Stift Au-Gries
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Das Augustiner-Chorherrenstift in der Bozner Au
Der Salzburger Reformkreis des 12. Jahrhunderts, der die Tradition der sogenannten Bischofsklöster aufgriff, brachte neben der Regulierung von bestehenden Domstiften etliche Neugründungen von Kanonikerstiften hervor. Hartmann, der als Domdekan das Salzburger Domstift reguliert und als Propst 1130 Chiemsee reformiert hatte, wurde 1133 als erster Regularpropst in Klosterneuburg installiert. 1140 wurde er Bischof von Brixen. In kurzen Abständen entstanden damals in Südtirol drei Augustiner-Chorherrenstifte: Bischof Hartmann begründete in seiner eigenen Diözese 1142 mit einigen Mitbrüdern aus Klosterneuburg das Stift Neustift; 1144/45 wurde St. Michael an der Etsch in der Diözese Trient (unter Bischof Altmann, ebenfalls aus dem Domstift Salzburg her kommend) mit Chorherren (vermutlich aus Suben) besiedelt; und wahrscheinlich nach 1163, sicher vor 1166, stiftete das kinderlose Ehepaar Arnold (III.) von Morit-Greifenstein und Mathilde von Vallay. Arnolds zweite Gemahlin, auf einem ihrer Gutshöfe in der Bozner Au das dritte in Südtirol, das – wie Neustift – von Klosterneuburg aus besiedelt wurde.
Die Stiftungsurkunde ist nicht erhalten. Das Dokument vom 31. Oktober 1166 jedoch, das Kaiser Friedrich Barbarossa bei seiner Durchreise nach Italien auf Vermittlung des Trienter Bischofs Adalbert († 1172) ausstellte, bestätigt die Existenz des Stiftes sowie die Tatsache, dass nun die Eppaner Grafen Friedrich und Heimich, Verwandte und Erben des Stifterpaares, die Rechte und Pflichten der Vogtei über das Stift in der Bozner Au wahrzunehmen haben.
Arnold von Morit-Greifenstein († 1166) war Vogt des Hochstiftes Brixen gewesen und verwaltete neben dem Kollegiatsstift Innichen und Neustift auch die Grafschaft Bozen. Mathilde († 1172) stammte aus dem Geschlecht der Vallay in Oberbayern, einem Seitenzweig der Grafen von Scheyern-Wittelsbach. 1173/ 1174 bestätigte Papst Alexander III. offiziell seine geistliche Schutzherrschaft über das Stift in der Au. Nach den Entdeckungen und Funden (infolge von Bauarbeiten und archäologischen Grabungen in den Jahren 1983, vor allem 1986) in der Bozner Au kann die Lage des Stiftes ziemlich genau angegeben werden: Die nach Osten hin ausgerichtete Kirche und der Kreuzgang liegen östlich bzw. unter jenem Abschnitt der Alessandriastraße, der sich zwischen der Baristraße und Genuastraße befindet. Die Ausgrabungsergebnisse zeigen weiterhin, dass das mittlere Kirchenschiff 21 m breit und wenigstens 29 m lang gewesen sein dürfte - beachtlich für eine Stiftskirche „auf dem Land" und für die damalige Zeit, ein dreischiffiger Bau, unterteilt von zwei Reihen einfacher Viereckpfeiler, mit halbkreisförmigen romanischen Apsiden, ohne Querschiff und ohne Krypta. Die Apsiden dürften überwölbt gewesen sein, während die Kirchenschiffe vermutlich ein offenes Dach hatten. Es lässt sich ein fester Triumphbogen erschließen, der Boden war mit Ziegelplatten belegt (später durch einen Kalkestrich ersetzt), isolierte Fragmente bemalten Verputzes deuten auf Wandmalereien hin. In der Mitte des Hauptschiffes war ein gemauertes Grab (allerdings ohne Deckplatte, aber mit Skelett in situ) eingesenkt. Ebenso wurden Teile des Kreuzgangs und Reste anliegender, durch spätere Überschwemmungen zerstörter Räume sowie eine Brunnenzisterne und im vermuteten Fassadenbereich einige Gräber gefunden.
Am 21. November 1179 (vielleicht schon 1177) weihte der Apostolische Legat und Patriarch von Aquileja Ulrich II., ein Verwandter der Stifterin Mathilde selig, die Stiftskirche zu Ehren der Muttergottes Maria (zur geschlossenen Pforte), des Täufers Johannes und des Evangelisten Johannes. Der Patriarch bestätigte auch die Schutz- und Besitzprivilegien und die zugestandenen Freiheiten.
Am 11. April 1186 sicherte in Verona Papst Urban III. dem Augustiner-Chorherrenstift in der Au seinen Schutz zu und bestätigte die Besitzrechte und Privilegien. In diesem Dokument werden zum ersten Mal die Güter des Stiftes namentlich genannt. Sie lagen groß räumig verteilt im Bozner Becken, im Burggrafenamt und im Passeiertal, in Überetsch, in Neumarkt, in Petersberg und im Eggental, im Sarntal bis zum Jaufenpaß, in Barbian, im Bruneckerraum und im Antholzertal, im Pfitschtal und im Ridnaun. 1189 wurden im Schutzbrief des Kaisers Friedrich I. (Barbarossa) die Rechte und Güter bestätigt; bezüglich der Vogteirechte wurde bestimmt, dass im Falle des Aussterbens der Eppaner Vögte der Propst und der Konvent nach eigenem Ermessen sich einen Vogt wählen dürften.
Der erste Propst Heinrich kam – wohl mit einigen Mitbrüdern – aus dem Kloster Neustift oder aus Klosterneuburg und wurde im Jahr 1167 in der Au installiert. Ulrich, der vierte Propst in der Au, soll die Leitungsfunktion vorzeitig zurückgelegt haben und 1204 gestorben sein. Propst Heinrich III. wurde aus St. Michael an der Etsch postuliert, wo er 1271 bzw. 1273 bis 1298 das Stift leitete; in Gries waltete er 1298 bis 1302 seines Amtes.
Unter den Aufgaben und Leistungen der zwanzig Pröpste, die die Sorge um das Stift in der Au innehatten, sind vor allem zu nennen: die geistliche Leitung der kleinen Gemeinschaft mit den übernommenen und übertragenen Seelsorgsaufgaben, die Wahrung und Ausweitung der Rechtsprivilegien und Besitzungen, die ihnen von den Landesherren, den Bischöfen von Trient und von den Päpsten gewährt worden waren. Die vermittelnden und friedensstiftenden Fähigkeiten der Pröpste kamen auch immer wieder zum Tragen in öffentlichen Angelegenheiten und bei Auseinandersetzungen zwischen politischen wie geistlichen Amtsträgern. Viele Urkunden über Stiftungen, Besitzstandsklärungen und Bittschreiben um Rechtsbeistand liegen vor, wie Ansuchen um Mithilfe beim Bau der Wassermauern entlang der Talfer und dem Eisack, Akten über Fischereirechte, über Zollbestimmungen zur Einfuhr von Salz bzw. zum Verkauf von Wein, Getreide und Lebensmitteln, Ablassbriefe, Verbrüderungsurkunden und so weiter. Folgende Fakten seien beispielsweise genannt: Propst Gottschalk (1222- 1234) und Propst Answin von St. Michael an der Etsch wurden von Papst Honorius III. beauftragt, im Streitfall mit der Gemeinde Kortsch die Rechte des Klosters Marienberg zu verteidigen. Propst Johannes von Köln (1361-1385) hatte 150 Jahre später (1365) in ähnlicher Weise gegenüber der Stadt Glurns und dem oberen Vintschgau die Rechte Marienbergs geltend zu machen. Propst Berchtold Maiser (1305-1329) schloß mit dem Benediktinerkloster Marienberg 1320 eine Gebetsverbrüderung ab. Propst Heinrich IV. Kropf (1329-1341) wurde von Herzog Johann von Kärnten und Graf von Tirol zu seinem Hofkaplan ernannt. Auch der Stiftbrief des Hiltprant von Firmian und seiner „Wirtin" Adelhait aus dem Jahre 1369 sei erwähnt: Das Ehepaar stiftete eine tägliche heilige Messe auf dem Heilig-Kreuz-Altar der Kirche in der Au, und sie wünschten, in diesem Gotteshaus begraben zu werden. Die Zinsen dafür flossen aus mehreren Höfen in Tisens und von einem Hof auf „Schreck-pichl" (bei Girlan).
Das ständige Problem für das Stift waren die wiederholten, verheerenden Überschwemmungen durch die Flüsse Eisack, Etsch und Talfer und den Fagenbach in der Bozner Au (Wiesen, Äcker, Sumpf gebiet). Auch im Hinblick darauf – "propter in tolerabiles aquarum inundationes" – wurden dem Stift die Pfarren U. L. Frau im Walde (Senale; 1321), Jenesien (1328) und Marling (1394) mit allen ihren Gütern und Einkünften zur Betreuung übertragen.
Das Augustiner-Chorherrenstiftin Gries
Infolge der sich immer wiederholenden Überschwemmungen durch Eisack, Talfer, Etsch und Fagenbach gab es für die Augustiner-Chorherren in der Au keine andere Überlebenschance als die zu Beginn des 15. Jahrhunderts unbewohnbar gewordenen Klostergebäude zu verlassen und einen neuen Lebensraum zu suchen. Herzog Leopold IV. von Österreich, der auch Vogt des Stiftes in der Au war, übergab mit der in Innsbruck ausgestellten Urkunde vom 22. Februar 1406 Propst Christoph und den Choherren in der Au seine landesfürstliche Burg in Gries, nämlich
"Haus und Veste zu Gries und darczu den Graben, so darum geet, mit dem Garten, so daran stosset, und mit der Müln und dem Mulpach, und auch der öden Hofstat dabey gelegen", als künftige Wohnstatt mit allen Freiheiten, Zinsen und Rechten – "ausgenommen unser Landgerichts und des Stabs daselbs zu Gries mit allen Leuten."
1407 bestätigten die Brüder Herzog Leopold, Herzog Ernst und Herzog Friedrich IV. gemeinsam die Schenkung an die Chorherren, die "nu ze Gries ir kloster habent und da wonent." Die erste Erwähnung des in den Ort Gries verlegten Stiftes findet sich in der Urkunde von Senale (U.L.Frau im Walde) vom 4. Juni 1411:"...ecclesie et monasterii sancte Marie Virginis olim de Augea,nunc autem de Gryes prope Bulsanum ..."
Schon ab dem Sommer 1406 stellten die Chorherren von der Au einen Seelsorger für die Kirche U. L. Frau von Chellare in Gries zur Verfügung, nachdem der Weltpriester Friedrich Hakk seine "pfarrchirch Unser lieben Frawn ze Gries pey Pozn im Pistum ze Triend" gegen den jährlichen Zins von 27 Mark Meraner Münze dem "hern Christoffel propst des wirdigen gotshaus Unser lieben Frawn in der Aw unter Pozen" auf zehn Jahre verpachtet hatte. Das Gotteshaus, umgeben vom Friedhof, steht heute noch oberhalb des Grieserplatzes zum Tschögglberg hin. Die Pfarre Chelre (Gries) selbst wurde erst mit der Bulle des Gegenpapst Johannes XXIII. vom 23. Januar 1412 dem Stift inkorporiert. Darin bestätigt der Papst ausdrücklich die Übersiedlung des Augustiner-Chorherrenstiftes von der Au nach Gries. Alle bisher zugestandenen Freiheiten und Privilegien wurden ebenfalls anerkannt. Die Chorherren sollten im neuen Kloster bleiben, die alten Gebäude in der Au aber nicht profanen Zwecken zuführen. Am 14. Mai 1413 wurde im Dom zu Trient Propst "Christophorus de bulzano praepositus Augee" vom päpstlich Beauftragten, dem Propst des Augustiner-Chorherrenstiftes St. Michael an der Etsch, Jakob Payr von Caldiff, feierlich in die nach Gries verlegte Propstei investiert. Am 15. Oktober 1414 unter zeichnete der Gegenpapst Johannes XXIII., der auf seiner Reise zum Konzil nach Konstanz in Meran einen Zwischenhalt machte, die Bulle für Propst Christoph in Gries, in der er ihm erlaubte, die Mitra und d en Abtstab zu gebrauchen, liturgische Geräte zu benedizieren und die niederen Weihen zu erteilen. Gleichzeitig unterstellte er in einer zusätzlichen Bulle das Kloster Gries der römischen bzw. päpstlichen Jurisdiktion.
Nachdem 1417 das Konzil von Konstanz den neuen Papst Martin V. gewählt hatte, erbat sich der Grieser Konvent von diesem sofort die Bestätigung aller von Johannes XXIII. zugestandenen Rechte und Privilegien, woraufhin noch von Konstanz aus 1418 die entsprechende Bulle nachgeliefert wurde.
Nach dem Tod des Propstes Christoph wünschten sich die Grieser Augustiner-Chorherren den in St. Michael an der Etsch amtierenden Propst Jakob Payr von Caldiff als neuen Leiter ihres Konventes. Papst Martin V. gestattete ihm 1419 ausnahmsweise, dass er gleichzeitig zwei Stifte verwalten dürfe. 1432 wurde in Senale die erneuerte Pfarrkirche mit ihren vier Altären samt Friedhof vom Trienter Weihbischof Johannes OFM geweiht, ebenso die Kirche Kosmas und Damian (oberhalb Terlan, unterhalb der Burg Greifenstein). 1433 begrub man Propst Jakob Payr vor dem Kreuzaltar der Grieser Stiftskirche.
Schon 1452 hatte der Brixner Bischof Nicolaus Cusanus in eigener Initiative versucht, das zur Trienter Diözese gehörige Augustiner-Chorherrenstift Gries (unter Propst Hartung) nach dem Vorbild der Windesheimer Augustiner-Chorherren-Kongregation zu reformieren. Drei Jahre später erhielt er den päpstlichen Auftrag dazu. Nachdem Bischof Georg Hack von Trient und Herzog Sigmund von Tirol damit einverstanden waren, ernannte Cusanus 1455 den Neustifter Dekan Johannes Fuchs zum Visitator und Reformator von Gries. Propst Konrad Wolf, der die Reformvorschriften durchzuführen hatte, resignierte 1461 auf sein Amt. Nach langen Auseinandersetzungen wurden mit päpstlicher Erlaubnis in der Pfarre Marling ab 1474 nicht mehr Weltpriester, sondern Chorherren aus Gries als Pfarrherren eingesetzt. Propst Johannes Brixner hatte 1471 im Einvernehmen mit der Ortsgemeinde Gries den Brunecker Künstler Michael Pacher zum Bau eines neuen Altares für die Grieser Pfarrkirche gewinnen können. 1475 war das Schnitzwerk vollendet.
Propst Georg Reichsdorffer war Mitglied des Grieser Gemeinderates und hatte zum Beispiel bei der Ausrüstung und Bewaffnung der Grieser Kompagnie zur Abwehr der Türkengefahr von 1478 und 1489 und bei anderen Gemeindegeschäften mitzureden und entsprechende Geldmittel zur Verfügung zu stellen. Leonhard Gwin wurde im Jahre seiner Profess 1494 zum Propst gewählt, resignierte aber 1499 auf sein Amt. Der daraufhin gewählte Matthaeus Angermayr hatte dieses Amt bis 1506 inne. Nach dessen Tod wählten die Chorherren von Gries den vorhergehenden Propst Leonhard Gwin zum zweiten Mal zu ihrem Vorsteher. In der Zwischenzeit war er als Pfarrvikar in U. L. Frau im Walde tätig gewesen. Propst Melchior Barth (1515-1521) ließ viele Urkunden amtlich vidimieren und 1519 ein Kopialbuch und ein Urbarbuch anlegen. Im Bauernaufstand von 1525 stürmten die Grieser Einwohner auch das Stift, plünderten und raubten; dadurch ging viel Urkundenmaterial verloren. Propst Kaspar Tröster (1533-1540) ließ ein sogenanntes "Stockurbar" anlegen, um die infolge des Bauernaufstandes durcheinander geratene Ökonomie nach und nach wieder in Ordnung zu bringen. Die Güter, die in der Nähe des alten Klosters in der Au lagen, wurden einem sogenannten "Amtmann" zu Lehen gegeben, damit das Gebiet wieder gerodet und bebaut werde. So scheinen die Namen der nachfolgenden Pröpste vor allem in den Wirtschaftsakten auf.
Paulus Schrötter (1571-1596) kaufte unter anderem das Wirtshaus "Zur Gans" in der Stadt Bozen mit den dazu gehörigen Stallungen, die sich in der Rauschertorgasse befanden. Im Kampidell (hinter Flaas) ließ er das Prälatenhaus bauen.
Der durch Kompromiss gewählte Konrad III. Seyfrid (1596) wurde vom Brixner Weihbischof Georg Benigni de Doionis benediziert, und zwar in der Elisabethenkirche der Klarissen in Brixen. Nikolaus Schueler (1596-1621) wurde ebenfalls durch Kompromiss gewählt. Zwei Tage vor seinem Tod im Jahre 1621 bestellte er mit Einwilligung des Konvents den damaligen Stiftsdekan Balthasar Baur zum Administrator. Eine Woche später wählte der Konvent den Stiftsdekan und Administrator Balthasar Baur zum neuen Propst (1621-1638). Von der Wahl und Benediktion des Matthias Braun (Fuscus) im Jahre 1638 sind keine Unterlagen vorhanden. Er wurde wegen seiner Spielsucht und der eigenmächtigen und verschwenderischen Verwaltung der Stiftsgüter verklagt und nach jahrelangen Prozessen (1641–1656) zur freiwilligen Resignation gezwungen. Da er flüchtig war, setzte der Trienter Bischof die Chorherren Gaudentius Rolandin (1642–1645) und Paul Ranigler (1645–1657) als Administratoren ein. Propst Matthias Fuscus – wie er allgemein genannt wurde – starb 1668 „im Exil" in Trient. Auf Geheiß Papst Alexanders VII. wurde 1657 der damalige Neustifter Chorherr und Pfarrer von Olang Johannes Chrysostomus Haberle von Haberspurg zum neuen Propst von Gries gewählt. Ihm zur Seite standen weitere Chorherren aus Neustift, zum Beispiel Felix Wild. Das Erbe seines Vorgängers Matthias Braun war zu ordnen und in bessere Bahnen zu lenken. Besondere Schwierigkeiten bereiteten dem „fremden" Propst Johannes Chrysostomus der unbotmäßige Grieser Pfarrer Augustin Gerwigg wie auch die Kirchgänger in Afing, Nobls, Jenesien und Glaning. Haberles Ansprachen im Stiftskapitel zeigen ihn als strengen, fordernden Mann.
Unter Jakob II. de Fridericis (1674-1695) wurde das Stift vom Trienter Bischof visitiert. Eine unter den vielen Anregungen und Auflagen war der Ausbau der Bibliothek.
Vor der Wahl Gregor Thayrers hatten die Grieser Chorherren eine Wahlkapitulation aufgestellt. Während seiner kurzen Amtszeit von drei Jahren (1695–1698) versuchte er die „Gürtel-Bruderschaft zu Maria vom Trost und der heiligen Monika" mit einem privilegierten Altar in der Stiftskirche zu errichten – doch ohne Erfolg. Für Propst Franz Joseph Schaitter zu Lebmansegg (1698–1752) war die Pflege des religiösen Lebens ein Herzensanliegen. Auf sein Ansuchen hin wurde 1699 Gries in die Kongregation der Lateranensischen Chorherren (C.R.L.) aufgenommen (1727 und 1728 erneuert). Damit war neben Privilegien für das Kloster auch die Vollmacht für den Propst verbunden, Kirchen, Kelche, Paramente, Glocken und anderes zu weihen. Die bischöflichen Visitationen von 1723 und 1749 bestätigten die gediegene Führung und gute Disziplin im Stift und lobten unter anderem das kürzlich eingeführte theologische Hausstudium. Durch die weiterführende Organisation der Ökonomie wurde ein genaueres Verzeichnis der Liegenschaften erstellt; so kam unter anderem in Afing 1711 der Hoferhof in den Besitz des Stiftes und wurden die Güter in der Au einem „Pächter" zur Bebauung übergeben. Propst Schaitter wurde 1704 in den engeren Ausschuss der Landesregierung in Innsbruck berufen, wo er sich immer wieder auch für die Anliegen anderer Klöster in Tirol einsetzte. Schon ab 1695 hatte er sich in besonderer Weise des neu gegründeten Cölestinerinnenklosters in Gries angenommen und wurde 1712 anstelle des Stadtdekans zum Vikar dieses Klosters bestellt.
Nach dem Tod von Propst Schaitter (Dezember 1752) wählte zu Beginn des Jahres 1753 das Stift den damaligen Stiftsdekan Albert Martin Prack zu Asch und Angerburg zum Propst. Vor dieser Wahl war er als Novizenmeister und Theologieprofessor in der Grieser Hausschule tätig gewesen. Sein Vorlesungsmanuskript "De Deo uno et trino" war 1750 von Carl Joseph Weiss in Bozen gedruckt worden. Auch er legte großen Wert auf die Pflege des geistlichen Lebens und eine gediegene Ausbildung. Da sich die Regierungsstellen mehr und mehr in die klösterlichen Angelegenheiten einmischten, gestaltete sich das Verhältnis zu den Behörden immer spannungsgeladener. Genaue Angaben aus der Ökonomie, über Eintritte, religiöse Feiern und Kriegsanleihen wurden von den Klöstern gefordert. Die große „Leistung" von Propst Albert war der Bau der neuen Stiftskirche. Der Architekt und Bildhauer Joseph Sartori aus Sacco bei Rovereto, der Maler Martin Knoller und weitere Künstler und Handwerker aus dem Bozner Raum wurden damit beauftragt. Die Finanzierung des Neubaus wurde aber immer schwieriger, da nach erneuten Überschwemmungen der öde Landstrich in der Au und das versumpfte Gebiet um Siebeneich und Sigmundskron trockengelegt werden mussten. Besitzstreitigkeiten entstanden, die beigelegt werden mussten. Beim Tod von Albert Martin Prack (1781) war die neue Stiftskirche noch nicht vollendet.
Die Regierung in Wien nahm den defizitären Vermögensausweis des Stiftes zum Anlass, die fällige Propstwahl und die Aufnahme von Novizen zu verbieten. Der siebzigjährige Stiftsdekan Ignaz Ferrari musste 1781 bis 1783 die Leitung des Klosters übernehmen. Er wurde tatkräftig vom erst dreißigjährigen Augustin Nagele unterstützt, der dann 1783 bis 1787 als Administrator in Gries eingesetzt wurde. Neben der Neuordnung der eigenen Ökonomie musste Nagele auch die Güter aufgehobener Klöster verwalten. Der finanzielle Überschuss war an den Religionsfonds abzugeben. 1787 bestimmte die Regierung in Wien für Gries, Neustift und Stams sogenannte Kommendataräbte, die nicht aus der Reihe des eigenen Konvents kommen durften, dem Staat gegenüber loyal und vor allem gute Ökonomen sein sollten. Für Gries ernannte die Landesregierung den Stamser Konventualen Roger Schranzhofer und für Stams den Grieser Chorherrn Augustin Nagele. Letzterer setzte sich als Mitglied des engeren Ausschusses der Landesregierung für die Wiederherstellung der früheren Ordnung ein. In Gries konnte endlich am 31. August 1788 die noch unvollendete neue Stiftskirche vom Trienter Fürstbischof Peter Michael Vigil Graf von Thun eingeweiht werden. Bei dieser Gelegenheit wurde sie zur neuen Pfarrkirche der Gemeinde Gries erklärt.
Nach dem 1790 abgehaltenen Landtag gestattete Kaiser Leopold II. wiederum die Wahl eines Propstes in den genannten Stiften. In Gries fiel sie auf Augustin Nagele. Er setzte sich vor allem für die geistliche Erneuerung der Gemeinschaft ein, für die Wahrung der kirchlichen und staatlichen Rechte und sorgte sich um die Hebung der finanziellen Lage des Klosters. Um die Hilfe Gottes zu erflehen, wurde alljährlich das Herz-Jesu-Fest in feierlicher Form begangen.
Augustin Nagele nahm 1791 den Kontakt mit Martin Knoller wieder auf, der dann nach neuen Vereinbarungen bis zum Jahr 1800 die noch fehlenden sechs Seitenaltarblätter mit den Hauptfesten des Kirchenjahres fertig stellte und 1803 als letztes Bild die „Abnahme Jesu vom Kreuz" für den Betchor und neben einem Porträt Nageles auch ein Selbstporträt lieferte.
Die kriegerischen Auseinandersetzungen der Franzosenkämpfe schafften neue Sorgen. Augustin Nagele nahm aktiv an den Beratungen zur Verteidigung des Landes teil. Zeitweise dienten Räume des Klosters als Lazarett für 1.800 Kranke. Im Frühjahr 1797 plünderten die Franzosen drei Stunden lang das Stift und verwüsteten es. Der weltliche Verwalter Joseph Lofferer konnte Schlimmeres verhüten. Mit großem Mut und abwägender Klugheit hatte sich Propst Nagele für die Hebung und den Weiterbestand des Stiftes eingesetzt, konnte aber dennoch nicht verhindern, dass Gries, wie andere Klöster Tirols auch, im September 1807 von der bayerischen Regierung aufgrund der Bestimmungen des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803 in Regensburg aufgehoben wurde. Die vierzehn Grieser Chorherren durften weiterhin im Kloster wohnen und wurden mit einer Pension abgefertigt. Propst Augustin nahm dann als Privatperson und mit Zustimmung des Konvents die Klostergüter in Pacht – in der Hoffnung, das Stift könnte so wiederhergestellt werden. Der Vertrag wurde 1808 anerkannt; so konnten die Güter nicht weiter verschleudert oder verkauft werden. Als durch den Frieden von Wien mit Napoleon I. 1809 das ganze Gebiet „Oberetsch" zu Italien kam, wurde Gries zum zweiten Mal aufgehoben. Die Kapitularen, die nicht aus dieser Gegend stammten, sollten Gries verlassen. Nagele blieb im Land und übergab die Güter dem treuen Joseph Lofferer zur Verwaltung. Noch ein letztes Mal bemühte sich der Propst 1813, als Tirol wieder zu Österreich kam, um die Wiederherstellung des Stiftes. 1815 starb Augustin Vigil Nagele.
Vergeblich richteten in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts einige Grieser Chorherren ein erneutes Bittgesuch an den Kaiser in Wien, um die Wiederherstellung des Stiftes zu erreichen. Nach mehr als 600 Jahren erlosch das Augustiner-Chorherrenstift Au-Gries. Mit der Übergabe des Gebäudekomplexes und der noch verbliebenen Güter an die aus Muri in der Schweiz vertriebenen Benediktiner im Jahre 1845 erhielt das Stift Gries eine neue Ausrichtung und einen neuen „Kulturpfleger" unter dem Doppeln amen Muri-Gries.