Sacra.Wiki Stift Seitenstetten

Stift Seitenstetten

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Geschichtlicher Überblick

Die Hauptquelle zur Geschichte des kurzlebigen Seitenstettner Kanonikates ist eine Passauer Traditionsnotiz. Sie berichtet, dass am 24. April 1109 die Adeligen Reginbert und sein Schwager Udalschalk zum Heil ihrer Seele ein kleines Kloster (cella) zu Sitansteten, wo ein gemeinsames Leben von Chorherren (canonicorum) eingerichtet worden ist, samt ihren Eigengütern Tulbing, Still und Heft und den übrigen Gütern oder Hörigen, die zu dem Kloster gehörten, auf den Altar des hl. Erzmärtyrers Stephanus in der Kirche von Passau übergeben haben. Bischof Ulrich sei dabei anwesend gewesen und der Vogt Ulrich habe die Schenkung übernommen.

Als Stiftungsbedingung wurde festgelegt, dass die Chorherren vom gemeinsamen Leben (communis vite canonici) dortselbst (in Seitenstetten) immerdar Gott dienten. Sollte aber ein Bischof oder sonst eine mächtige Person diese Stiftungsbedingung beeinträchtigen und zu einem anderen Zweck übertragen wollen, dann solle der nächste Erbe (der Stifter) (nach Passau) kommen, ein Goldstück auf den Altar legen und die gestifteten Güter als Erbe zurücknehmen, wenn das angetane Unrecht nicht innerhalb eines Jahres beseitigt würde. Zusätzlich habe Bischof Ulrich zur Ergänzung der Pfründe (in supplementum prebende) der Brüder die (Pfarr-) Kirche Aschbach samt dem Zehent, soweit er nicht schon zu Lehen gegeben war, übergeben. Außerdem habe Reginbert die Zehenteinhebung, die er in der Pfarre Wolfsbach zu Lehen gehabt habe, an Bischof Ulrich zurückgegeben und dieser habe sie derselben Kirche (Wolfsbach?) zum gemeinsamen Gebrauch der Chorherren verliehen.

Zum besseren Verständnis dieser Hauptquelle trägt die Gründungsgeschichte des Stiftes Seitenstetten bei, welche Abt Gundaker (1318–1324) verfasst hat. Sie spricht von Regularkanonikern und gibt die genaue Lage ihres Klosters (cenobium Canonicorum Regularium) zu St. Veit in der Au an. Auch die Verwandtschaft der zwei Stifter gibt sie näher an: Reginbert von Hagenau sei der Mann der Helena, einer Schwester des Stifters Udalschalk, gewesen. Dadurch lässt sich auch die Person der zwei Stifter näher bestimmen. Reginbert hatte seinen Stammsitz in Hagenau am Inn, Bezirk Braunau, Gemeinde St. Peter am Hart, besaß aber auch östlich von St. Pölten einen Sitz Hagenau in der Pfarre Böheimkirchen und weitere Güter, von denen er Tulbing in die Stiftung einbrachte. Der Stifter Udalschalk wird meistens nach seinem Sitz Still in der Pfarre Hofkirchen an der Trattnach, Bezirk Grieskirchen, benannt und hatte auch noch einen Besitz Heft in der Pfarre Gaspoltshofen, ebenfalls im Bezirk Grieskirchen in Oberösterreich. Seinen Hauptsitz aber hatte er in Seitenstetten.

Näher zu bestimmen ist auch noch die Rolle, die Bischof Ulrich von Passau (1092–1121) bei der Stiftung des Kanonikates in Seitenstetten spielte. Er hatte dem Reginbert von Hagenau die Zehenteinhebung in der Pfarre Wolfsbach überlassen, obwohl dieser sonst mit Wolfsbach nichts zu tun hatte. Nun war der Zehent die damalige Form der Kirchensteuer und sollte kirchlichen Zwecken dienen. Auch Bischof Ulrich wird daher ein kirchliches Ziel verfolgt haben, als er dem Reginbert die Zehenteinhebung (decimatio) in Wolfsbach zu Lehen gab. Wenn Reginbert aber bei der Übergabe des errichteten Kanonikates an Passau diese Zehenteinhebung wieder zurückgab, dann war doch wohl der Zweck erfüllt, weshalb er sie erhalten hatte. Daraus ergibt sich, dass er mit dem Ertrag des Wolfsbacher Zehents das Seitenstettner Chorherrenstift erbauen sollte.

Wenn nun der Bischof die Zehenteinhebung in Wolfsbach wieder an die Kirche von Wolfsbach verlieh, jedoch zum gemeinsamen Nutzen der Chorherren, dann ergibt sich daraus ferner, dass die Kanoniker die Seelsorge in der Pfarre Wolfsbach ausüben sollten. Dass dieses Chorherrenstift und seine Kirche denselben Patron erhielten wie die Kirche Wolfsbach, legt den Gedanken nahe, dass überhaupt der Pfarrsitz von Wolfsbach nach Seitenstetten verlegt wurde. Als 823 Ludwig der Fromme unter anderem auch Wolfsbach dem Hochstift Passau bestätigte, lag dieser Ort ungefähr inmitten seines Sprengels, der bis zur Url reichte. Als aber nach dem Ungarnsturm eine zweite deutsche Besiedlungswelle nach Süden und Westen über die Url bis an die oberösterreichische Grenze vorstieß, befand sich der Pfarrsitz beinahe am Rande seines groß gewordenen Sprengels.

Mit der Errichtung des Kanonikates in Seitenstetten als Seelsorgezentrum für die Großpfarre Wolfsbach wollte der Bischof zwei Vorteile erreichen: eine leichtere Erreichbarkeit des Pfarrsitzes von allen Seiten und eine genügende Anzahl von Seelsorgern. Die treibende Kraft bei der Gründung des Seitenstettner Chorherrenstiftes ist also sehr wahrscheinlich Bischof Ulrich von Passau gewesen. Die zwei adeligen Stifter hingegen stellten, wie die Traditionsnotiz ausdrücklich sagt, nur einen Teil ihres zeitlichen Besitzes zur Verfügung, noch dazu von Seitenstetten weit entlegene Nebengüter, deren Verwaltung für die Kanoniker schwierig gewesen sein muss. Sie dürften also eher halbherzig mitgewirkt und der Sache nicht recht getraut haben. Die Rücknahmeklausel in der Traditionsnotiz weist in diese Richtung, obwohl sie auch in anderen Stiftungsdokumenten jener Zeit vorkommt.

Wie kurzlebig das Chorherrenstift sein sollte, werden sie aber doch nicht geahnt haben. Das Jahr seines Endes kann allerdings ebenso wenig sicher angeben werden wie das Jahr seiner Gründung. Als Gründungsjahr gab man in der Barockzeit 1107 an, ohne dafür einen mittelalterlichen Beleg beizubringen. Als Jahr der Auflösung ist 1111 am wahrscheinlichsten. Am 23. August 1111 bestätigte nämlich Bischof Ulrich unter anderem auch Zehente in Amstetten, Stephanshart, Aschbach und Sindelburg nicht etwa dem nahen Chorherrenstift Seitenstetten, sondern dem entfernteren Stift St. Florian. Daraus darf man wohl schließen, dass das Kanonikat Seitenstetten nicht mehr bestand oder keine Aussicht auf ein Weiterbestehen bot.

1112 gründete dann Udalschalk allein ein Kloster für Mönche in Seitenstetten zu Ehren der Gottesmutter und stellte dafür seinen ganzen Erbbesitz in Seitenstetten und Oberösterreich zur Verfügung, alles zu seinem eigenen Seelenheil und dem seiner Vorfahren. Hier ist ein Unterschied in der Motivation bemerkbar: Bischof Ulrich und seinem Vorgänger Altmann ging es um eine Verbesserung der Seelsorge. Daher gaben sie Chorherren den Vorzug, weil diese bereit waren, am Ort ihres Klosters und in seiner Umgebung die ordentliche Seelsorge zu übernehmen, während die Benediktiner das damals noch ablehnten. Adeligen Stiftern aber kam es dar auf an, dass in ihrer Stiftung, ungestört von anderen Verpflichtungen, immerfort für ihr ewiges Heil und die Seelenruhe ihrer verstorbenen Angehörigen gebetet werde. Dafür schienen ihnen die Benediktiner besser geeignet als die Chorherren.

Wirtschaftliche und rechtliche Verhältnisse

Die geringe Bestiftung mit liegenden Gütern hielt man wohl deshalb für ausreichend, weil die Chorherren auch aus ihrer Seelsorgearbeit Einkünfte erwarten konnten. Der Besitz von Tulbing (im Bezirk Tulln) war für das Kanonikat wertvoll, weil man dort Wein baute. Durch die Übergabe an Passau wurde das Kanonikat ein Eigenkloster dieses Hochstiftes. Als weltlichen Vertreter durften die Chorherren einen Vogt wählen, doch musste er aus der erbberechtigten Verwandtschaft der Stifter stammen. Bei der Auflösung des Kanonikates machten die drei Stifter von der Rücknahmeklausel Gebrauch und nahmen ihre Stiftungsgüter wieder an sich. Im Laufe des 12. Jahrhunderts kamen fast alle durch neuerliche Schenkungen an das Benediktinerstift Seitenstetten. Die Kirche des Chorherrenklosters wurde Filialkirche von Wolfsbach .

Baugeschichte

Weder von der Kirche des Kanonikates noch vom Kloster selbst wurden bisher Reste gefunden.

Literatur

  • Heinrich Koller: Bischof Ulrich von Passau und das Stift Seitenstetten. In: Geschichte und ihre Quellen. Festschrift für Friedrich Hausmann zum 70. Geburtstag. Hg. von Günter Cerwinka / Walter Höflechner / Othmar Pickl / Hermann Wiesflecker u. Reinhard Härtel. Graz 1987, S. 417–425.
  • Petrus Ürtmayr / Ägid Decker: Das Benediktinerstift Seitenstetten. Wels 1955, S. 19f.
  • Elisabeth Schuster: Die Etymologie der niederösterreichischen Ortsnamen. 3. Teil. Wien 1994 (Historisches Ortsnamenbuch von Niederösterreich, Reihe B) S. 268 Nr. 290.
  • Benedikt Wagner: Die Anfänge Seitenstettens. Österreichs Wiege - der Amstettner Raum. In: Beiträge zur Babenbergerzeit im politischen Bezirk Amstetten und der Statutarstadt Waidhofen an der Ybbs. Hg. von Franz Überlacker. Amstetten / Waidhofen an der Ybbs 1976, S. 45–103.
  • Benedikt Wagner: Beiträge zur Geschichte Seitenstettens. In: Seitenstetten. Udalschalks Erbe im Wandel der Zeit. 500 Jahre nach der Verleihung des Marktrechtes. Hg. von Markgemeinde Seitenstetten. Seitenstetten 1980, S. 33–141, bes. 126–128.
  • Benedikt Wagner: Stift Seitenstetten und seine Kunstschätze. St. Pölten 1988.
  • Benedikt Wagner: Seitenstetten. In: Die benediktinischen Mönchs- und Nonnenklöster in Österreich und Südtirol. Band 3/3. Hg. von Ulrich Faust / Waltraud Krassnig. St. Ottilien 2002 (Germania Benedictina, 3/3), S. 522-603, bes. S. 522f.
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