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Der Nachfolger von Propst Andreas, [[Leonhard von Horn]] (1453-1493), hatte das Interesse seines Vorgängers an Buch und Wissenschaft übernommen; unter ihm wurden ungefähr 50 Kodizes geschrieben bzw. gekauft. Über die damals entstandenen Werke urteilt Paul Buberl: "Die Arbeiten der Vorauer Illuminierschule des 15. Jahrhunderts werden in einer zusammenfassenden Geschichte der Österreichischen Miniaturmalerei des 15. Jahrhunderts einen ehrenvollen Platz einnehmen." In diese Zeit fällt auch die im Jahre 1467 fertiggestellte Vorauer Volksbibel, die mit ihren insgesamt 559 Miniaturen nicht nur die mit Abstand reichst bebilderte Vorauer Handschrift, sondern im Vergleich mit den noch rund 100 erhaltenen deutschsprachigen Historienbibeln mit dieser gewaltigen Fülle von Bildern die am umfangreichsten ausgestattete ist und als ein hervorragendes Beispiel der urwüchsig frischen, volkstümlichen Illustrationskunst Beachtung verdient. Nicht unerwähnt bleiben mögen in diesem Zusammenhang die zahlreichen, vom Vorauer Buchbinder Jacobus in den Jahren 1474 bis 1478 angefertigten gotischen Blindstempeleinbände. An fremden Handschriften besitzt Vorau nur zwei, die beide dem 14. Jahrhundert angehören: eine italienische Dekretalenhandschrift mit hübschen kleinen Miniaturen (Cod. 153) und eine französische Bibel (Cod. 59). | Der Nachfolger von Propst Andreas, [[Leonhard von Horn]] (1453-1493), hatte das Interesse seines Vorgängers an Buch und Wissenschaft übernommen; unter ihm wurden ungefähr 50 Kodizes geschrieben bzw. gekauft. Über die damals entstandenen Werke urteilt Paul Buberl: "Die Arbeiten der Vorauer Illuminierschule des 15. Jahrhunderts werden in einer zusammenfassenden Geschichte der Österreichischen Miniaturmalerei des 15. Jahrhunderts einen ehrenvollen Platz einnehmen." In diese Zeit fällt auch die im Jahre 1467 fertiggestellte Vorauer Volksbibel, die mit ihren insgesamt 559 Miniaturen nicht nur die mit Abstand reichst bebilderte Vorauer Handschrift, sondern im Vergleich mit den noch rund 100 erhaltenen deutschsprachigen Historienbibeln mit dieser gewaltigen Fülle von Bildern die am umfangreichsten ausgestattete ist und als ein hervorragendes Beispiel der urwüchsig frischen, volkstümlichen Illustrationskunst Beachtung verdient. Nicht unerwähnt bleiben mögen in diesem Zusammenhang die zahlreichen, vom Vorauer Buchbinder Jacobus in den Jahren 1474 bis 1478 angefertigten gotischen Blindstempeleinbände. An fremden Handschriften besitzt Vorau nur zwei, die beide dem 14. Jahrhundert angehören: eine italienische Dekretalenhandschrift mit hübschen kleinen Miniaturen (Cod. 153) und eine französische Bibel (Cod. 59). | ||
Die revolutionären Folgen der Erfindung des Buchdruckes schränkten die Herstellung von Handschriften auf ein Minimum ein, ja waren vielfach sogar der Anlass, bereits Bestehendes zu zerstören. So manche Vorauer Handschrift ist uns nur deshalb erhalten geblieben, weil sie im 15. bis 17. Jahrhundert als Makulatur zum Neubinden von Büchern verwendet wurde, wofür viele Bände in der Stiftsbibliothek Zeugnis geben. Nicht unbegründet schrieb deshalb ein verständiger Bibliothekar des 17. Jahrhunderts in den Cod. 275, aus dem über 40 Folioblätter herausgeschnitten wurden: Quid fecisti, frater idiota, quod hunc librum Decretalium glossatum ita perdideris?Weitere Verluste erlitt die Sammlung durch Abgänge in andere Bibliotheken: 1549 gelangten vier Handschriften durch Wolfgang Lazius in die Wiener Hofbibliothek, weitere Kodizes liegen unter anderem in Budapest, in der Handschriftensammlung der Universitätsbibliothek in Graz, im Stift Reichersberg, eine Papierhandschrift in der Studienbibliothek in Klagenfurt. Der im Laufe der Jahrhunderte stark angewachsene Bücherschatz des Stiftes machte den Neubau eines Bibliothekssaales notwendig, den man im Nordtrakt des unter Propst | Die revolutionären Folgen der Erfindung des Buchdruckes schränkten die Herstellung von Handschriften auf ein Minimum ein, ja waren vielfach sogar der Anlass, bereits Bestehendes zu zerstören. So manche Vorauer Handschrift ist uns nur deshalb erhalten geblieben, weil sie im 15. bis 17. Jahrhundert als Makulatur zum Neubinden von Büchern verwendet wurde, wofür viele Bände in der Stiftsbibliothek Zeugnis geben. Nicht unbegründet schrieb deshalb ein verständiger Bibliothekar des 17. Jahrhunderts in den Cod. 275, aus dem über 40 Folioblätter herausgeschnitten wurden: "Quid fecisti, frater idiota, quod hunc librum Decretalium glossatum ita perdideris?" Weitere Verluste erlitt die Sammlung durch Abgänge in andere Bibliotheken: 1549 gelangten vier Handschriften durch Wolfgang Lazius in die Wiener Hofbibliothek, weitere Kodizes liegen unter anderem in Budapest, in der Handschriftensammlung der Universitätsbibliothek in Graz, im Stift Reichersberg, eine Papierhandschrift in der Studienbibliothek in Klagenfurt. Der im Laufe der Jahrhunderte stark angewachsene Bücherschatz des Stiftes machte den Neubau eines Bibliothekssaales notwendig, den man im Nordtrakt des unter Propst [[Franz Sebastian Graf von Webersberg]] (1717-1736) aufgeführten Prälaturtraktes unterbrachte. 1730 wurde mit künstlerischem Feingefühl mit der Ausstattung des 24 m langen und zwei Stockwerke hohen gewölbten Raumes begonnen. Bereits 1731 war der Handschriftenraum vollendet, der nur ein Stockwerk hoch und vom Bibliothekssaal über eine an der Westwand geschickt angebrachte Doppelwendeltreppe erreichbar ist. Dieser Raum, in dem bis 1912 die Handschriften und Inkunabeln aufgestellt waren - aus Sicherheitsgründen hat man sie damals in einen feuer-und einsturzsicheren Raum verlagert - wurde von J. B. Bistoli stuckiert, von Josef Georg Mayr, einem jugendlichen Vorauer Künstler, ausgemalt und erhielt vornehme Bücherschränke. | ||
Der Bau des Bibliothekssaals gab Anlass zur Neuaufstellung, Nummerierung und erstmaligen Beschreibung der Handschriften durch den Bibliothekar Julius Franz Gußmann, eine Arbeit, die im Jahre 1733 abgeschlossen wurde. Durch den vom Vorauer Chorherrn Pius Fank in zehnjähriger umfassender Arbeit erstellten Handschriftenkatalog, den das Stift 1936 aus Eigenmitteln drucken ließ, ist seither der Vorauer Handschriftenbestand für alle Welt erschlossen. Seine Drucklegung ist letztlich auch die Ursache dafür, dass diese Sammlung von Manuskripten Gegenstand intensiver Forschung geworden ist. | |||
Der Bau des Bibliothekssaals gab | Der Bearbeitung und Erschließung des mittelalterlichen Handschriftenschatzes seiner Bibliothek widmete das Stift Vorau gerade in den letzten Jahrzehnten sorgfältige Aufmerksamkeit durch die Faksimilierung mehrerer Kodizes. So wurde bereits im Jahr 1953 die in der "Vorauer Handschrift" (Cod. 276) enthaltene Kaiserchronik in Faksimile (gegenüber dem Original um ein Drittel verkleinert) aufgelegt, ihr folgten 1958 die deutschen Gedichte aus demselben Kodex. 1983 wurde von Ferdinand Hutz der künstlerisch kostbarste Schmuck des "Vorauer Evangeliars" (Cod. 346), die vier ganzseitigen Evangelistenbilder und die dazugehörigen Incipit-Seiten, mit zwölf Faksimile wiedergaben und einführendem Text allgemein zugänglich gemacht, vom gleichen Autor erschien 1986 eine Faksimilewiedergabe aller 51 Seiten des Buches Exodus aus der "Vorauer Volksbibel" von 1467 (Cod. 273). Das große Interesse, das dieses Werk hervorgerufen hat, bewog das Stift Vorau zur Faksimilierung der ganzen Volksbibel, die in vier Teilbänden erschien. | ||
Der Bearbeitung | Wer immer aber die Vorauer Stiftsbibliothek besucht oder als Forscher Einblick in die Vorauer Handschriftensammlung nimmt, möge sich von jenem Chronogramm (1731) leiten lassen, das im Kreuzgang des Prälaturhofes über dem mächtigen Portal des Bibliothekseinganges angebracht ist: "IngreDere absqVe MorIs, pLaCltls Laetaberis horIs. Vt sapIens fIas saepIVs Ito VIas". | ||
1953 die in der "Vorauer Handschrift" (Cod. 276) enthaltene Kaiserchronik in | |||
deutschen Gedichte aus demselben Kodex. 1983 wurde von Ferdinand Hutz der | |||
Wer immer aber die Vorauer Stiftsbibliothek besucht oder als Forscher Einblick in die Vorauer Handschriftensammlung nimmt, möge sich von jenem Chronogramm (1731) leiten lassen, das im Kreuzgang des Prälaturhofes über dem mächtigen Portal des | |||
Version vom 12. März 2020, 13:55 Uhr
Geschichte
Gründungslegende
Wie viele alte Klöster hat auch Vorau seine Gründungslegende, der die bekannte Hubertuslegende zugrundeliegt.
Eines Tages, während er in seinen Wäldern um Vorau jagte, gelangte der steirische Markgraf Otakar plötzlich an eine Lichtung, in deren Mitte die erst unlängst zu Ehren des hl. Apostels Thomas geweihte Kapelle stand. Und hier zeigte sich ihm im Dämmerschein der Nebelschwaden die Silhouette eines prächtigen Hirsches. Der Blick des Tieres schien ihn festzubannen, so dass er die gespannte Armbrust wieder langsam sinken ließ. Durch das geheimnisvoll einspinnende Nebeltreiben gewahrte Otakar zwischen den weitausladenden Geweihstangen ein leuchtendes Kreuz. Ein feiner Glockenton vom Dachreiter der Thomaskapelle durchbrach die Stille und wirkte wie eine Erlösung auf den an Körper und Geist erstarrten Markgrafen. Als sein Blick sich wiederum der Waldlichtung zuwandte und erneut die Gestalt des Hirschen einzufangen suchte, fanden seine durch die seltsame Erscheinung ermüdeten Augen nur noch das Blätterkleid und Beerengestrüpp des Waldes, durch das hindurch der Hirsch geflüchtet war. Dieses Erlebnis war für Otakar ein Fingerzeig des Allmächtigen, sein Vorhaben, ein Kloster zu gründen, an dieser Stelle zu verwirklichen. Seinen Entschluss ließ er sofort urkundlich besiegeln.
Gründung
Als sechstes Kloster der Steiermark (nach Göß, Admont, St. Lambrecht, Rein und Seckau) wurde Vorau in jenem abgeschiedenen Landstrich zwischen Wechsel und Masenberg gegründet, den nach dem Tod des Grafen Ekbert III. von Formbach-Pitten (er fiel 1158 vor Mailand) Markgraf Otakar III. von Steier erbte. Markgraf Otakar, der durch sein Erbe eine besondere Machterweiterung erhalten hatte, war nun bestrebt, die Erschließung dieser unwirtlichen und noch äußerst dünn besiedelten Landstriche vorwärtszutreiben. Deshalb übergab er seinen Eigenbesitz um Vorau (predium nostrum Vorowe dictum) dem Erzbischof von Salzburg, damit hier ein Kloster der regulierten Chorherren des hl. Augustin errichtet werde. Die im Jahr 1163 erfolgte Gründung fällt in die Zeit der Blüte der Augustiner-Chorherren in der weitausgedehnten alten Salzburger Kirchenprovinz. Um seinem Wunsch auch Rechtskraft zu verleihen, rief Markgraf Otakar wohl im Spätherbst des Jahres 1163 zu Fischau am Steinfeld (Niederösterreich), dem damaligen geistigen und weltlichen Vorort für unsere Landschaft, eine größere Anzahl geistlicher und weltlicher Herren zusammen, tat ihnen nochmals seinen Willen kund, legte ihn in einer Urkunde fest, ließ die anwesenden Zeugen namentlich beisetzen und besiegelte die Urkunde mit seinem Reitersiegel.
Die Gründungsurkunde gibt die Grenzen des Stiftungsgutes an, woraus wir sehen können, dass es sich größtenteils um noch ungerodetes Waldland handelte. Weiters befreite in dieser Urkunde der Gründer das Stift von allen Abgaben. Trotz des Vorliegens der Gründungsurkunde ist die Gründungsgeschichte von Vorau in ein gewisses Dunkel gehüllt, fehlt doch das genaue Ausstellungsdatum. Es steht aber fest, daß die Urkunde nach der Geburt Markgraf Otakars IV., also nach dem 19. August, sicher jedoch einige Zeit vor der Pfarrerhebungsurkunde von Mönichwald ausgestellt wurde. Im nahe gelegenen Mönichwald, einer Schenkung des Grafen Ekbert von Formbach an die Benediktiner der Abtei Formbach am Inn, die nördlich vom Wechsel-Semmering zu Gloggnitz ein Priorat besaßen, weihte Erzbischof Eberhard am 17. Dezember 1163 in Anwesenheit zahlreicher hochrangiger Zeugen ein zu Ehren des hl. Petrus erbautes Gotteshaus, erhob es zur Pfarrkirche und bestimmte die Grenzen der Pfarre.
Unmittelbar danach muss Erzbischof Eberhard von Mönichwald weggezogen und unverzüglich auf den besten Verbindungswegen nach Friesach gereist sein, stellte er doch dort schon am 20. Dezember neue Urkunden aus. Die Gründungsurkunde des Stiftes Vorau ist also wahrscheinlich im September oder Oktober 1163 ausgestellt worden, während der eigentliche Gründungsakt, auf den in der Urkunde Bezug genommen wird, in Vorau zeitlich vorher stattgefunden haben muss. Nichts weist darauf hin, dass die Akte von Fischau und Mönichwald hintereinander stattgefunden haben, ja die völlig anderen Zeugen in diesen beiden Urkunden sprechen sogar dagegen. Weil eine Klostergründung aber umfangreicher Vorarbeiten, Erhebungen und Genehmigungen bedurfte, dürften die notwendigen Maßnahmen bereits einige Zeit zurückreichen, jedenfalls vor den Zeitpunkt der Geburt des Sohnes, die in der Überlieferung als Anlaß der Stiftsgründung angesehen wird. Auch der Text der Urkunde spricht dafür, dass Markgraf Otakar III. schon vor der Zusammenkunft in Fischau Unterhandlungen mit Erzbischof Eberhard I. geführt hatte.[1]
Als Anstoß zur Gründung des Chorherrenstiftes Vorau können letztendlich mehrere Aspekte in Betracht gezogen werden:
1.) Die bisherige Literatur sieht in Bischof Roman I. von Gurk, den Vertreter des Erzbischofs von Salzburg, einen der Hauptakteure bei der Gründung des Stiftes. Roman, seit 1131 Bischof von Gurk, war seit 1138 bis zum Tod Erzbischof Konrads 1147 der eigentliche Regent der Metropolitankirche von Salzburg und auch der vertrauteste Ratgeber und die leitende Persönlichkeit der Erzdiözese unter dem neuen Erzbischof Eberhard I. Er hat nicht nur 1149 das erste Kirchlein St. Thomas im Wald in Vorau geweiht, sein Name wird auch in der Gründungsurkunde, die Markgraf Otakar in Fischau ausstellte, ausdrücklich hervorgehoben, denn er war damals der einzige anwesende Kirchenfürst.
Bischof Roman kannte ja die Gegend und hat den abgelegenen Gebirgskessel wohl für eine Stiftsgründung als besonders geeignet befunden. Auch dass hier ein Chorherrenstift gegründet wurde, dürfte in erster Linie auf Bischof Roman zurückgehen, denn neben den Zisterziensern waren die Chorherren damals der modernste Orden der Zeit, der sich gerade in einem mächtigen Aufschwung befand. Auch Erzbischof Konrad ließ sich von der Idee des Propstes Gerhoch von Reichersberg, alle Priester zu Mönchen zu machen, begeistern und begann mit seinen in Salzburg residierenden Klerikern das gemeinsame Leben nach der Regel des großen Kirchenlehrers Augustinus mit einem Dompropst an der Spitze. Er führte die Augustinerregel auch bei der Geistlichkeit der Maria Saaler Kirche ein, und der erste Chorherrenpropst dieser Kirche, schon ab 1124 urkundlich nachweisbar, war Roman, der später als Bischof von Gurk ebenfalls von einem Chorherrenkapitel umgeben war. Roman weihte 1132 zusammen mit Erzbischof Konrad das Chorherrenstift Chiemsee, 1133 im erzbischöflichen Auftrag das Chorherrenstift Aue in Bayern, beide wohnten im Februar 1136 der Einweihung des Chorherrenstiftes Klosterneuburg bei, in Gegenwart Erzbischof Konrads konsekrierte Bischof Roman 1138 das Nonnenkloster in Reichersberg, im selben Jahr das regulierte Chorherrenstift Beyharting in Bayern, und 1140 war er bei der Gründung des Chorherrenstiftes Seckau anwesend, die ebenfalls auf seinen Rat hin erfolgt ist. Die Gründung dieses Chorherrenstiftes erfolgte zuerst in St. Marein, musste aber drei Jahre später, weil der Ort an einer Durchzugsstraße lag und nicht die nötige Ruhe für ein religiöses Leben bot, nach Seckau verlegt werden. Roman, auf dessen Rat hin 1161 auch Dechantskirchen zur Pfarre erhoben wurde, dürfte sich diesen Fehlschlag zu Herzen genommen haben und für die neue Chorherrenniederlassung das abgelegene Vorau ausgesucht haben. Neben seiner Verbundenheit mit der Chorherrenidee dürfen wir aber nicht vergessen, dass Roman auch persönliche Bindungen an diese Gegend gefesselt haben, denn die Erben der Gründerin von Gurk, der hl. Hemma, Graf Wolfrad von Treffen und seine Gattin Hemma, gehörten ja seit 1141 zu den größten Grundherren des Vorauer Gebietes. Möglicherweise hat Bischof Roman, dessen Aufgabe es ja nicht war, kleine Kapellen zu weihen, auch deshalb 1149 das Kirchiein St. Thomas eingeweiht.
2.) Ist Bischof Roman in erster Linie als der geistige Vater des Stiftes Vorau anzusprechen, so bleibt der eigentliche Gründer Markgraf Otakar III. von Steier, der bedeutendste Fürst aus dem Geschlechte der Traungauer, der in seinem kurzen, aber tatenreichen Leben das Land Steiermark geschaffen hat. Begünstigt durch große Erbschaften, aber auch getrieben von unbändigem Herrscherwillen hat er die damals noch lose verbundenen Landschaften unserer Heimat verschmolzen und die Landesherrschaft begründet. Auf dem Höhepunkt seiner Macht und seines Lebens vollführte er drei Klostergründungen, denn neben Vorau gründete er 1160 noch das Hospital am Semmering, womit er die Semmeringstraße öffnete, und kurz vor seinem Tod die Kartause Seitz bei Gonobitz.
3.) Den letzten Anstoß zur Gründung des Stiftes Vorau gab sicherlich die Geburt des langersehnten Erben, des nachmaligen Markgrafen Otakar IV. und späteren ersten Herzogs der Steiermark (1180-1192), am 19. August 1163. Die Ehe Otakars III. mit Kunigunde, der Tochter Dietpolds III. von Cham-Vohburg, die schon vor 1146 geschlossen worden war, war also eineinhalb Jahrzehnte kinderlos geblieben.
4.) In der Gründungsurkunde wird allerdings die Geburt des Sohnes nicht erwähnt. Otakar gibt hier seiner Hoffnung Ausdruck, dass nach dem Zeugnis der Schrift durch reiche Gaben die Sünden vergeben werden, weiters Gottesfurcht und die Sorge um das Heil seiner Seele, das seiner Frau Kunigunde und seines geliebten Sohnes Otakar sowie aller Vorfahren. Man ist daher fast geneigt, in der Gründung von Vorau eine Art Sühnestiftung zu sehen, was angesichts der rauhen und durchgreifenden Natur des Markgrafen naheliegend erscheint.
5.) Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Aspekt für die Stiftsgründung mag in den kolonisatorischen Absichten des Markgrafen gelegen sein. Die Steiermark ist im Gegensatz zu Salzburg oder Oberösterreich ein junges Kolonisationsland, das eine mehr abweisende als einladende Umwelt bot. Das 12. Jahrhundert jedoch brachte mit der Ausweitung der Kolonisation und dem Sieg der kirchlichen Reformbewegung eine Hochblüte der Klostergründungen. Erzbischof Konrad I. bediente sich bei seinem Erneuerungswerk vor allem der Chorherren, die zum Unterschied von den Mönchen auch in der Seelsorge tätig waren. Eine Stiftsgründung brachte auch Siedler, die die Erschließung dieses unwirtlichen Landstriches der nördlichen Oststeiermark vorwärtstrieben, Siedler die für das ihnen zugewiesene Land Zinse und Abgaben zu entrichten hatten,die auf Umwegen wiederum dem Landesfürsten zugute kamen. Nur ein besiedeltes Land brachte Einnahmen.
6.) Vielleicht liegen der Stiftsgründung auch verteidigungsstrategische Aspekte zugrunde. Dem nach Osten offenen, dem Alpenwall vorgelagerten Land der östlichen Steiermark wurde durch die Geschichte ein Schicksal besonderer Härte auferlegt, da es als Glacis der Alpen zum Tummelplatz aller Völker wurde, die von Osten in den mitteleuropäischen Raum vorstießen. Die gegen Einfälle der Magyaren errichtete Mark fand ihre Nahtstelle zum Osten schließlich in einer nordsüdlich verlaufenden Grenzlinie, die infolge Fehlens von natürlichen, geographischen Hindernissen umfangreicher Grenzsicherung bedurfte. So wurde ein von Nord nach Süd verlaufender Burgengürtel angelegt, in dessen langer Kette vielleicht auch das Stift Vorau bei seiner Gründung als ein Glied miteingeplant war. Das im Laufe der Jahrhunderte zu einer starken Festung um- und ausgebaute Stift bot seit seiner Gründung bis in die Zeit der Türken- und Kuruzzenstürme im 18. Jahrhundert der ständig bedrängten Grenzbevölkerung bei Einfällen kriegerischer Horden eine letzte und willkommene Zufluchtsstätte.
Aufstieg und Reform im Mittelalter
Mit der Gründung hat das Stift eine dreifache Aufgabe übernommen: Es sollte ein Zentrum der materiellen Kultur werden und sollte das ihm übergebene Waldland roden, besiedeln und ertragfähig machen. Durch die Errichtung einer Klosterschule und einer Bibliothek trat es als ein Zentrum der Geisteskultur in Erscheinung. Die ersten Namen von Klosterschülern sind uns aus dem Jahr 1252 bekannt. Das Stift sollte auch ein Zentrum der Seelenkultur werden. Damit ist die geistliche Doppelaufgabe der Chorherren angedeutet: Gottesdienst durch Konventmessen und gemeinsames Chorgebet sowie Seelenheiligung durch Selbstvervollkommnung der Chorherren und durch Heiligung anderer in der Seelsorge. Die ruhige Entwicklung des noch jungen Stiftes wurde schon nach sieben Jahrzehnten jäh unterbrochen durch das unheilvolle Ereignis des 21 . November 1237, den großen Stiftsbrand, das unzweifelhaft schwerste Brandunglück in der Geschichte des Stiftes, bei dem Propst Bernhard II. ums Leben kam.
Der Wiederaufbau des Klosters wurde durch die Wirren der Raubritterzeit erschwert. In der Nordoststeiermark wimmelte es von Grenzburgen und festen Türmen. Die in ihnen hausenden Herren und Ritter fingen besonders nach dem Tod des letzten Babenbergers (1246) an, dem Stift und seinen Untertanen skrupellos die schwersten Schäden zuzufügen. Propst Gebwin (1243-1267) verlor nicht den Mut. Er befestigte an der Kirchentür ein Pergamentblatt mit den Namen der Missetäter und mit Androhung kirchlicher Strafen. Als 1277 Rudolf von Habsburg das Stift in seinen besonderen Schutz genommen hatte, begannen ruhigere Zeiten. Im 14. Jahrhundert wütete mehrmals die Pest im Wechselgau, 1383 zerstörte ein Großbrand einen Teil des Stiftes, Missernten infolge großer Hitze und Trockenheit hatten Hungersnot und gänzliche Verarmung der Bevölkerung zur Folge.
Nach 1400 bereitete sich ein disziplinärer und wirtschaftlicher Niedergang vor. Dieser erreichte 1432 seinen Höhepunkt, als die Chorherren zur Selbsthilfe griffen und ihren wirtschaftlich unfähigen Propst Nikolaus Zink in einen Turm sperrten. Sofort griff der Bischof von Seckau ein, die Chorherren nahmen eine entsprechende Buße auf sich, der Propst musste abdanken, und der Erzbischof von Salzburg ernannte einen Chorherren von Berchtesgaden, Andreas von Pranpeck, zum Propst von Vorau (1433-1453). Andreas erneuerte das Ordensleben mit Hilfe von Chorherren aus dem Reformstift St. Dorothea in Wien. Diese waren geschult in Ordenshäusern, die wegen ihrer musterhaften Disziplin in hohem Ansehen standen. Es waren vorbildliche Ordensmänner, ebenso fromm wie wissenschaftlich gebildet, die durch Wort und Beispiel bessernd und formend auf ihre Umwelt einzuwirken vermochten. Ihnen vertraute der Propst die wichtigsten Klosterämter an, aus ihnen nahm er den Dechanten. Auf solche Weise gelang es, eine vollständige innere Erneuerung des Stiftes herbeizuführen.
Besonders segensreich wirkten für die Reform die gelehrten Chorherren Johannes Jung von Dinkelsbühl, seit 1455 erster Propst von Rottenmann, sein Freund Wilhelm von Wilhelmsburg und der verdienstvolle Bibliothekar und Dechant Wolfgang Voitländer. Die von St. Dorothea kommenden Chorherren hatten ihre Ausbildung auch an der Wiener Universität erhalten, die damals unter dem Einfluss der großen Theologen Heinrich von Langenstein, Nikolaus von Dinkelsbühl und Thomas Ebendorfer stand. Ihre Werke sind unter Propst Andreas in zahlreichen Abschriften nach Vorau gekommen. Er selbst war zwar kein Gelehrter, aber ein Freund der Gelehrsamkeit. Als Bücherliebhaber kaufte und sammelte er Handschriften und verstand es, in seinen Chorherren solche Schreiblust zu wecken, dass in Vorau gerade zu der Zeit, als das Buchschreiben durch das Buchdrucken verdrängt wurde, von einer blühenden Schreib- und Malerschule gesprochen werden kann. Unter Andreas von Pranpeck erhielten die Vorauer Pröpste 1452 vom Papst die Erlaubnis, bei feierlichen liturgischen Handlungen Infel (Mitra) und Stab (Pastorale) zu tragen. Im Alltag tragen sie als Kennzeichen ihrer würdevollen Funktion Ring und Brustkreuz. Propst Andreas gilt als zweiter Gründer des Stiftes. Sein Nachfolger Leonhard von Horn ehrte ihn pietätvoll, indem er 1453 von Kaiser Friedrich III. die Erlaubnis erwirkte, das ursprüngliche Stiftswappen (den Apostel Thomas vor dem Welterlöser in blauem Feld) mit dem Familienwappen der Pranpeck (dem geflügelten Greifenfuß in gelbem Feld) zu vereinigen. Unter Leonhard von Horn (1453-1493) gelangte das Stift zu hoher Blüte und zu großem Ansehen. Im Haus herrschte eine musterhafte Disziplin. Die stiftische Schreib- und Buchmalerschule leistete ihr Bestes.
Der starke Zug zur Verinnerlichung zeigte sich unter Propst Leonhard auch im Bestreben, neue Gebetsverbrüderungen einzugehen, zunächst mit anderen Klöstern oder Ordensprovinzen, aber auch mit Weltpriestern und Laien. Nachweislich erstreckt sich der Umfang auf 50 Konföderationen, die zwischen 1302 und 1521 mit der Vorauer Chorherrengemeinschaft eingegangen wurden. Die immer bedrohlicher werdenden Gefahren von Osten her nach der Eroberung von Konstantinopel durch die Türken 1453 veranlassten Propst Leonhard 1458, sein Stift zu einer Klosterburg umzubauen. Um Kloster und Kirche wurde ein tiefer Wassergraben ausgehoben, innerhalb desselben eine hohe Wehrmauer aufgeführt und zur alten Prälatur eine Zugbrücke errichtet. Ein großer Vorhof mit einem einzigen Zugang unter dem Torturm sollte Zufluchtsstätte für Flüchtende sein. Ein großes Ereignis brachte das Jahr 1490. In Vorau konnte für die ganze Oststeiermark (zwischen Mur und Ungarn) der von Papst lnnozenz VIII. ausgeschriebene Jubelablass gewonnen werden. Es kamen 152.800 Pilger nach Vorau, also fast alle damaligen Oststeirer, außer den Kindern und Greisen. Die allgemeine Begeisterung hatte große Bedeutung für das religiöse Leben und die sittliche Erneuerung des gläubigen Volkes im Viertel Vorau. Dieser Jubiläumsablass war einer der letzten Höhepunkte im ausklingenden Mittelalter. 15 Jahre später, 1504, folgte die Gründung des nahegelegenen Chorherrenstiftes in Pöllau, das von Vorau mit den ersten Chorherren beschickt wurde.
Reformation und Gegenreformation
Am Ausgang des Mittelalters hatten die kirchlichen Verhältnisse etwas Überreifes und damit Reformbedürftiges und das allgemeine Bewusstsein erwartete einen Umbruch, wenn auch kaum jemand an die Einführung einer neuen Kirche dachte. Die gewaltige religiöse Bewegung, welche im 16. Jahrhundert die Bewohner aller deutschen Länder ergriff, hatte schon im 14. Jahrhundert in der Sekte der Waldenser auch in der Oststeiermark ihre Vorläufer. Diese war damals stark verbreitet, dürfte aber kaum bis in den Wirkungsbereich des Stiftes Vorau vorgedrungen sein. Der Beginn des Eindringens der lutherischen Lehre und ihres Gedankengutes lässt sich für Vorau nur schwer feststellen. Erst das Visitationsprotokoll von 1528 gewährt Einblick in die Lage der Kirche im Wechselbereich. Die Initiative zu dieser Visitation ging vom Landesfürsten Ferdinand I. aus und wurde im Einvernehmen mit dem Salzburger Erzbischof durchgeführt. Um sich nämlich über die kirchlichen und religiösen Zustände in seinen Ländern zu informieren, ordnete der König eine allgemeine Visitation an, die im Jahre 1528 in der Steiermark durchgeführt wurde. Vom 15. bis 17. Mai tagte sie in Vorau. Aufschluss geben die Aussagen der Vorauer Chorherren vor der Kommission am Freitag, dem 15. Mai. Das Vorauer Kapitel zählte 16 Chorherren und einen Kleriker und war damit im Vergleich zu den anderen Klöstern und Stiften der Steiermark keineswegs schlecht bestellt. In Rein und Neuberg wurden 13 Konventualen festgestellt, in Admont 14, in Pöllau zwölf, in Stainz acht, und Rottenmann war mit vier Chorherren das kleinste Kapitel.
Übertroffen wurde Vorau lediglich von St. Lambrecht mit 23 und Seckau mit 21 Mitgliedern. Von diesen 16 Religiosen standen die meisten, vornehmlich die ältere Garde, offensichtlich noch treu zum katholischen Glauben. Von den Jüngeren waren aber schon einige von der neuen Lehre ergriffen. Die Verschiedenheit der Auffassungen von der richtigen Lehre führte im Stift zu Auseinandersetzungen, worunter die klösterliche Einigkeit arg litt und schweren Kraftproben ausgesetzt war, wie den Aussagen des Propstes, der sich als erster der Kommission stellte, deutlich zu entnehmen ist. Im Augenblick konnte er zwar gegen seine Mitbrüder nichts Nachteiliges vorbringen, obgleich sie vor einiger Zeit erst aufgemuckt, sich dann aber wieder in "geystliche Zuchte geben" hätten. Aber er fürchtete, dass dieser Aufruhr jetzt neuerlich ausbrechen könnte, und bat beinahe ängstlich, ihm alle Beschwerden zur Kenntnis zu bringen, die sich auf seine Person bezögen, damit auch er dazu Stellung nehmen könne. Tatsächlich wurden auch Stimmen gegen den Propst laut. Durch Herrn Sebastian Schranckh erfuhr die Kommission, dass unlängst erst vier Kleriker wegen der "lutrischen Sachen" das Stift verlassen hätten. Der Prälat habe nichts unternommen, sie umzustimmen, sondern sich auf den Standpunkt gestellt, er wolle keinem über die Stiege nachgehen, der das Stift verlassen will. Als geizig und stur kritisierte ihn Herr Leopold, weil er mit den Kleidern sparsam umgehe und den Chorherren keine solchen geben wolle. Wollten einige von ihnen weltliche Kleider tragen? Stur fand er den Prälaten deshalb, weil er sich bisher geweigert hätte, einem seiner Chorherren die Erlaubnis zu geben, in ein anderes Kloster überzuwechseln. Auf solche Gesuche habe der Propst stets nur geantwortet: Wer nicht bleiben will, kann jederzeit durch das stets offene Tor das Stift verlassen. Auch der Organist Herr Andreas führte "Beschwär" wider den Prälaten, dass er wegen seiner "Schwachhait im Khopff" weder Beistand noch Hilfe erhalte, und Bruder Hans beklagte sich, zuviel arbeiten zu müssen. Wie diesen Beschwerden entnommen werden kann, bedeutete der Einbruch des Protestantismus nicht religiösen Aufschwung, sondern disziplinären Verfall. Propst Stephans entschiedenes Eintreten für die katholische Sache zog ihm die Gegnerschaft der geheimen Anhänger der Neuerung zu, so da er erklärte, "er wyß nit, ob er seins Lebens sicher sey".
Eindeutig der alten Lehre hingen aufgrund des Verhörs noch elf Chorherren an, der neuen Lehre verdächtig waren zwei, die sich aber rechtfertigen konnten, gegen drei lagen schwere Beschuldigungen vor. Diese waren stark vom verheirateten lutherischen Kaplan in Thaiberg beeinflusst, der ihnen lutherische Schriften ins Stift brachte. Vom Chorherrn Hans hieß es, dass er sich in der Predigt gegen Fegefeuer, Opfer und Messe geäußert habe, vom Chorherrn Lorenz, dass er gegen die Zeremonien der Kirche sei und vom Weihwasser, vom Fegefeuer und von den Heiligen nichts halte und die Messe mit der Wandlung anfangen lassen wolle. Am meisten von der neuen Lehre begeistert war der Pfarrvikar Kaspar von Dechantskirchen, gegen den besonders der Stadtpfarrer Ambros Krampi von Friedberg und der Gesellpriester Leonhard Aschmüller von Grafendorf schwere Anklagen vorbrachten. Er habe dem Schlosskaplan von Thaiberg das öffentliche Predigen erlaubt, obwohl dieser nur den Schlossleuten predigen dürfe. Auch nehme er keine Palmen- und Kerzenweihe vor, verwerfe die guten Werke und die Heiligenverehrung und mache sogar über die Jungfrau Maria anstößige Bemerkungen. Bei Versehgängen habe er das Sakrament wie ein Stück Brot mitgetragen und keine Glocke gehabt, da er der Meinung war, er sei keine Kuh, dass man ihm eine Glocke anhängen müsse.
Die von der neuen Lehre angesteckten drei Chorherren sahen ihre Irrtümer ein und baten um Gnade. Die beiden Chorherren Kaspar und Hans widerriefen am Sonntag, dem 17. Mai, von der Kanzel der Stiftskirche vor einer Menge Volkes feierlich ihre falschen Lehren, bereuten ihr Vergehen, bedauerten das gegebene Ärgernis und baten die Visitatoren um Barmherzigkeit und Absolution. Der Chorherr Lorenz, der die neue Lehre nicht öffentlich vertreten hatte, schwor seinen Irrtum im Zimmer des Propstes ab, worauf alle drei über besonderen Antrag der Visitationskommission vom Propst Johann Mistelherger von Pöllau absolviert wurden. Innerlich dürften jedoch einige Chorherren dem Luthertum treu geblieben sein und somit die Zersetzung des Konvents vorangetrieben haben. Auf den Tod des Propstes Stefan Feiner folgte - offenbar mangels eines Kandidaten aus den eigenen Reihen - der Pfarrer von Gratwein Dr. Augustin Geyer. Nach Ablegung der Ordensgelübde wurde er am 28. Februar 1534 durch Erzbischof Matthäus Lang zum neuen Propst von Vorau konfirmiert. Die Reduzierung des Kapitels schritt fort. Die alten Chorherren starben, die lutherisch Gesinnten verließen das Stift, und der Nachwuchs fehlte. Die Quellen geben auch Zeugnis, dass einzelne Herren, die vor der Visitationskommission mit Eifer die Namen der Freunde und Anhänger der neuen Lehre bekanntgaben und entschieden für den alten Glauben eintraten, mit der weiteren Entwicklung im Stift nicht einverstanden waren und wegzogen. Einer von diesen war Sebastian Schranckh, dem Propst Stefan ein Empfehlungsschreiben wegen seines Übertrittes in ein anderes Kloster erteilte, wie dessen eigenhändige Abschrift bezeugt.
Nur so ist die Tatsache erklärbar, dass das Stift in Gefahr kam auszusterben und sich 1539 unter Propst Augustin nur noch zwei Chorherren im Stift befanden. Propst Augustin erbat sich vom Apostolischen Nuntius in Deutschland Giovanni Marone die Erlaubnis, aus ihren Klöstern vertriebene Mitglieder anderer Orden aufzunehmen, doch niemand scheint sich gemeldet zu haben, denn als er am 23. November 1542 starb, hinterließ er Johannes Lankes als einzigen Chorherren, der allerdings nicht fähig war, die Leitung zu übernehmen. Diese triste Personalsituation hatte nicht nur eine länger andauernde Vakanz, sondern auch einen regelrechten Kampf in der Nachfolgefrage um die Vorauer Propstei zur Folge. Als erster bemühte sich der Hartberger Stadtpfarrer Kaspar Plank um die vakante Propstei. Er legte bereits 1543 beim Wiener Landtag eine Fassion der Einkünfte des Stiftes vor, wozu er vom Kaiser ermächtigt war. In dieser Gültenschätzung bezeichnete sich Plank als "erwellter brobst zu Voraw", siegelte die Einlage aber überraschenderweise mit seiner eigenen "petschafft unnd hanndschrift, anstat des gotshauß". Datiert ist dieses interessante Stück mit 12. November 1543.
Laut Aussage der Vorauer Chronik blieb ihm aber die Zustimmung von Salzburg versagt, denn Administrator Ernst von Bayern bestellte kraft des Devolutionsrechtes am 24. April 1544 bis auf Widerruf einen Administrator in der Person des Pöllauer Chorherrn Wolfgang Praithofer. Damit scheint König Ferdinand nicht einverstanden gewesen zu sein, der seinen Kandidaten, den Propst von Rottenmann Georg Ritzinger zum Propst von Vorau befördern wollte und ihn anscheinend anlässlich der im März 1545 in Vorau vorgenommenen Visitation durch die Kommissäre Kaspar Plank, Raron Kaspar von Herberstein, Christoph Resch, Vizedom der Steiermark, und Balthasar von Teuffenbach investieren ließ. Administrator Ernst von Bayern versagte ihm aber die Konfirmation, worauf Ritzinger sich schließlich zurückzog und in Vorau als Pfarrer wirkte. Außer der vermeintlichen Regelung der Nachfolgefrage wurde von der Kommission auch noch eine Bilanz über die wirtschaftliche Situation des Stiftes gezogen, die ähnlich der personellen die traurige Lage des Stiftes aufzeigt. Der Umsicht und dem Eifer des Administrators Wolfgang Praithofer, der am 6. April 1551 von Ernst von Bayern als Propst konfirmiert wurde, gelang es allmählich, in die stiftische Wirtschaftsführung einigermaßen Ordnung zu bringen. Da aber die personelle Krise bei der Stagnation der Ordensberufe nicht ohne weiteres zu beheben war, dürfte Praithofer aus seinem Mutterstift Pöllau einige Chorherren für etliche Jahre nach Vorau geholt haben, um mit ihnen die Zeit bis zum Eintritt neuer Ordensmitglieder zu überbrücken. Nachweisbar erscheint zum Beispiel der Pöllauer Dechant Johannes Mandl anlässlich der Verleihung des "titulus mensae" an Rupert Lackner im Jahr 1549 als Dechant von Vorau, eine nette Gegenleistung des Pöllauer Stiftes für die von Vorau übersiedelten Gründungskonventualen. Vermutlich gelang es aber auch Propst Praithofer nicht, seine Zielvorstellungen auch nur annähernd zu verwirklichen, weil er bereits 1556, fünf Jahre nach seiner Ernennung zum Propst, auf sein Amt resignierte.
Ihm folgte im selben Jahr der erst 1548 in Wien zum Priester geweihte, in der Ernennungsurkunde Praithofers zum Propst von Vorau (datiert vom 6. April 1551) aber bereits als "senior" bezeichnete Oswald Reibenstain (1556-1585). Wie jung müssen erst die damals zwei oder drei weiteren Mitbrüder gewesen sein, die ihn einstimmig zum neuen Propst wählten. Die am 20. August 1593 von Bischof Brenner vorgenommene Visitation zeigt, dass sich Reibenstains Nachfolger Propst Zacharias Haiden (1585-1593) mit Erfolg Mühe gegeben hatte, den wirtschaftlichen Zustand des Stiftes zu heben. Als Ökonom fand er darum des Bischofs Lob, doch wurde er hinsichtlich der Klosterzucht und der Erfüllung der geistlichen Verpflichtungen getadelt. Nun entzog der Erzbischof dem Vorauer Kapitel die freie Propstwahl und bestellte einen Chorherren aus Berchtesgaden, Johann Benedikt von Perfall, der einem alten bayerischen Adelsgeschlecht entstammte. Mit ihm übernahm ein geistig und geistlich hochstehender Oberer die Leitung des Stiftes, der dessen vollständige moralische wie auch materielle Regeneration durchsetzen konnte. Er wurde auch endlich Herr der schon über ein halbes Jahrhundert andauernden stiftischen Personalkrise, indem sich während seiner Prälatur die Anzahl der Kapitelmitglieder verdoppelte, so dass er bei seinem Tod 1615 acht Chorherren zurückließ.
Propst Benedikts Erneuerungswille zeigt sich nicht nur in der Wiederherstellung der vielfach schadhaften Klostergebäude, in der Erbauung des Glockenturmes (1597) und der Hebung der Zahl der Stiftsmitglieder, sondern auch in der Sorge für ein würdiges Gotteshaus und einen anziehenden Gottesdienst. Das Sakristeiinventar, das nach seinem Ableben vom Erzpriester Grassherger und dem Grazer Stadtpfarrer Georg Hammer am 10. Juli 1615 aufgenommen wurde, erwähnt sehr häufig den Ankauf von Pretiosen durch den verstorbenen Propst. Im Sinne des Tridentinums sorgte er auch für die Anlegung der Matrikenbücher, welche mit dem Jahr 1596 beginnen und zu den ältesten Steiermarks zählen. Die Gegenreformation setzte sich also verhältnismäßig rasch durch, wenn es auch naturgemäß noch einige Zeit dauerte, bis der gewünschte Erfolg überall erreicht war.
Die Glanzperiode des Stiftes
Unter Perfalls Nachfolger, dem 1584 zu Havelberg in Brandenburg geborenen Daniel Gundau (1615-1649), der seine Ausbildung bei den Jesuiten in Graz erhalten hatte, fand die Reform trotz der Ungunst der Zeit - es wütete der Dreißigjährige Krieg - ihre Fortsetzung. Da Liturgiepflege und Seelsorge die zwei großen Aufgaben des Stiftes waren und noch heute sind, war Propst Gundau schon 1615 bemüht, eine geregelte Tagesordnung einzuführen, die wesentlich im Dienste der Liturgie stand und einen sehr guten Einblick in den damaligen klösterlichen Tagesablauf gibt.
Es war die Zeit des Wiederaufblühens des katholischen Lebens in Steiermark unter der starken Führung der von den Habsburgern berufenen Jesuiten. Das Stift gelangte zu mäßigem Wohlstand. Es kaufte den Edelmannsitz Klaffenau bei Hartberg (1607) sowie die Schlösser und Herrschaften Festenburg (1616; Taf. 2), Friedberg (1635) und Peggau (1654). Das etwa noch vorhandene protestantische Schlosspersonal wanderte ab. Der ganze Wechselgau war wieder katholisch. Um zeitgemäße Wohnungen und eine starke Grenzfestung gegen die Türken zu schaffen, wurde das Stift umgebaut: 1619 bis 1635 das sogenannte Vorgebäude und die Klausur, 1660 bis 1662 die Kirche, 1688 bis 1730 die Prälatur. Woher nahm das Stift das nötige Geld? Es führte eine musterhafte Wirtschaft. Viele Kandidaten aus begüterten Familien brachten eine namhafte Mitgift ins Stift. Auch betrieb das Stift eine segen- und gewinnbringende Geldwirtschaft. Es wurde zur sicheren Sparkasse für die gefährdete Oststeiermark. Den Geldeinlegern zahlte es drei Prozent Zinsen und lieh das Kapital zu vier Prozent an den Staat weiter. Mit dem einen Prozent konnte man nach einigen Jahrzehnten eine Prälatur bauen. So konnte das Stift trotz der schweren Zeiten die Baukosten decken.
Nach dem Ableben des Propstes Daniel Gundau 1649 konnte der Seckauer Bischof Johann Markus von Altringen nach Salzburg berichten, dass "das Closter Vorau, so wol in geistlichen als weltlichen Sachen wol disponirt seie, das daselbst der Dechandt, auch noch drey oder mehr Subiecta geeignet seien und gewählt werden könnten". Ihm folgte der gebürtige Vorauer Matthias Singer (1649-1662). Wahre Herzensbildung durch gesunde Aszese und gründliche Geistesbildung durch Pflege ernsten Studiums sollten die Chorherren für ihre hohe Aufgabe befähigen und das friedliche Zusammenleben garantieren. Es ist wohl das höchste Lob, das die Stiftschronik einem Ordensobern spenden kann, wenn sie von Propst Matthias schreibt: "Unter diesem Prälaten blühten empor Frömmigkeit und Wissenschaft, besonders aber die Liebe." Wie sehr ihm daran gelegen war, dass der Geist der Frömmigkeit im Stift herrsche, zeigt schon die Tatsache, dass er gleich nach seiner Wahl den heiligmäßigen Michael Toll zum Stiftsdechanten ernannte, dem die Überwachung der Disziplin anvertraut war.
Als Freund der Wissenschaften bereicherte Matthias die Bibliothek durch Ankauf zahlreicher theologischer und profaner Werke. Er ließ Urkunden des Stiftes in zwei Kopialbüchern zusammenschreiben, die über 100 Urkunden von 1161 bis 1650 enthalten, deren Originale vielfach nicht mehr vorhanden sind. Der Propst verstand es, bei den jungen Chorherren solchen Studieneifer zu wecken, dass die meisten akademische Grade erwarben. 1651 errichtete er im Stift eine Apotheke, die in den folgenden Jahren weiter ausgestattet wurde.
Unter allen Stiftspröpsten hat sich Matthias Singer durch den Bau der Stiftskirche das schönste Denkmal gesetzt. Die alte gotisierte Basilika passte wegen ihres altertümlichen Aussehens schlecht zum neuen Stiftsgebäude; auch war sie wegen eingebauter Altäre und Kapellen eng und winkelig. Sie wurde deshalb 1660 abgebrochen. Die Einweihung erlebte Propst Matthias nicht mehr. Erst 46 Jahre alt, riss ihn der Tod am 3. Juli 1662 mitten aus seinem Wirken und Schaffen. Unter seinem Nachfolger Michael Toll (1662-1681)stand die Ordensdisziplin in wundervoller Blüte. Ein Wetteifer im Streben nach Vollkommenheit erfasste die Chorherren. Das innere Feuer schlug auch nach außen, so dass die Chorherren nicht bloß im Stift, sondern auch auf den Pfarren mit wahrhaft apostolischem Eifer der Seelsorge oblagen. Tolls Nachfolger Christoph Pratsch (1681-1691) zeichnete sich als großer Marienverehrer aus.
Der kunstsinnige Prälat Philipp Leisl (1691-1717) zählt zu den glanzvollsten Gestalten unter den Vorauer Stiftspröpsten. Er vergab die Aufträge für die Kirchenausstattung - ein Gesamtkunstwerk aus Malerei und Plastik. Kaum einer hat Propst Leisl an erfolgreicher Vielseitigkeit des Wirkens erreicht. Von umfassendem Wissen, vornehmer Abgeklärtheit und großer Willensstärke geprägt, war er weitherzig genug, den berechtigten Wünschen seiner Untergebenen verständnisvoll entgegenzukommen. Die größere Verherrlichung Gottes, die vollkommenere Heiligung seiner Mitbrüder, die wirksame Förderung des Seelenheiles der Gläubigen waren die leitenden Gesichtspunkte seines Strebens. Zeitgenossen ließen unter sein von Johann Cyriak Hackhofer gemaltes Porträt schreiben: "Virtutum et doctrinae omnium antecessorum suorum compendium,a pietate templum vivum, a doctrina viva bibliotheca." Die Regierungszeit dieses Prälaten blieb aber auch von Heimsuchungen nicht verschont. Zur Fortsetzung des Türkenkrieges wurde vom Prälatenstand ein hohes Darlehen begehrt. Um die das Stift Vorau treffenden 7.975 Gulden zahlen zu können, musste Leisl Geld aufnehmen. Am Anfang des 18. Jahrhunderts hatte das Stift schwer unter den ständig einbrechenden Kuruzzen zu leiden. Sorgenvolle Tage brachte den Vorauern das Pestjahr 1713. Vom 30. September bis zum 5. Dezember raffte die Seuche 38 Personen hinweg, unter ihnen der jugendliche Chorherr und Pestpriester Wilhelm Graf Strassoldo.
Die Regierung des Propstes Sebastian Graf von Webersberg (1717-1736) ist ähnlich der Leisls durch eine rege Bautätigkeit gekennzeichnet. Das umfassendste und kostspieligste Projekt war wohl der Bau des West- und Nordtraktes der Prälatur mit der Ausstattung der Stiftsbibliothek, mit denen die barocke Bauphase des Stiftes einen krönenden Abschluss fand.
Von der drohenden Aufhebung unter Joseph II. bis zur tatsächlichen unter Hitler
Wenn Vorau auch nie zu den reichen Stiften des Landes gehört hat, so erfreute es sich doch beim Ableben des Propstes Webersberg einer Wohlhabenheit, die früher und später kaum erreicht wurde. Was Webersberg am Ausbau des Stiftes nicht mehr vollenden konnte, wurde von seinem Nachfolger Lorenz Josef Leitner (1737-1769) nachgeholt: die Fertigstellung der Prälaturräume und der Bibliothek und die Ausstattung des Musik- und Betchores der Stiftskirche. Leitner war ein geistig sehr hochstehender und fein gebildeter Mann, ein vornehmer und gewinnender Charakter. Unter ihm stieg die Zahl der Stiftsmitglieder,die Novizen und Scholastiker (Philosophen und Theologen mit Profess) mitgerechnet, auf 55. Obschon Leitner auch in wirtschaftlicher Hinsicht ganz auf der Höhe war,steuerte doch unter ihm das Stift langsam, aber unaufhaltsam einer Wirtschaftskrise zu.
Propst Leitner regierte das Stift in einer Zeit des geistigen Umbruchs. In den höheren Gesellschaftskreisen machten sich unter dem Einfluss einer religionsfeindlichen Philosophie kirchenfeindliche Strömungen immer stärker bemerkbar. Im Geistesleben setzte sich langsam eine gefährliche Überbetonung des Wissens gegenüber dem Glauben durch, es war die Zeit des Rationalismus, der Aufklärung. Im geistlichen Leben drohten Veräußerlichung und Verflachung sich durchzusetzen, ein Überwuchern der Volksfrömmigkeit gegenüber dem liturgischen Leben, ein Vorherrschen des äußeren Brauchtums gegenüber der Veredlung des Herzens und dem Wachstum in der Gnade. Propst Leitner war ein klarsehender Kopf und hatte ein feinfühliges Gespür für die drohenden Gefahren. In einem Kapitel des Jahres 1760 ermahnte er seine Untergebenen eindringlich zu einem gewissenhaften Ordensleben und beklagte am Schluss seiner Rede "diese für den Ordensstand so traurigen Zeiten, in denen die Religiosen ebenso häufig wie offen als faule Bäuche und nutzlose Landeslasten ausgegeben werden und ihr Verschwinden herbeigesehnt wird." Propst Leitner hatte durch drei Jahrzehnte sich gegen das immer stärker werdende Drängen und Fordern einer neuen Zeit gestemmt. Als er schon im Greisenalter stand, hatte er nicht mehr die Kraft zum unnachgiebigen Widerstand. So setzte er 1767 die Länge der Jahresexerzitien von zehn auf drei Tage herab. Wie er schon früher die für die Chorherren ganz zentrale Stellung des Chordienstes ein wenig hatte zurücktreten lassen, indem er den Betchor vom Hochaltar weg auf den Musikchor verlegt hatte,so zeigte er sich in den letzten Jahren seines Lebens geneigt, Matutin und Laudes vor Sonn- und Feiertagen auf den Vorabend zu verlegen.
Im 18. Jahrhundert entwickelte sich Vorau zu einem Ort der Wissenschaftspflege, der den Begabungen seiner Kanoniker reichen Entfaltungsraum bot. Es hatte damit teil an dem großen Beitrag, den die Stifte in Österreich geleistet haben. Zeitlich am Beginn dieser Reihe von Vorauer Autoren wissenschaftlicher Druckwerke steht Dr. Eusebius Kendlmayr (gest. 1716), von dem 1691 das Exerzitienbuch "Canonica reformatio hominis veteris" erschien, dem er 1707 in Wien die Schrift "Devotio in honorem passionis et mortis Jesu Christi" und dann noch "Epitome viri ecclesiastici, quid ei cavendum et agendum" folgen ließ.
Ein bedeutender Gelehrter war auch Johann Zunggo (gest. 1771). Sein Hauptwerk ist die erste Geschichte des Augustinerordens "Historiae generalis et specialis de ordine canonicorum regularium S. Augustini prodomus"(2 Bde.,Regensburg 1742-1745). Zwei weitere Schriften beschäftigten sich mit dem Stift Pöllau (Graz 1750). Anzuführen bleibt noch seine "Vita venerabilis servi Dei Thomae a Kempis" (Venedig 1762). Für das Stift Vorau ist er überdies wichtig geworden durch den Entwurf des Aufstellungsplanes für die neue Stiftsbibliothek, durch die Anlage der Bandkataloge und zweier Verzeichnisse mit den Titelkopien der Handschriften und Wiegendrucke. Sein starkes antiquarisches Interesse stand wohl auch Pate bei der Ausgestaltung seines Alterswerkes, eines dreibändigen Antiphonars, das er nach Art mittelalterlicher Prunkbände mit Buchmalereien schmückte.
In diesen Schriftstellern begegnen uns Vertreter der beiden seit den Anfängen des Stiftes ausgeprägten Hauptrichtungen des gelehrten Lebens zu Vorau: einerseits die der Seelsorge dienende Erarbeitung von Hilfs- und Erbauungsliteratur, andererseits die Beschäftigung mit der Geschichte. Das Werk Zunggos wurde in gewisser Weise fortgeführt von Dr. Julius Pranz Gußmann (gest.1776), der als Gelehrter hohes Ansehen genoss. In sechs Jahren erarbeitete er den ersten wissenschaftlichen Vorauer Handschriftenkatalog. Aus seiner Feder erschienen mehrere Schriften zu Fragen der Philosophie, Theologie, des Ordensrechtes und der Ordensgeschichte.
Einen Höhepunkt in der Reihe der Vorauer Geschichtsforscher stellt zweifellos Dr. Aquilin Julius Caesar dar (gest. 1792), weil er aus dem Umkreis der Beschäftigung mit der Vergangenheit seines Ordens hinaustrat und die Geschichte der Steiermark zu seinem Arbeitsgebiet machte. Seine "Annales ducatus Styriae"(3 Bde., 1768-1777, Bd. 4 als Handschrift in der Österreichischen Nationalbibliothek) und seine "Staats- und Kirchengeschichte des Herzogthum Steyermarks" (7 Bde., 1786-1788) stellen in der steirischen Geschichtsforschung eine Epoche für sich dar, besonders was die strenge Orientierung an einem umfassenden Studium aller erreichbaren Quellen betrifft.
Unter Propst Franz Sales Freiherrn von Taufferer (1769-1810) erlebte das Stift einen bedauerlichen Niedergang. Die josephinische Zeitströmung wirkte sich in materieller und disziplinärer Hinsicht schädigend und zersetzend aus. Die staatlichen Maßnahmen gegen die "tote Hand", die Verpachtung der Stiftsgründe infolge der teilweisen Aufhebung der Robot und die großen Geldopfer zur Zeit der Franzosenkriege zerrütteten die Wirtschaft des Stiftes derart, dass es sich trotz umfangreicher Verkäufe nicht über Wasser halten konnte. Propst Taufferer soll an Bargeld 30 Kreuzer hinterlassen haben. Dazu drohte dem Stift seit 1782 die Aufhebung. Das große Ansehen des Propstes als Gründer und Leiter der Hauptschule,die von Dechant Remigius Ebner von Ebenthal (1776-1801) eifrig gestützte Disziplin im Stift und geförderte Seelsorge auf den Pfarren sowie der große Einfluss des gelehrten Historikers Aquilin Julius Caesar dürften am wirksamsten beigetragen haben, dass die Aufhebung des Stiftes unterblieb. Der entscheidende Beschluss der Regierung ließ Vorau als einziges Chorherrenstift in Steiermark bestehen, während die Chorherren von Pöllau, Stainz und Rottenmann 1785 ihre Klöster verlassen mussten, mit einer ärmlichen Pension abgefertigt wurden und mitansehen durften, wie Klostergut verschachert und vielfach verschleudert wurde und wie manches wertvolle Denkmal der Wissenschaft und Kunst, von fleißigen Klosterhänden geschaffen und durch Jahrhunderte verständnisvoll behütet, zugrunde ging.
In dieser Zeit hatte das Stift auf dem Sektor Schule viel zu bieten. Propst Taufferer gilt als der große Schulmann. Schon als junger Chorherr war er zum Mitglied der Gymnasialprüfungskommission in Graz ernannt worden, und im Jahr 1778 richtete er im Stift eine Hauptschule ein, der bald darauf auch noch die Führung eines Präparandenkurses zur Heranbildung von Volksschullehrern folgte. Taufferer verschaffte den Schülern unentgeltlich die nötigen Lehrbehelfe, stellte Prämien bereit und gab mehreren armen Schülern Kost und Unterkunft im Stift. Da das Stift die vier Hauptschullehrer selbst besoldete, wurde deren Bestellung und Bestätigung dem Stiftspropst überlassen. Schon 1788 anerkannte die Schulbehörde, dass die Hauptschule Vorau die besteingerichtete in ganz Innerösterreich sei.
Sein Nachfolger Propst Franz Sales Knauer (1811-1837) gründete 1812 im Stift ein Gymnasium, das bis 1817 weitergeführt wurde. Er hatte selbst trotz seines vorgerückten Alters lebhaftes Interesse für wissenschaftliches Streben. Um solches auch bei seinen Untergebenen zu wecken und um der Schule zu dienen, legte er eine Sammlung von Mineralien, Münzen, physikalischen Geräten und Altertümern an und hielt den Bestand in Katalogen fest, die er zum Teil selbst schrieb. Nach dem Tod des wirtschaftlich tüchtigen Propstes Knauer gelang es Propst Gottlieb Kerschbaumer (1838-1862), die josephinische Geistesrichtung zu brechen; es kam zur Erneuerung des Ordenslebens. Der fromme Propst förderte auch unermüdlich eine zeitgemäße Seelsorgetätigkeit und führte so das Stift geistig und wirtschaftlich gefestigt in die Zeit des Liberalismus. Propst Kerschbaumer richtete eine feste Tagesordnung ein, stellte die Klausur wieder her, drang auf tägliche Betrachtung, geistliche Lesung, Silentium und Pflege der Studien, führte die jährlichen Exerzitien wieder ein und traf Anordnungen über den Verkehr der Chorherren mit der Außenwelt, damit die Ehre des Stiftes und seiner Mitglieder nicht Schaden leide. Zur Zeit der notwendigen Entspannung sollten sich seine Chorherren zu gemütlicher Unterhaltung zusammenfinden. Um dieser ein standeswürdiges Niveau zu sichern, ließ er eine Kegelbahn und Schießstätte bauen und ein Billardzimmer zweckmäßig einrichten und regte darüberhinaus durch Förderung von Musik und Gesang auch höhere Interessen an. Im Chorgebet und in der Konventmesse sah er nicht bloß eine von der Kirche vorgeschriebene, sondern den Vorauer Chorherren auch stiftungsgemäß obliegende Verbindlichkeit, die nach Möglichkeit erfüllt werden müsse. Propst Gottlieb Kerschbaumer war ein Reformator. Das Stift hat bis zur Jahrhundertwende, vielleicht sogar länger, von seinem Idealismus gezehrt.
Sein Nachfolger Dr. Eusebius Rössl resignierte bereits kurze Zeit nach seiner Wahl. Doch folgten ihm glücklicherweise zwei langlebige Prälaten, deren Wirken die Entwicklung des Stiftes bestimmend beeinflusste. Der eine war Isidor Allinger (1866-1903), der letzte starke Mann, der die Vorauer Infel trug, der Wahrer des stiftischen Ansehens zur Zeit des herrschenden Liberalismus und dessen wenig kirchenfreundlicher Gesinnung. Der andere war Prosper Berger (1920-1953), der die Wirtschaftskrise nach dem Zusammenbruch der Österreichisch-Ungarischen Monarchie überwinden musste, zu der in den Österreichischen Stiften einsetzenden Erneuerungsbewegung positiv Stellung nahm, die gewaltsame Aufhebung des Stiftes zur Zeit des erzwungenen Anschlusses Österreichs an Deutschland durchleiden musste und nach der Zerstörung des Stiftes während der letzten Kriegswochen des Zweiten Weltkrieges bis zu seinem Lebensende materiell und geistig aufbauend tätig war.
Propst Berger ließ 1920 das elektrische Licht einführen, baute eine stiftseigene Hochquellenwasserleitung und eine Dampfsäge in Bruck an der Lafnitz, um eine vorteilhafte Holzausbeute zu erzielen und war wie schon seine Vorgänger bemüht, das wissenschaftliche Streben unter den Chorherren anzuregen und zu fördern. Er ließ von Pius Fank den Archivbestand ordnen und katalogisieren und von demselben eine volkstümliche Stiftsgeschichte schreiben (1925, 2. erw. Aufl.1959), subventionierte die Monographie des Malers Johann Cyriak Hackhafer (1931) und ließ auf Stiftskosten 1936 den von Pius Fank in über zehnjähriger Arbeit verfassten Handschriftenkatalog drucken. Seinem energischen Eingreifen war es zu danken, dass es 1928/29 zum Neubau der Straßen Rohrbach-Vorau und Rohrbach-Waldbach-Wenigzell kam. Fügt man dem noch seine Verdienste um das Volkswohl (Gründung und Ausgestaltung der Sparkasse des Marktes Vorau, Sorge für standesgemäße Wohnungen etc.), auf dem Gebiet der Seelsorge und der Liturgiepflege bei, dann kann man wohl ermessen, wie es ihm ergangen sein muss, als er über Nacht seines Ordenshauses beraubt wurde. Wohl enthüllte im Herbst 1938 der Gauleiter Uiberreither persönlich das steinerne Denkmal für den Historiker Ottokar Kernstock im Markt, das ihm noch das vaterländische Österreich errichtet hatte, doch dem Stift, aus dem er hervorgewachsen war, war der Untergang geschworen.
1940 wurde unser Stift, das über fast 800 Jahre hin als kulturelles Zentrum des Wechselgaues alle Stürme überstanden hatte, vom NS-Regime mit der fadenscheinigen Phrase,es sei nicht mehr zeitgemäß, erstmals in seiner Geschichte aufgehoben, beschlagnahmt und enteignet. Das Stift hieß nun "Burg Vorau" und wurde Parteischule (NAPOLA). Der damalige SS-Obersturmbannführer vermerkte am 19. April 1940 im Goldenen Gedenkbuch des Stiftes: "Nun ist aber Schluss. Dafür bürgt der Treuhänder des Stiftes Vorau Hubert Erhart, SS-Obersturmbannführer."
Schwer hatte unser Stift unter den Sendlingen der Gestapo zu leiden: Die Chorherren wurden gauverwiesen, zahlreiche Gemälde religiöser Thematik verbrannt und der Bibliothek 6.000 Bände entwendet. Der von den damaligen Machthabern geplante Schlussstrich in der Stiftsgeschichte unterblieb, denn dank der Fügung Gottes war es nur ein "Interregnum" von relativ kurzer Zeit.
Das Stift seit 1945
Als einziges steirisches Stift bekam Vorau die grausame Wucht des Zweiten Weltkrieges unmittelbar zu spüren. Abwechselnd von deutschen und russischen Soldaten besetzt, erlitt es verheerende Schäden. Im April 1945 wurde das Stift durch russische Brandbomben in Brand gesteckt. Völlig ausgestorben, ein Bild des Grauens und der Verwüstung, so bot sich das Stift den im Sommer 1945 aus ihrer Verbannung zurückkehrenden Chorherren. Doch mit viel Mut und Energie, vor allem aber mit Gottvertrauen, ging damals Propst Prosper Berger mit seinen Getreuen an den Wiederaufbau seines Heimes.
Das Vorgebäude südlich des Torturms, das Maierhaus, die Werkstatt, die Wäscherei und die gesamten Wirtschaftsgebäude mit den Stallungen waren niedergebrannt. Am Hauptgebäude waren drei Ecktürme ausgebrannt. Die übrigen Stiftsgebäude waren durch ca. 70 Granattreffer arg beschädigt. Hinzu kam, dass zu diesem Zeitpunkt auch die Rechtsverhältnisse noch vollkommen ungeklärt waren. Der gesamte, im Jahr 1940 beschlagnahmte Stiftsbesitz ging nach Ende des Zweiten Weltkrieges in das Eigentum des Landes Steiermark über. Am 1. Mai 1946 wurde Propst Prosper Berger als Treuhänder eingesetzt und erst am 4. Juni 1947 erfolgte die Rückgabe des gesamten Stiftsbesitzes an die Vorauer Chorherren. Trotz dieser Schwierigkeiten wurde sofort nach dem Ende des Krieges mit den dringendsten Arbeiten begonnen. Der Finanzierung des Wiederaufbaues diente 1951 der Verkauf des Schlosses Klaffenau bei Hartberg samt Grundbesitz.
Der materielle Wiederaufbau des Stiftes konnte von Propst Bergers Nachfolger Gilbert Prenner (1953-1970) durch die einsetzende Hochkonjunktur auf dem Holzsektor beschleunigt fortgesetzt und mit großen finanziellen Opfern vollendet werden. Für ihn und alle seine Mitbrüder hätte es wohl keinen schöneren und treffenderen Abschluss der ganzen Wiederherstellungsarbeiten geben können als die 800-Jahr-Feier unseres Stiftes im Jahr 1963. Alle Kriegsspuren waren beseitigt, das Stift stand wiederum in seiner alten Pracht und Schönheit da.
In einer Zeit wirtschaftlicher Besserstellung bemühte sich Propst Rupert Kroisleitner (seit 1970) mit künstlerischem Spürsinn um den baulichen Feinschliff des Stiftes. Zu den größten Arbeiten unter Kroisleitner zählen unter anderem der neue Marmorfußboden in der Sakristei (1971) und der Umbau der Verwaltungskanzleien. Im Jahre 1977 wurde, finanziert aus Eigenmitteln des Stiftes, ein kleines, aber modernes Bildungshaus eröffnet. 16 Zweibettzimmer, eine Hauskapelle, ein Clubraum und drei mit allen erforderlichen audiovisuellen Geräten ausgestattete Vortragssäle stehen zur Verfügung. 1977 bis 1995 fanden hier 1.970 Veranstaltungen mit ca. 71.000 Teilnehmern statt.
Einen großen Erfolg brachte die 1981 aus Anlass des 250. Todestages des Stiftsmalers Johann Cyriak Hackhofer veranstaltete Ausstellung. Der Abschluss der jahrelangen Außenfassadenerneuerung am ganzen Stiftsgebäude gab erfreulich Anlass, das 825-Jahr Jubiläum des Stiftes im Jahr 1988 in dankbarer und feierlicher Weise zu begehen.
Bibliothek
Der im Nordtrakt des Prälaturhofes untergebrachte, freskengeschmückte 27m lange und zwei Stockwerke hohe Bibliothekssaal zählt zu den attraktivsten Sehenswürdigkeiten für die Stiftsbesucher. Die Bibliothek besitzt 415 Handschriften, die seit dem Ankauf eines Handschriftenfragmentes im Jahr 1990 nun bis ins 9. Jahrhundert zurückreichen, 206 Inkunabeln und etwa 40.000 Drucke (ab 1500).
Von den 415 Handschriften sind nach dem Vorauer Handschriftenkatalog vier Fünftel mittelalterliche: eine fällt in das 9., zwei fallen in das 11., 40 ins 12., über 70 ins 13., über 50 ins 14., über 170 ins 15. Jahrhundert. Auch sind die mit Miniaturen versehenen Handschriften in der Minderzahl gegen jene, welche nur Initialen aufzuweisen haben. Das älteste Bücherverzeichnis entstand um das Jahr 1200 und ist in der Handschrift 17 (fol. 183 v) zu finden. Knapp vier Jahrzehnte nach der Klostergründung besaß das Stift rund ein halbes Hundert Bücher. Dazu kommen noch die privaten Bücher der Chorherren und die Handbibliothek des Propstes. In dem erwähnten Verzeichnis dominieren liturgische, biblische und theologische Bücher, Behelfe für die Seelsorge und das klösterliche Leben, Lebensbeschreibungen von Heiligen, aber auch offensichtliche Lernbehelfe wie Ovid, Cato und Boetius sind vertreten.
Beim großen Stiftsbrand im Jahre 1237 wurde die ganze romanische Anlage des Klosters ein Raub der Flammen. Der damalige Propst Bernhard II. (1235-1237) stürzte sich in die schon brennende Sakristei und warf Urkunden, Kodizes und andere Schätze durch das Sakristeifenster ins Freie. Er übersah in seinem Eifer, dass er von den Flammen eingeschlossen wurde, und kam im Feuer um. Von den geretteten Handschriften nimmt der unter dem Namen "Vorauer Handschrift" bekannte Sammelband aus dem 12. Jahrhundert (Cod. 276) den ersten Platz ein. Es handelt sich um die älteste Sammelhandschrift deutscher Dichtungen, zusammengebunden mit den lateinischen "Gesta Friderici" Ottos von Freising. Der umfangreichere deutsche Teil der Handschrift bringt mit der Kaiserchronik die erste Weltchronik in deutscher Sprache. Die Dichtung beginnt mit der Gründung Roms und wird dann in zwei Teilen zur biographischen Darstellung der Geschichte der römischen Kaiser von Caesar bis Konstantin VI. und der mittelalterlichen Kaiser von Karl dem Großen bis Konrad III. Mit der Kreuzpredigt des hl. Bernhard von Clairvaux bricht das Werk Ende 1146 ab. Im Anschluss an die 19.000 Verse umfassende Kaiserchronik und das Alexanderlied des Pfarrer Lamprecht bringt der Kodex zahlreiche Dichtungen geistlichen Inhalts aus der Zeit von 1050 bis 1150, darunter die Vorauer Genesis, die Vorauer Sündenklage, die Gedichte der Frau Ava.
Im Vergleich zu anderen bedeutenden Klosterbibliotheken Österreichs besitzt Vorau eine erstaunlich große Zahl an mittelalterlichen Handschriften und Textfragmenten in deutscher Sprache. Erstaunlich deshalb, weil bis tief in die Neuzeit hinein das religiöse und wissenschaftliche Schrifttum die tragenden Säulen einer klösterlichen Büchersammlung der lateinischen Sprache vorbehalten sind. Bei den "Textus germanici" und den "Poemata germanica (Fank, Catalogus, 1936, 249 u. 269) findet der Germanist, was ihn besonders angeht: Das "Büchlein von der Liebhabung Gottes" (Cod. 155 u. 163), das Gedicht "Frewt euch liebe Seelen" (Cod. 6), die Nibelungenbruchstücke aus Cod. 138 etc. Cod. 118 A enthält die 1877 von Schönbach veröffentlichten Wigaloisfragmente und Cod. 178 des Zisterziensers Andreas Kurzmann deutsche Übersetzung des "Speculum humanae salvationis". Nicht unerwähnt bleiben darf in diesem Zusammenhang die "Vorauer Novelle" (Cod. 412). Diese Erzählung handelt von zwei Jünglingen, die aus den bergenden Klostermauern ausbrechen, sich der schwarzen Kunst verschreiben und fortan ein Sündenleben führen. Während der eine beim Herannahen seines Todes verstockt bleibt, will der andere Buße tun. Er bittet deshalb den unbelehrbaren Freund, er möge ihm nach dem Tod erscheinen und von seinen Erlebnissen im Jenseits berichten - eine erste Gestaltung des "Faust"-Stoffes?
Zahlreiche der frühen Handschriften sind herkunftsmäßig nach Seckau zu verweisen, von wo aus die Besiedlung der neuen Stiftung teilweise erfolgte. Die Handschriften sind überhaupt reich an Eintragungen und Hinweisen, die das Anwachsen der Sammlung erkennen lassen. Man kann allerdings, wenn auch gelegentlich vereinzelte Stücke angefertigt worden sein mochten, bis ins 15. Jahrhundert für Vorau keine Schreibschule nachweisen. Die meisten Handschriften gelangten durch Kauf oder Schenkung in die Bibliothek. Vom Markgrafen Otakar IV., dem späteren ersten Herzog der Steiermark und Sohn des Stiftsgründers, rührt ein Psalterium (Cod. 261) her. Durch das Vermächtnis des Pfarrers Ulrich von Hartberg kamen Ende des 12. Jahrhunderts die Handschriften 4 (2 Bde.) und 341 in die Bibliothek, und der Priester Wernher von Lind bei Zeltweg gab das Missale Cod. 21. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts waren die Pröpste Bernhard III. (1267-1282) und Konrad II. (1282-1300) besonders an der Vermehrung der Bibliothek interessiert. Beide Pröpste waren vor ihrer Berufung Domherren in Salzburg und brachten einzelne Handschriften von dort mit und ließen andere in Salzburg herstellen.
"Multos comparavit libros et scribi fecit" berichtet der Biograph Konrads. Um 1300 legte der Kustos und spätere Propst Dietrich in Cod. 342 abermals ein Inventar des Kirchenschatzes und der Bücher an. Sicher handelte er dabei im Einvernehmen mit dem Propst, der bald danach resignierte. Vergleichen wir die beiden Verzeichnisse, so erkennen wir eine Zunahme um etwa 60 Handschriften, wobei noch zu berücksichtigen bleibt, dass der 1200 ausgewiesene Bestand durch den Stiftsbrand im Jahre 1237 sicherlich dezimiert worden ist. Noch heute trägt Cod. 274 deutliche Brandspuren. "Diese großen Initialen der Paulusbriefe,die uns die reiche Variationsfähigkeit der ornamentalen Ausstattung eines und desselben Buchstabens durch einen hervorragenden Ornamentkünstler vor Augen führen, gehören zu dem trefflichsten, was die Vorauer Bibliothek an Initialornamentik zu bieten vermag" (Paul Buberl). Übertroffen aber wird die Ausstattung der Paulusbriefe von den herrlichen Evangelistenbildern des "Vorauer Evangeliars", das dem letzten Viertel des 12. Jahrhunderts angehört (Cod. 346). Diese Kostbarkeit steht als einzige aller Handschriften noch heute in Verwendung: sie dient den Vorauer Klerikern bei der Ablegung der Gelübde, wenn sie die Schwurfinger auf den Johannesprolog legen. Ein Salzburger Missale (Cod. 332) vermachte Ende des 13. Jahrhunderts Pfarrer Konrad von Birkfeld dem Stift, und dem Pfarrer Heinrich von Wenigzell ist die Handschrift 174 zu verdanken. Im Jahr 1332 vollendete der Vorauer Chorherr Gottfried das von ihm verfasste "Lumen animae" (Cod. 130).
Nach den Vermerken lassen sich nur wenige Erwerbungen des 14. Jahrhunderts feststellen, umso zahlreicher und vielfältiger werden diese Nachrichten im 15. Jahrhundert. Unter Propst Andreas von Pranpeck (1433-1453) wurde die Bibliothek durch Kauf und Anfertigung besonders liturgischer Handschriften bereichert. Drei Handschriften (Cod. 1,3,7) die Erhard Grutsch de Marchegg, Kaplan in Hainburg, dem Stift St. Dorothea in Wien vermacht hatte, kaufte der Propst im Jahre 1446. Es gelang ihm weiters, eine Schreib- und Buchmalschule ins Leben zu rufen, deren künstlerisch bedeutendsten Leistungen die Handschriften 254, 255 und 260 darstellen. Mit seinem Namen bleibt auch das kunsthistorische Hauptstück aus dem 14. Jahrhundert, das vierbändige Riesenantiphonar (Cod. 259) verbunden, das eine der interessantesten Odysseen in der Vorauer Buchgeschichte aufweist (Taf. 4). Dieses gewichtige Stück im Sinne des Wortes (jeder Band ist 59 cm hoch, 16 cm dick und wiegt 22 kg) wurde 1363 im Kloster Vysehrad bei Prag geschrieben. Als das Kloster in den Hussitenkriegen zerstört wurde, kam die Handschrift nach Wien, wo sie auf dem Jahrmarkt zum Kauf angeboten wurde. Dort erwarb Propst Andreas um 1435 um billiges Geld dieses Riesenwerk und brachte es unter vielen Mühen nach Vorau. Nach Jahren wollten die Vorauer Chorherren das Werk den ursprünglichen Besitzern zurückerstatten,doch ließen diese durch einen Boten erklären, dass sie es im Stift belassen. Nun schritt man in Vorau zu einer Umarbeitung des Textes, um ihn für die Benützung am Ort brauchbar zu machen, gehörte doch Vorau zur Salzburger Erzdiözese. An diesem Verbesserungswerk, das zwei Jahre (1496--1498) in Anspruch nahm und ein Unikum darstellt, beteiligten sich mehrere Chorherren. Viele Seiten wurden herausgenommen, dafür andere eingefügt, Initialen herausgeschnitten und auf neu beschriebene Blätter geklebt, vieles sorgsam ausradiert und neu überschrieben.
Einige Handschriften (134, 366, 367, 145) gelangten durch Wolfgang Voitländer in die Bibliothek und Pfarrer Petrus Pranpek aus Böheimkirchen hinterließ die Handschriften 152, 176 und 282. Vorbesitzer der Handschriften 59, 138, 150 und 131 war Caspar Flewger, der uns in Cod. 150 das Verzeichnis seiner Büchersammlung hinterlassen hat. Die angeführten Stücke kamen durch den Odenburger Kaplan Johann Nef nach Vorau. Eine Reihe von Handschriften spendete Leonardus Frisching vel Rasoris de Leoben im Jahre 1476 (Cod. 112, 127, 199, 221, 250, 306, 313, 362, 373).
Der Nachfolger von Propst Andreas, Leonhard von Horn (1453-1493), hatte das Interesse seines Vorgängers an Buch und Wissenschaft übernommen; unter ihm wurden ungefähr 50 Kodizes geschrieben bzw. gekauft. Über die damals entstandenen Werke urteilt Paul Buberl: "Die Arbeiten der Vorauer Illuminierschule des 15. Jahrhunderts werden in einer zusammenfassenden Geschichte der Österreichischen Miniaturmalerei des 15. Jahrhunderts einen ehrenvollen Platz einnehmen." In diese Zeit fällt auch die im Jahre 1467 fertiggestellte Vorauer Volksbibel, die mit ihren insgesamt 559 Miniaturen nicht nur die mit Abstand reichst bebilderte Vorauer Handschrift, sondern im Vergleich mit den noch rund 100 erhaltenen deutschsprachigen Historienbibeln mit dieser gewaltigen Fülle von Bildern die am umfangreichsten ausgestattete ist und als ein hervorragendes Beispiel der urwüchsig frischen, volkstümlichen Illustrationskunst Beachtung verdient. Nicht unerwähnt bleiben mögen in diesem Zusammenhang die zahlreichen, vom Vorauer Buchbinder Jacobus in den Jahren 1474 bis 1478 angefertigten gotischen Blindstempeleinbände. An fremden Handschriften besitzt Vorau nur zwei, die beide dem 14. Jahrhundert angehören: eine italienische Dekretalenhandschrift mit hübschen kleinen Miniaturen (Cod. 153) und eine französische Bibel (Cod. 59).
Die revolutionären Folgen der Erfindung des Buchdruckes schränkten die Herstellung von Handschriften auf ein Minimum ein, ja waren vielfach sogar der Anlass, bereits Bestehendes zu zerstören. So manche Vorauer Handschrift ist uns nur deshalb erhalten geblieben, weil sie im 15. bis 17. Jahrhundert als Makulatur zum Neubinden von Büchern verwendet wurde, wofür viele Bände in der Stiftsbibliothek Zeugnis geben. Nicht unbegründet schrieb deshalb ein verständiger Bibliothekar des 17. Jahrhunderts in den Cod. 275, aus dem über 40 Folioblätter herausgeschnitten wurden: "Quid fecisti, frater idiota, quod hunc librum Decretalium glossatum ita perdideris?" Weitere Verluste erlitt die Sammlung durch Abgänge in andere Bibliotheken: 1549 gelangten vier Handschriften durch Wolfgang Lazius in die Wiener Hofbibliothek, weitere Kodizes liegen unter anderem in Budapest, in der Handschriftensammlung der Universitätsbibliothek in Graz, im Stift Reichersberg, eine Papierhandschrift in der Studienbibliothek in Klagenfurt. Der im Laufe der Jahrhunderte stark angewachsene Bücherschatz des Stiftes machte den Neubau eines Bibliothekssaales notwendig, den man im Nordtrakt des unter Propst Franz Sebastian Graf von Webersberg (1717-1736) aufgeführten Prälaturtraktes unterbrachte. 1730 wurde mit künstlerischem Feingefühl mit der Ausstattung des 24 m langen und zwei Stockwerke hohen gewölbten Raumes begonnen. Bereits 1731 war der Handschriftenraum vollendet, der nur ein Stockwerk hoch und vom Bibliothekssaal über eine an der Westwand geschickt angebrachte Doppelwendeltreppe erreichbar ist. Dieser Raum, in dem bis 1912 die Handschriften und Inkunabeln aufgestellt waren - aus Sicherheitsgründen hat man sie damals in einen feuer-und einsturzsicheren Raum verlagert - wurde von J. B. Bistoli stuckiert, von Josef Georg Mayr, einem jugendlichen Vorauer Künstler, ausgemalt und erhielt vornehme Bücherschränke.
Der Bau des Bibliothekssaals gab Anlass zur Neuaufstellung, Nummerierung und erstmaligen Beschreibung der Handschriften durch den Bibliothekar Julius Franz Gußmann, eine Arbeit, die im Jahre 1733 abgeschlossen wurde. Durch den vom Vorauer Chorherrn Pius Fank in zehnjähriger umfassender Arbeit erstellten Handschriftenkatalog, den das Stift 1936 aus Eigenmitteln drucken ließ, ist seither der Vorauer Handschriftenbestand für alle Welt erschlossen. Seine Drucklegung ist letztlich auch die Ursache dafür, dass diese Sammlung von Manuskripten Gegenstand intensiver Forschung geworden ist.
Der Bearbeitung und Erschließung des mittelalterlichen Handschriftenschatzes seiner Bibliothek widmete das Stift Vorau gerade in den letzten Jahrzehnten sorgfältige Aufmerksamkeit durch die Faksimilierung mehrerer Kodizes. So wurde bereits im Jahr 1953 die in der "Vorauer Handschrift" (Cod. 276) enthaltene Kaiserchronik in Faksimile (gegenüber dem Original um ein Drittel verkleinert) aufgelegt, ihr folgten 1958 die deutschen Gedichte aus demselben Kodex. 1983 wurde von Ferdinand Hutz der künstlerisch kostbarste Schmuck des "Vorauer Evangeliars" (Cod. 346), die vier ganzseitigen Evangelistenbilder und die dazugehörigen Incipit-Seiten, mit zwölf Faksimile wiedergaben und einführendem Text allgemein zugänglich gemacht, vom gleichen Autor erschien 1986 eine Faksimilewiedergabe aller 51 Seiten des Buches Exodus aus der "Vorauer Volksbibel" von 1467 (Cod. 273). Das große Interesse, das dieses Werk hervorgerufen hat, bewog das Stift Vorau zur Faksimilierung der ganzen Volksbibel, die in vier Teilbänden erschien.
Wer immer aber die Vorauer Stiftsbibliothek besucht oder als Forscher Einblick in die Vorauer Handschriftensammlung nimmt, möge sich von jenem Chronogramm (1731) leiten lassen, das im Kreuzgang des Prälaturhofes über dem mächtigen Portal des Bibliothekseinganges angebracht ist: "IngreDere absqVe MorIs, pLaCltls Laetaberis horIs. Vt sapIens fIas saepIVs Ito VIas".
Literatur
- Text 1
- Text 2
Einzelnachweise
- ↑ Wir haben daher aus Gottesfurcht und Liebe zu Gott im Hinblick auf unser und unserer geliebten Gattin Kunigunde Seelenheil sowie auf jenes unseres teuersten Sohnes Otakar und aller unserer Vorfahren unser Gut, Vorau genannt, kraft unserer Herrschaftsgewalt an den Stuhl von Salzburg übergeben und mit Rat unseres Herrn Eberhard, des ehrwürdigen Erzbischofs, auf ebendem Gut nach der Regel des heiligen Augustinus lebende Ordensmänner für alle Zeiten angesiedelt.