil sein, an dem Propst Gebhard Koberger als Generalabt der Österreichischen Chorherren teilnahm.

Besonders viel hat das Stift in den letzten Jahrzehnten für die Erhaltung und Pflege seines kulturellen Erbes aufgewendet. Das Stiftsmuseum, 1958 neu eröffnet, hält all- jährlich Sonderausstellungen ab und wird systematisch ausgebaut. Die Stiftsbibliothek, in den letzten Jahren neu adaptiert, ist die größte Österreichs. Das große Stiftsarchiv, 1971 im ehemaligen Fürstentrakt untergebracht, ist eine stark frequentierte Forschungsstätte. Das Jahrbuch des Stiftes Klosterneuburg, das 1919 wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten sein Erscheinen einstellen mußte, wurde 1961 wiederbelebt und genießt hohes Ansehen in wissenschaftlichen Kreisen. Durch seine Finanzierung leistet das Stift einen bedeutenden Beitrag zur heimischen Geschichts- und Kunstforschung. Anlässlich des 500-Jahr-Jubiläums der Heiligsprechung St. Leopolds wurde das Stift einer Gesamtrestaurierung unterzogen. Sie begann 1975 und ist bis heute nicht vollendet. Vor allem die Innenrenovierung der Kirche steht noch aus. Aber was bisher geschehen ist, hat nicht nur zur Verschönerung des Stiftes beigetragen, sondern auch eine Fülle neuer Erkenntnisse und Entdeckungen gebracht. Ihre Auswertung und Präsentation ist weiterhin Aufgabe des Stiftsmuseums und seiner Mitarbeiter. Im Jahre 1985 wurde zum 500-Jahr-Jubiläum der Heiligsprechung St. Leopolds im Stift die niederösterreichische Landesausstellung "Der heilige Leopold- Landesfürst und Staatssymbol" vom 30. März bis 3. November veranstaltet. Von den 629 Objekten waren 368, also mehr als die Hälfte, aus dem Besitz des Stiftes. Mit fast 350.000 Besuchern war die Ausstellung ein schöner Erfolg und fand viel Beifall.

Im Jubiläumsjahr erhielt die Stiftskirche drei neue Glocken, wodurch endlich das seit 1942 unkomplette Geläute wieder vervollkommnet wurde. Weiters wurde im Jubiläumsjahr das "Leopoldskreuz für die Verdienste um das Stift Klosterneuburg" in drei Klassen gestiftet. Ein festlicher Anlass war auch das Goldene Priesterjubiläum des Propstes Gebhard Koberger am 27. Juni 1985. Aus diesem Anlass wurde das Propst-Gebhard-Koberger- Institut für die Erforschung der Geschichte der Augustiner-Chorherren gegründet. Seine erste Aufgabe ist die Herausgabe des "Österreichischen Chorherrenbuches". Von den geplanten drei Bänden liegen mit dem vorliegenden Buch bereits zwei vor.

In der Regierungszeit Gebhard Kobergers ist sehr viel geschehen. Neue Initiativen wurden ergriffen, unter denen einige allerdings nicht von Dauer waren, die Wirtschaft des Stiftes wurde neu geordnet, viele kulturelle Initiativen ins Leben gerufen, das Stift wurde restauriert, eine Reihe von Bauten (Sebastianikapelle, Konzils-Gedächtnisbau, Pfortenhof u. a.) wurden neu errichtet. Am 24. Dezember 1994 konnte der Propst bei der Vollendung seines 85. Lebensjahres auf große Leistungen zurückblicken. Nachdem er im Herbst 1995 die längste Regierungszeit unter allen Pröpsten der Geschichte erreicht hatte, legte er aus Gesundheitsgründen am 18. November 1995 sein Amt zurück. Am 14. Dezember 1995 wählten die Mitbrüder den bisherigen Stiftsdechant Bernhard Backovsky zum 66. Propst des Stiftes. Er erhielt am 14. Januar 1996 von Erzbischof Christoph Schönborn unter großer Beteiligung des Volkes in der Stiftskirche die Abtbenediktion.

Wirtschaftliche, rechtliche und soziale Verhältnisse

Wirtschaftliche Verhältnisse

Die Gründungsausstattung des weltlichen Kanonikerstiftes war sehr reich. Die materiellen Grundlagen für das Leben der Gemeinschaft beruhten zunächst auf dem Eigenbesitz der Kanoniker, zu dem deren Familien noch Stiftungen hinzufügten. Entscheidend war die markgräfliche Dotation. Sie bestand zunächst aus drei aufeinanderfolgenden Güterübertragungen: 1. Eigenbesitz in Rückersdorf; 2. Eigenbesitz in Moosbierbaum, Klosterneuburg, Baden usw.; 3. Besitz in Pyhra, Harmannsdorf und Jedenspeigen. Die drei Übertragungen fanden vor dem 24. September 1113 statt, jedoch nicht gleichzeitig. Ein Teil dieses Besitzes wurde bald mit dem Stift Melk gegen andere Einkünfte (Ravelsbach) eingetauscht. In der als Stiftsbrief geltenden, gefälschten Urkunde von angeblich 1136 (in Wirklichkeit 1141), deren rechtlicher Inhalt jedenfalls authentisch ist, wird das Dotationsgut nicht angegeben. Es lässt sich nur aus den Notizen im Traditionskodex rekonstruieren. Erst die Bestätigung Papst Eugens III. vom 27. Dezember 1146 ermöglicht einen Überblick über den aktuellen Besitzstand des nunmehrigen Klosters. Zu den markgräflichen Dotationen kamen demnach noch zahlreiche Zehenteinnahmen, vor allem nördlich der Donau, hinzu. Zahlreich waren auch die Stiftungen weiterer Adeliger. Sie betrafen aber alle nur Besitz in der babenbergischen Mark. In der Mitte des 12. Jahrhunderts erstreckte sich der klösterliche Grundbesitz hauptsächlich in der näheren Umgebung Klosterneuburgs, ebenso im Weinviertel, an den Abhängen des Wienerwaldes und im Wiener Becken. Er bestand größtenteils aus Eigenbesitz (predium, d. h. Gesamtbesitz des Stiftes an einem Ort) und Weingärten.

Das älteste Urbar des Stiftes wurde 1258 angelegt und weist 26 Ämter (Zentren der Grundherrschaft) mit weit über 150 Ortschaften aus. Die Abgaben der Untertanen bestanden zum Teil aus Geld, zum Teil aus Naturalien (Getreide, Eier, Kühe, Hühner, Schweine, Felle und Wein). Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage des Stiftes, u. a. auf Grund der allgemein schlechten Wirtschaftslage, die zum Rückgang der Stiftungen und Schenkungen führte. Die Sorge um den materiellen Bestand des Stiftes drängte wissenschaftliche und spirituelle Aktivitäten zurück. Das Stift musste Darlehen aufnehmen und Güter verpachten. Aber am Beginn des 14. Jahrhunderts erfuhr die stiftliche Wirtschaft einen derartigen Aufschwung, dass Propst Stephan von Sierndorf (1317-1335) ein zu jener Zeit in Österreich einzig dastehendes kulturelles Mäzenatentum entfalten konnte. Propst Ortolf von Walkersdorf (1349-1371) suchte, den Besitz des Stiftes durch zahlreiche Ankäufe zu vermehren, wobei er allerdings mitunter die Belastungsfähigkeit des Stiftes überschätzte. Von Anfang an bildete der Weinbau das Rückgrat der stiftliehen Wirtschaft. Zum ältesten Besitz gehören Weingärten, die zum Teil noch heute im Besitz des Stiftes sind. Aber neben dem Eigenbau spielte schon seit dem 12. Jahrhundert der Weinhandel eine große Rolle. Da der Wein hauptsächlich donauaufwärts nach Oberösterreich und Bayern verschifft wurde, wo es viele Maut- und Zollstellen gab, waren Privilegien der Mautfreiheit besonders wichtig, wie sie das Stift seit Herzog Leopold V. besaß. Das Stift war auch der einzige Weinproduzent neben den bürgerlichen Weinhauern, der das Recht hatte, in der Stadt seinen eigenen Wein auszuschenken.

Gegen Ende des 14. Jahrhunderts konnte Propst Peter Lenhofer (1394-1399) nicht nur den Südturm der Stiftskirche errichten lassen, sondern auch beträchtlichen Besitz erwerben. Er kaufte den ganzen Besitz des Stiftes Formbach innerhalb des Klosterneuburger Gerichtsbezirkes auf und erwarb Grundstücke in Döbling, Salmarmsdorf und Sievering. Die Hussitenkriege fügten dem Stift beträchtliche wirtschaftliche Schäden zu. Nicht nur die von Herzog Albrecht V. verordneten, hohen Steuern legten dem Haus schwere Lasten auf. Da von den Hussiten viele dem Stift untertänige Ortschaften verwüstet wurden, erlitt es auch einen großen Ausfall an Einkünften. 1463 stiftete Herzog Albrecht VI. dem Stift zur Wiedergutmachung der Schäden, die das Stift durch seine Kämpfe mit dem Bruder Friedrich III. erlitten hatte, ein großes Deputat von 200 Fudern Salz jährlich. Durch die Vereinigung des Stiftes St. Dorothea mit Klosterneuburg erhöhte sich dieses Salzdeputat noch beträchtlich, wurde aber 1920 von der Republik Österreich gestrichen. Auch die Eroberung durch die ungarischen Truppen des Königs Matthias Corvinus im Jahre 1477 verursachte große Schäden, vor allem im Klosterneuburger Stiftshof vor dem Schottentor in Wien. 1501 war das Stift schon wieder so finanzkräftig, dass es die Feste Stoitzendorf samt allen Zugehörigkeiten kaufen konnte. Die Türkenbelagerung von 1529 brachte wiederum große Einbußen, da der Stiftshof vor dem Schottentor ganz zerstört und auch die Untere Stadt in Klosterneuburg geplündert und verbrannt wurde. Der Wiener Stiftshof wurde 1581 durch ein Haus am Minoritenfriedhof ersetzt, das aber den Anforderungen nicht genügte. 1604 erwarb das Stift das Haus in der Renngasse, das bis ins 20. Jahrhundert als Stiftshof diente. Der 1548 im Stift erstmals auftretende Protestantismus führte nicht nur zum Niedergang des klösterlichen Lebens, sondern auch zu einem wirtschaftlichen Abstieg. Nicht zuletzt die schwere Verschuldung des Stiftes war es, die zur Absetzung des protestantischen Propstes Peter Hübner im Jahre 1563 führte. Da sein Nachfolger Leopold Hintermayr besser wirtschaftete, blieb er ungeschoren, obwohl auch er dem Luthertum anhing. Erst nach seinem Tod 1577 griff die Regierung energisch ein und zwang dem Stift den katholischen Wiener Domdechant Kaspar Christiani als Propst auf, der nicht nur den Konvent wieder katholisch machte, sondern auch die Wirtschaft umfassend zu sanieren begann, was sein Nachfolger Balthasar Polzmann erfolgreich fortsetzte. In der Folge konnten neue Güter angekauft werden, wie 1629 das Schloss und die Herrschaft Hagenbrunn, im selben Jahr Untertanen in Großengersdorf, 1630 die Feste Reinprechtspölla, 1637 das Dorf Kagran, 1650 Untertanen in Kagran und Hirschstetten. Der Meierhof in Tuttendorf, der zu den ältesten Besitzungen des Stiftes gehört, wurde 1665 neu erbaut. Man bemühte sich aber auch, die Wirtschaft rationeller zu gestalten und entlegene oder unrentable Besitzungen abzustoßen. So wurde 1679 das Gut Eitenthal verkauft und 1686 der Lesehof in Krems, der dem Stift schon 1264 geschenkt worden war. Im Zuge dieser Rationalisierungsmaßnahmen wurde 1670 der neue, große Schüttkasten erbaut, der heute den Stiftskeller beherbergt. Die Türkenbelagerung von 1683 brachte schwere Schäden für das Stift und die Stadt Klosterneuburg, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht. Die Untere Stadt und das Neusiedel mit dem Stiftsspital wurden zerstört, viele Untertanen verloren Hab und Gut und schieden damit als Steuerzahler aus. Aber die Wirtschaft erholte sich nach dem Sieg überraschend schnell, die zerstörten Gebäude konnten bald wieder aufgebaut werden. 1691 erwarb das Stift Schloss und Gut Hasendorf, und 1703 ermöglichte es die Gründung des Wiener Vorortes Neulerchenfeld. Das gigantische Projekt des "Österreichischen Escorial", das schon besprochen wurde, kostete das Stift ungeheure Summen. Sie sind durch die erhaltenen Baurechnungen genau belegt und wurden von Wolfgang Pauker ediert. In den Jahren 1749 bis 1760 ließ das Stift den Wiener Stiftshof durch den Architekten Matthias Gerl neu erbauen. Dieses schöne Gebäude fiel am 12. März 1945 den Bomben zum Opfer. Das benachbarte Palais Windischgraetz, 1702/03 von Christian Alexander Oettl erbaut, konnte schon 1936 vom Stift erworben werden und erfüllt heute die Aufgaben des Stiftshofes.

1751 konnte das Gut Prinzendorf erworben werden, 1756 die Niederwallseeische Grundherrschaft zu Kritzendorf und 1773 der Freihof zu Kagran. 1786 kaufte das Stift vom Staat den Leopoldsberg samt Kirche. Dieser war bereits im 13. Jahrhundert durch ein Legat der Herzogin Theodora an das Stift Klosterneuburg übergegangen, dem Stift aber immer vorenthalten worden. Die josephinischen Reformen brachten für die Wirtschaft des Stiftes große Änderungen. Das 1786 eingeführte Erbpachtsystem benachteiligte die Grundherrschaften dermaßen, dass es das Stift für vorteilhafter erachtete, den Pächtern die Grundstücke gegen eine geringe Entschädigung ins Eigentum zu übertragen. Damit ist das Ende für die meisten "Ämter" des Stifts gekommen. Auch die Arbeitsleistungen der Untertanen (Hand- und Zugrobot) werden durch eine einmalige Zahlung (Robot-Abolition) abgelöst. Bisher waren die Besitzungen in der altertümlichen Form von verschiedenen Kanzleien verwaltet worden, die Kompetenzen zwischen Rentkammer und Oberkammer waren nicht klar abgegrenzt. Daher wurde im Jahre 1786 die gesamte Verwaltung in einer Hauptkanzlei konzentriert. Der oberste Ökonom des Stiftes, der bisher "Oberkellerer" genannt wurde, nahm nun den Titel "Kanzleidirektor" an. Die Kompetenzen der Beamten wurden genau geregelt, was sich in den kommenden, schwierigen Jahren als sehr nützlich erweisen sollte. 1787 wurde der Betrieb der Stiftsbäckerei eingestellt, nachdem schon 1765 die alljährliche Hoftafel und 1769 die Haltung der kaiserlichen Jagdhunde abgeschafft worden war. Wie schon im vorigen Kapitel erwähnt, wurde 1802 das Vermögen des aufgehobenen Chorherrenstiftes St. Dorothea in Wien dem Stift Klosterneuburg übertragen, das dafür allerdings eine sehr hohe Religionsfonds-Steuer entrichten musste. Über die großen Schäden, die die Wirtschaft des Stiftes durch die französischen Besatzungen 1805 und 1809 sowie durch die Ablieferungen des Jahres 1810 erlitt, wurde schon an anderer Stelle berichtet. In der Folge verkaufte das Stift 1816 auch die Herrschaft Pirawarth, die durch Jahrhunderte für die Pröpste und Chorherren des Stiftes ein geschätzter Kurort gewesen war.

Die Erholung der Wirtschaft unter Propst Jakob Ruttenstock zeigte sich auch darin, dass nun wieder Neuerwerbungen möglich waren. 1832 kaufte das Stift die Herrschaft Jedlersdorf, 1840 die Herrschaften Strebersdorf und Jedlesee. 1834 bis 1842 konnte der unvollendete Kaisertrakt wenigstens zu einem Viertel abgeschlossen werden. Die Revolution von 1848 führte eine Umwälzung der wirtschaftlichen Verhältnisse herbei. Die Grundherrschaften wurden aufgelöst, das Untertänigkeitsverhältnis beendet. Gewisse bisherige Leistungen wurden gegen eine geringe Entschädigung aufgehoben, alle übrigen ohne Entgelt. Schon zuvor hatte das Stift, um Unruhen zu vermeiden, auf die Einhebung des Bergrechts (Steuern für Weinbau) verzichtet und bestehende Schulden nachgelassen. Aber Wiener Bürger, keineswegs arme Leute, holzten in seltsamer Auffassung der neuen Freiheit einen großen Teil der stiftliehen Wälder rings um Wien ab, was einen großen Schaden bedeutete. Da dem Stift durch die Aufhebung der Grundherrschaften viele Einkünfte verloren gingen, trachtete man, durch Erwerb neuer Grundstücke die Substanz des Hauses zu erhalten. 1852 wurde das Gut St. Bernhard bei Horn gekauft, 1855 drei Güter in Ungarn. In den Jahren 1862 bis 1864 wurde der ehemalige Schüttkasten, 1670/71 errichtet, zu einem modernen Gastlokal unter dem Titel "Stiftskeller" ausgebaut und erfreute sich regen Zuspruchs, vor allem von Seiten der katholischen Vereine und Verbindungen.

Die Donauregulierung brachte eine völlig neue Wirtschaftslage. Seit 1872 wurden dem Stift bisher wenig ertragreiche Auwälder und Uferwiesen abgekauft. Durch den Bau der Franz-Josephs-Bahn wurde Klosterneuburg zwar an das Eisenbahnnetz angebunden, dafür aber völlig von der nun regulierten, um 2 km nach Osten verschobenen Donau getrennt. Seither besitzt Klosterneuburg nicht einmal mehr eine Schiffsanlegestelle. Sehr günstig wirkte sich die Stadterweiterung von Wien aus, da bisher wenig ertragreiche Wiesen und Äcker im Gebiet der Vororte von Wien plötzlich wertvoller Baugrund wurden. Das Stift war sich allerdings auch in dieser Zeit seiner sozialen Verantwortung bewusst. Es erbaute nicht nur solide Häuser für die eigenen Angestellten, wie schon erwähnt, sondern trat auch wertvollen Besitz für soziale Zwecke zu einem billigen Preis ab (z. B. das Schloss und die Herrschaft Strebersdorf an die Schulbrüder).

Um das neu gewonnene Kapital zukunftsträchtig anzulegen, erbaute das Stift seit 1905 mehrere Häuser in Wien-Floridsdorf. Ebenso geschah es auch 1929 bis 1931. Die beabsichtigte Rentabilität stellte sich allerdings infolge der Mietengesetzgebung nach dem Krieg nicht ein. 1935 verkaufte das Stift das "Bretteldorf" an der Donau an die Gemeinde Wien und erwarb dafür das Waldrevier Pax (so genannt nach einem früheren Besitzer) bei Schwarzau im Gebirge. Der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich wirkte sich verheerend auf das Stift aus. Schon 1938 wurde ein Teil des Stiftsbesitzes enteignet, was stufenweise weitergeführt wurde, bis schließlich am 30. April 1941 das Stift gänzlich aufgehoben wurde. Während der Kunstbesitz des Stiftes, der vom Kunsthistorischen Museum in Wien bzw. von der Nationalbibliothek und dem Wiener Stadtarchiv verwaltet und sogar fachgemäß betreut wurde, die Zeit der Aufhebung gut überstand, erlitt die Wirtschaft schwere Schäden. Die Grundstücke waren zum Teil aufgeteilt worden, die Weingärten und andere landwirtschaftlich genutzte Flächen lagen brach. Nach der Rückkehr der Chorherren am 30. April 1945 wurde das beschlagnahmte Eigentum allmählich dem Stift wieder zurückgegeben. Was die Russen besetzt gehabt hatten, war größtenteils in desolatem Zustand. In der Folge bemühte sich das Stift, seine Wirtschaft den modernen Gegebenheiten anzupassen. 1952 wurde jenseits der Donau auf den Tuttenhofer Gründen eine moderne Obstplantage von 25 ha angelegt (die größte im deutschen Sprachgebiet), 1953 in Weidlingbach in einem stiftliehen Gebäude die neue Taverne eröffnet. 1958 bis 1960 wird das von der russischen Besatzungstruppe verwüstetete Stiftskellerlokal im ehemaligen Schüttkasten völlig neu gestaltet. Die stiftliche Kellerwirtschaft erlebt seit 1957 große Veränderungen. Die Weinproduktion wird gewaltig ausgeweitet, neue Weinbauflächen werden hinzugekauft und schließlich wird auch das Schlossweingut des Deutschen Ordens in Gumpoldskirchen erworben.

Nach dem Krieg bemühte sich das Stift, in verschiedenenen Wirtschaftszweigen Fuß zu fassen. Die von Pius Parsch gegründete, von den Nationalsozialisten abtransportierte Druckerei wurde nach dem Zweiten Weltkrieg reaktiviert. Sie wurde nicht mehr im Stift eingerichtet, wo sie vorher war, sondern in einer neuen Betriebsstätte in Floridsdorf und ist heute wieder an einem anderen Platz im 22. Bezirk ein ganz neuer, leistungsfähiger Betrieb. Der Druckerei ist der Verlag Mayer & Comp. angeschlossen. Der gleichfalls von Pius Parsch gegründete Buchhandel, der ursprünglich zwei Geschäfte umfasste, ist heute nur mehr in Klosterneuburg aktiv, mit einem sehr attraktiven Kunsthandwerk-Geschäft vereinigt. In Mariazell übernahm das Stift das angesehene Hotel Feichtegger, das allerdings die Erwartungen nicht erfüllte, obwohl sehr viel in dieses Haus investiert wurde. Nicht einmal die Einrichtung einer Kuranstalt brachte den gewünschten Erfolg, denn heute kommen fast nur mehr Tagesgäste nach Mariazell. Seit Jahrhunderten war der Weinbau die Haupteinnahmequelle des Stiftes gewesen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ein Exportnetz ausgebaut, dessen wichtigste Abnehmer Großbritannien und Japan waren. Der Glykolskandal von 1984 war für die stiftliehe Weinwirtschaft eine Katastrophe. 70% des Exports gingen verloren, obwohl das Stift in keiner Weise in den Skandal verwickelt war. Nur mühsam konnte der Weinexport wieder aufgebaut werden. Heute ist durch den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union eine völlig neue Situation entstanden, für die die stiftliche Weinwirtschaft erst neue Strategien entwickeln muss. Das Stift hat sich bemüht, seinen Waldbesitz in dem Maß zu vergrößern, in dem Baugrund veräußert werden musste. So konnte nach dem Zweiten Weltkrieg das Waldrevier Matzen im Weinviertel und später das Revier Schöttl in der Weststeiermark erworben werden. Angesichts der heutigen Wirtschaftslage ist jedoch der Forstbesitz keine sichere Einnahmequelle mehr. Seine Erträge bleiben weit unter den Zahlen der letzten Jahrzehnte. Heute lebt das Stift fast ausschließlich von seinen Pachtgründen. Das ist zwar ein solides Fundament, aber man muss hoffen, dass in der Zukunft auch andere Wirtschaftszweige des Stiftes jenen Ertrag abwerfen, der zur Aufrechterhaltung der Stiftung St. Leopolds nötig ist.

Rechtliche Verhältnisse

Das weltliche Kollegiatstift war eine Eigenkirche des Markgrafen Leopold III. Dementsprechend setzte er seinen erst 14 jährigen Sohn Otto zum Nachfolger des ersten Propstes ein. Und als Otto aus Paris Reliquien nach Neuburg brachte, nahm sie sein Vater als Eigenkirchenherr entgegen. Die Einführung der Augustinusregel im Jahre 1133 bedeutete den Verzicht auf das Eigenkirchenrecht, denn die Regularkanoniker unterstanden prinzipiell dem Diözesanbischof. Nun wurde der Landesfürstautomatisch zum Vogtdes Stiftes, obgleich er diese Gewalt sogleich dadurch einschränkte, dass er das Stift dem päpstlichen Schutz unterstellte. Der Schutzbrief vom 30. März 1135 war eine erste Stufe zur Exemtion und garantierte dem Kloster das Recht der freien Propstwahl. Das ergab eine Doppelstellung zwischen bischöflicher und päpstlicher Gewalt, wobei die Päpste die letztere durch Verleihung verschiedener Privilegien (z. B. öftere Verleihung der Pontifikalien) zu stärken suchten. Daneben bestand die weltliche Vogtei der Landesfürsten, zunächst der Babenberger, dann der Habsburger, bei der allerdings - wie bei den meisten babenbergischen Gründungen - die Gerichtsbarkeit des Vogtes wegfiel. Daher konnte der Propst das Niedergericht ausüben.

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