Sacra.Wiki Stift Reichersberg

Stift Reichersberg

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Stift Reichersberg, Kupferstich (1721)

Historische Namensformen

Der Name Reichersberg besagt, dass es sich um einen Berg handelt, der einmal Eigentum eines gewissen „Reicher“ oder „Richer“ und von ihm bewohnt war. Oft hängen Berg Ortsnamen auch mit einer Burg oder sonstigen alten Befestigungen zusammen. Die älteste Quelle, das „Chronicon Reicherspergense“ aus dem 12. Jahrhundert spricht von einer Burg Richersperg. Seit dem 13. Jahrhundert findet sich auch die Schreibweise Reichersperg. In den alten Urkunden scheinen geringfügige Abwandlungen dieser Namensformen auch: Richerisperg, Richeresperg, Richinperg, Rychersperg, Richersberg.

Politische und kirchliche Topographie

Mit dem Friedensvertrag zu Teschen 1779 zwischen Maria Theresia und Friedrich II. von Preußen kam das Innviertel zu Österreich und wurde danach nur vorübergehend unter Napoleon von 1810 bis 1816 an Bayern zurückerstattet. Infolge des Revolutionsjahres 1848 wurde die grundherrschaftliche Obrigkeit aufgelöst und 1850 die Gemeinde Reichersberg gegründet. Dank der historischen und kulturellen Bedeutung der alten Klostersiedlung erhielt Reichersberg im Jahre 1983 von der oberösterreichischen Landesregierung die Ernennung zur Marktgemeinde. Heutige topographische Lage: Republik Österreich, Bundesland Oberösterreich, Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis, Bezirksgericht Obernberg, Marktgemeinde Reichersberg. Kirchlicherseits gehörte das Innviertel ehemals größtenteils zur 739 gegründeten Diözese Passau. Mit dem Wechsel der Landeshoheit kam es zum 1783/85 gegründeten Bistum Linz.

Patrozinien

Die alte Burg des Werner besaß eine Kapelle zum heiligen Sixtus, in der die Stifterfamilie auch ihre letzte Ruhestätte fand. Nach dem Bau der neuen Klosterkirche erhielt sie bei der Weihe durch Erzbischof Konrad von Salzburg im Jahre 1126 den heiligen Erzengel Michael zum Patron. Ihm hatte schon Werner seine Stiftung ausdrücklich anvertraut. Seit der Übertragung der Reliquien des heiligen Märtyrer Claudius in die Stiftskirche am 21. Juli 1709 wurde dieser auch als zweiter Kirchenpatron verehrt, doch ist sein Kult nach dem Zweiten Weltkrieg erloschen. Die im Jahre 1138 für das Chorfrauenkloster errichtete Kirche war der heiligen Jungfrau Maria geweiht. Die Frauenkirche wurde 1786 gesperrt und 1820 abgebrochen.

Geschichte

Gründung

Die Gründung des Stiftes Reichersberg fällt in die Zeit des Investiturstreits. Die einzige Quelle, die uns über die Anfänge des Stiftes und über die Motive, die zu seiner Gründung führten, Aufschlüsse gibt, sind die „Annales Reichserpergenses“ aus der Mitte des 12. Jahrhunderts. Eine Stiftungsurkunde ist nicht vorhanden, vielleicht hat sie auch nie existiert.

Die verschiedenen Fassungen der Annalen nennen sowohl 1080 als auch 1084 als Gründungsjahr. Der Chronist Gerhoch berichtet dazu: Um diese Zeit war in der Burg Reichersberg Werenher Herr dieser Burg, ein sehr edler und reicher Mann, der sich vermählt hatte mit Dietbirga, einer Schwester des Erzbischofs Gebhard von Salzburg. Da er nach dem Tode seines Sohnes Gebhard, der im Jünglingsalter gestorben war, und dem Dietbirgas, seiner Gemahlin, keinen Erben hatte und zwischen seinen weiteren und engeren Verwandten heftiger Streit wegen seines Erbes entstand, entschloss er sich umso mehr, Gott und den heiligen Michael zum Erben zu wählen.

Während Dietbirga als Schwester des Erzbischofs Gebhard aus dem Geschlecht der Graden Helfenstein in Schwaben stammt, lässt sich die Herkunft des Werner schwer fassen. Bei der Gründung des Klosters Admont 1074 scheinen Werner und sein Sohn Gebhard als Zeugen auf, in der Reihenfolge allerdings erst nach den Grafen unter den Edlen. Im Zusammenhang mit dem Konflikt um das Erbe erfahren wir auch von einem Bruder Werners namens Aribo und dessen Sohn Albwin. Die Sippe hatte jedenfalls auch Besitzungen in Kärnten, die unter den beiden Brüdern Aribo und Werner aufgeteilt waren. Aribos Sohn Albwin war mit der Gründung seines Onkels nicht einverstanden und entwand in der Folgezeit dem Stift die Kärntner Besitzungen.

Forschungen Ludmil Hauptmanns führten zu der Annahme, Werner sei Sohn des Grafen Askwin gewesen, dessen Sippe in Kärnten eine enorme Machtfülle ausgeübt hat. Über Askwin führen auch Beziehungen zu den Grafen von Plain, mit denen Werner seit dem 15. Jahrhundert in Beziehung gebracht wurde. So nennt die Umschrift des Stiftergrabsteines in der Stiftskirche Werner einen Grafen von Plain, auch das zur selben Zeit (etwa 1465) entstandene Gedicht über die Anfänge des Klosters Reichersberg greift diese Aussage auf: Anno Christi geburd tausend jar und vierundachzig, das ist war, / zu derselbigen frist hueb sich an ein stifft / zue Reichersperg, als ich las, das hie ein fest geschloss was. / Darauf sassen gemein grafen und freyl`ne von Playn…(Liber procurationis, 76; AR 134) Diese Zuordnung ist nach den heutigen Erkenntnissen zwar nicht zu halten, doch steht dahinter vielleicht doch eine Ahnung der spätmittelalterlichen Chorherren vom Verwandtschaftskreis ihres Stifters.

Der verdienstvolle Haushistoriker des Stiftes Konrad Meindl hält Werner für einen begüterten Reichministerialen, einen Reichsfreiherrn. Jedenfalls wandelte Werner nach dem frühen Tod seines einzigen Sohnes und dem seiner Gattin seine Burg in ein Kloster für Chorherren um. Es fällt auf, dass der zuständige Diözesanbischof Altmann von Passau, ein großer Freund der Chorherren, mit keinem Wort erwähnt wird. Der Stifter übergab seine Gründung vielmehr seinem Schwager, dem Erzbischof Gebhard von Salzburg und seinen Nachfolgern. Somit erklärt sich die eigenartige Tatsache, dass Reichersberg zwar in der Diözese Passau lag, aber als Eigenkloster des Erzbistums Salzburg mehr dorthin tendierte. Werner trat selbst in die Ordensgemeinschaft ein, spätestens im Jahr 1086 starb er. Sein Todestag wird seit jeher am 5. Oktober gefeiert. Als Begräbnisstätte der Stifter diente wahrscheinlich zuerst die alte Schlosskapelle zum heiligen Sixtus, später ruhten die Gebeine vor dem Kreuzaltar der 1126 geweihten Stiftskirche zum heiligen Erzengel Michael. Der römische Kardinal Commendone, der am 4. März 1569 das Stift visitierte, erwähnt das mit einer prachtvollen Deckplatte geschmückte Hochgrab der Stifter. Nach dem Brand von 1624 kam die Platte in der neuen Kirche an die linke Wand. Ob die Überreste der Stifter an der früheren Stelle unter dem Kirchenpflaster oder etwa vor der Grabplatte beigesetzt wurden, lässt sich nicht mehr feststellen. Bald nach dem Tod des Stifters kamen unheilvolle Zeiten. Der bereits erwähnt Neffe Werners, Albwin, fiel mit deinem Anhang über das wehrlose Kloster her, vertrieb die Chorherren und riss die Besitzungen an sich. Zwar führte Erzbischof Gebhard die Chorherren wieder zurück, doch hatte das Stift nach dessen Tod 1088 unter dem Gegenbischof Berthold von Moosburg schwer zu leiden. Dieser verlehnte das Stift an Laien, wohl an Verwandte Werners. Zum zweiten Mal erlosch das klösterliche Leben.

Erst unter Erzbischof Konrad I. kamen für das Haus wieder bessere Zeiten. Im Jahre 1110 berief er Chorherren aus Sachsen und setzte einen Propst namens Berwin ein. Konrad fiel aber beim Kaiser in Ungnade und musste viele Jahre in der Verbannung zubringen. Die Lage im papsttreuen Chorherrenstift wurde zusehends kritischer, sodass es Propst Berwin vorzog, mit dem Großteil der Ordensleute in seine Heimat Sachsen zurückzukehren.

Nach der Aussöhnung zwischen Papst und Kaiser durch das Wormser Konkordat im Jahre 1122 setzte Erzbischof Konrad I. den Priester Gottschalk als zweiten Propst ein und weihte 1126 die neue Klosterkirche zu Ehren des heiligen Erzengels Michael ein. Aber auch unter Propst Gottschalk konnte sich das Stift nicht recht entfalten.

Erst mit dem dritten Propst, Gerhoch (1132–1169), begann eine echte Blütezeit. Dieser war 1093 in Polling in Oberbayern geboren, wurde nach Studien in Freising, Moosburg und Hildesheim Domherr in Augsburg, schloss sich später den Chorherren von Rottenbuch an, konnte aber weder dort noch in der Pfarre Cham im Bayerischen Wald seine Reformideen verwirklichen. Erst in Reichersberg eröffnete sich ihm ein zwar kleiner, aber doch selbstständiger Wirkungsbereich.

Im ersten Jahrzehnt widmete er sich dem Ausbau der desolaten Gebäude und der inneren Festigung des Konvents. Chorgebet und feierlicher Gottesdienst, Pflege der Wissenschaften, Studium und Abschreiben von Büchern füllten das Tagewerk der Chorherren aus. Für die Arbeiten im Haus, in den Wirtschaftsbetrieben und auch auf auswärtigen Besitzungen nahm Gerhoch Laienbrüder auf. Einige hundert Meter vom Stift entfernt entstand ein Nonnenkloster, dessen Kirche 1138 durch Bischof Roman von Gurk in Anwesenheit des Erzbischofs Konrad die Weihe erhielt.

Nach den Annalen wurde in Reichersberg von Anfang an die Regel des heiligen Augustinus beobachtet. Die Gründung erfolgte in usum clericorum Deo sanctisque eius ibidem sub regula sancti Augustini in perpetuum servituris. Es wird allerdings nicht berichte, woher die ersten Chorherren kamen, vielleicht auch aus dem nahen St. Nikola bei Passau, wo sie 1078 vertrieben worden waren. Es wäre aber auch denkbar, dass Werner einfach einen Kreis von Klerikern um sich sammelte und mit ihnen – nach dem Vorbild des heiligen Augustinus – in gemeinsames Leben begann. Unter Erzbischof Konrad I. finden wir sächsische und auch rheinische Kanoniker in Reichersberg, Gerhoch stellte schließlich eine Verbindung zu Rottebuch her, wo er 1124 eingetreten war.

Von seinen fünf Brüdern, die ebenfalls den geistlichen Stand wählten, folgte ihm Arno nach Reichersberg, wo er als Stiftsdechant und nach Gerhochs Tod als Propst wirkte. Neben anderen theologischen Werken verfasste er die Schrift „Scutum canonicorum“, die uns wertvolle Einblicke in das Klosterleben dieser Zeit gibt.

Arno hält grundsätzlich am ordo monasterii fest, ohne ihn aber als buchstäblich gültiges Gesetz anzusehen- Die Handarbeit gibt ihm wie Gerhoch als eigentliche Aufgabe der Mönche und Konversen, aber auch für die Kanoniker sieht er Arbeit vor, vor allem im Kloster, in Notfällen auch außerhalb des Klosters; besonders die Kräftigeren und Jüngeren sollen sich auch knechtischer und bäuerlicher Arbeit nicht entziehen. Doch die pietas steht nach Paulus über dem exercitium corporis; die Handarbeit ist kein unentbehrlicher Bestandteil des apostolischen Lebens. Das Wesen des Regularkanonikertums besteht im gemeinsamen Leben ohne Eigentum, der gemeinsamen Liturgie, bei der der lectio mindestens zwei Stunden täglich eine zentrale Rolle zufällt, dem Lehr- und Seelsorgeamt, das dem Kanoniker die gegenüber dem Mönch höhere Würde verleiht. Um zu predigen, Kranke zu besuchen, Tote zu bestatten, zu katechisieren und zu taufen, verlassen die Kanoniker ihr Kloster, Gerhoch sah in den Regularkanonikern keinen Orden, sondern einfach den gemeinschaftlich lebenden Klerus, dessen erste Aufgabe es ist, die Seelsorge auszuüben- Er wollte die vita communis zur Lebensform des gesamten Klerus machen, wobei er sich in seinen Reformschriften an die Päpste, Kardinäle und Bischöfe wandte, gleichsam um von oben zu reformieren, nicht aber von unten zu revolutionieren. In seinen Ideen fand sich Gerhoch bestätigt durch Erzbischof Konrad I. von Salzburg, der, nachdem er das Domkapitel reguliert hatte, die Regularkanoniker in seiner Diözese nachhaltig förderte und sie in sein Seelsorgskonzept einbaute.

In den ersten Jahrzehnten hatte die Seelsorge in Reichersberg praktisch keine Rolle gespielt. Das Stift lag im Pfarrgebiet von Münsteuer, einer uralten Mutterpfarre. Seit 1078 war Münsteuer im Besitz des Hochstiftes Bamberg. Der Stiftsbereich genoss zwar schon seit der Gründung eine gewisse Unabhängigkeit, doch war der Seelsorgbezirk sehr klein, es handelte sich praktisch um eine Personalpfarre für die Dienstleute des Stiftes.

Nachdem Gerhoch, um den Stiftsbesitz abzurunden, ein weit entferntes Gut gegen Münsteuer eingetauscht hatte, vertraute der Bischof von Passau den Chroherren auch die Seelsorge um Münsteuer an. Zum ersten Mal erhielt Gerhoch somit ein Geschenk aus der Hand seines Diözesanbischofs, die erste Pfarrei überhaupt, die dem Stift einverleibt wurde. Mit der Übernahme der Seelsorge in der Pfarre Bromberg in dem weithin noch nicht kanonisierten Gebiet an der damaligen ungarischen Grenze im Jahre 1160 konnte Gerhoch auch eine seiner Lieblingsideen verwirklichen: das gemeinschaftliche Leben des Klerus an einer Pfarrkirche. Fortan lebten mehrere Priester und auch Laienbrüder in Bromberg, das sich in den nächsten Jahrhunderten zu einer wichtigen Mutterpfarre entwickelte.

Die Aktivitäten des Reichersberger Propstes waren damit aber noch lange nicht erschöpft. Wichtige Dienste leitete er der römischen Kurie. Achtmal weilte er in der Ewigen Stadt, um die Sache des Stiftes zu vertreten oder an der Reform der Kirche mitzuwirken. Wie eine unerschütterliche Säule stand er immer auf Seiten des rechtmäßigen Papstes. Fruchtlos tadelte er aber auch Missstände und Fehler auf kirchlicher Seite. Zweimal begleitete er päpstliche Gesandte auf ihren Visitationsreisen. Gerhoch starb am 27. Juni 1169 im Alter von 76 Jahren und wurde in der alten Stiftkirche beigesetzt. Der Stein, der einst sein Grab bedeckte, liegt nun, auf sechs Säulen erhöht, im Kreuzgang des Stiftes. Um die glatte, bildlose Platte aus rötlichem Salzburger Marmor läuft eine Umschrift, die frühestens 150 Jahre nach seinem Tod eingehauen wurde:

„ANNO MCXXXII VENERANDUS PATER MAGISTER GERHOHUS SUSCEPIT PRELATURAM HUIUS LOCI. OBIIT VERO V KAL. IULII MCLXIX FELICITER AMEN.”

Zwischen Blüte und Reform

Die Blütezeit, die das Stift unter Propst Gerhoch erlebt hatte, konnte von dessen unmittelbaren Nachfolgern Arno und Philipp nur kurz aufrechterhalten werden. Bereits in den letzten Jahrzehnten des 12. Jahrhunderts verschlechterte sich die Situation des Stiftes. So kam es zwischen 1181 und 1209 zehnmal, darunter siebenmal durch Resignation des Propstes, zu einem Wechsel in der Leitung des Hauses.

Die Ursachen dieses offensichtlichen Niederganges an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert dürften ein Verfall der Ordensdisziplin, aber auch kriegerische Auseinandersetzungen im Grenzgebiet zwischen Österreich und Bayern gewesen sein. Zusätzlich litt Reichersberg noch unter der Bedrückung durch seine Vögte. Die Pröpste sahen sich diesen Belastungen nicht gewachsen, bis 1267 kam es in rascher Folge zu Resignationen. Erst Propst Walter (1286–1281), vorher Propst zu Rohr, konnte das geistliche und wirtschaftliche Niveau des Stiftes heben, sodass ihn die Chronik als zweiten Gründer des Hauses rühmt.

Nach seinem Tod ging es jedoch wieder schneller bergab, 1283 musste Propst Seifried abdanken, die Chorherren wurden mit Ausnahme von vier entlassen, der Propst von Ranshofen übernahm die Administration des Stiftes. Zu Anfang des 14. Jahrhunderts verschlechtern sich die wirtschaftlichen Verhältnisse infolge der durch den deutschen Thronstreit zwischen dem Wittelsbacher Ludwig dem Bayern und dem Habsburger Friedrich dem Schönen ausgelösten Kriegshandlungen. Um dem drohenden Verfall entgegenzusteuern, inkorporierte Bischof Albert von Passau die Pfarre Traiskirchen.

In diesen schweren Zeiten erwuchs dem Stift ein Retter in der Person des Ortolf von Teufenbach. Er war Pfarrer in Obernberg, Domherr zu Passau, Archidiakon von Mattsee und herzoglicher Kanzler, also kein Mitglied des Konvents. Auf inständiges Bitten der Chorherren übernahm er 1326 bis 1329 und nochmals 1335 bis 1346 die Leitung des Stiftes. Er verlangte zwar, dass er nach eigenen Vorstellungen handeln könne – so reduzierte er den Personalstand auf acht Kanoniker – ging aber mit großem Engagement an diese Aufgabe und setzte auch sein eigenes Vermögen selbstlos dafür ein. Sein Nachfolger Dietmar von Bergheim (1346–1386) regierte 40 Jahre lang. Er schlichtete zahllose Streitigkeiten in Österreich und Bayern, erbaute 1355 einen neuen Kirchturm und vermehrte den Bücherstand der Bibliothek. Als er aber die Präbenden der Chorherren reduzierte, kam es zu argen Missstimmigkeiten mit dem Konvent.

Eine Lockerung des augustinischen Grundsatzes der strengen Gütergemeinschaft lässt sich seit dem 13. Jahrhundert bei vielen Stiften feststellen. Die ursprünglich individuelle Zuteilung dessen, was jeder brauchte, wich einer gleichmäßigen Verteilung der Einkünfte, unabhängig davon, ob der einzelne diese tatsächlich brauchte oder nicht. Daraus entwickelte sich eine Art Gewohnheitsrecht, dem auch reformwillige Obere oder Visitatioren nicht beikommen konnten.

Die Präbenden der Reichersberger Chorherren umfassten bis dahin am Sonntag, Dienstag und Donnerstag zu Mittag: ein Gericht von Schweinefleisch und ein zweites Rind-, Kalb- oder anderem Fleisch mit Zugemüse und Gerste in der Milch; am Montag, Mittwoch und Samstag zu Mittag: Gemüse mit Käse und Gerste in der Milch; abends für jeden Herren frei Eier und ein Viertung Käse; an Fasttagen zu Mittag: Kraut und Gerste mit Öl, Hafermus oder ein Gericht von einer anderen Hülsenfrucht und ein Gericht von Fischen, wenn solche zu haben sind.

In der Fastenzeit wurde zum Kraut ein Hering hinzugegeben. An Getränken und Brot gebührten jedem Herrn täglich zwei Seidl Wein, wie weiße und ein ordinäres Brot. An den Jahrtagen und mittleren Gesten wurde mittags und abends dem Dekan für sich allein, den übrigen Herren aber für je zwei ein Gericht, an den hohen Festen aber jedes Mal noch ein zweites hinzugefügt. Ferner wurden jedem Herrn jährlich 30 Ellen Leinwand oder statt derselben sechs Schillinge gegeben, ein Paar Sommerstiefel oder 30 Pfennige, jedes zweite Jahr eine Kappa oder sechs Schillinge, ein Pellicium oder sechs Schillinge, ein Paar Winterstiefel und alljährlich im November, Jänner und Mai jedem Priester für die kleinen Ausgaben jedes Mal 30 Pfennige.

Um ihre Rechte gegenüber dem sparsamen Propst zu wahren, griffen die Chorherren zu einem ungewöhnlichen Mittel – zum Streik Nach dem Bericht Bartholomäus Hoyers fand in der Stiftskirche zwei Jahre lang kein Gottesdienst statt, so dass schließlich der Bischof von Passau einschreiten musste, um das Einverständnis zwischen Propst und Konvent wiederherzustellen. Dem Beispiel der Brüder schlossen sich die Schwestern des Frauenklosters an und wehrten sich heftig gegen eine Beschneidung ihrer Einkünfte. Hier gelang dem Dompropst von Passau eine Einigung.

Der nächste Propst, Griffo (Greif) von Ottenberg (1368–1412), trat ganz in die Fußstapfen seines Vorgängers. Auch er war ein strenger Oberer, der keine Vergehen duldete. Gravis fuit dominisacerime eos corrioiendo pro excessibus, sagt der Chronist. Langdauernde Streitigkeiten mit dem Ritter Hans von Messenböck zu Ort nötigen den Propst sogar zu einer Intervention beim Heiligen Stuhl. Aus der Reihe der Pröpste des 15. Jahrhunderts ragt Paul Tellenpeck hervor (1415–1468). Er verbesserte die Präbenden der Chorherren, schickte mehrere Kleriker zum Studium an die Wiener Universität und vermehrte den Besitzstand durch Kauf und Schenkung. Erzbischof Sigismund von Salzburg inkorporierte im Jahre 1456 die Pfarre Pitten. Das schon lange dahinsiechende Frauenkloster ging um 1440 aber endgültig ein. Die Kirche diente später als Pfarrkirche, von den Gebäuden hat sich das Mindeste erhalten.

Während der innere Stand zu dieser Zeit also nicht schlecht war, erwuchsen dem Konvent gewaltige Bedrängnisse von außen, nämlich durch die Reformversuche des Kardinals Nikolaus von Cusa. Dieser war von Papst Nikolaus V. als Legat für die deutschen Lande bestimmt worden, mit der Aufgabe, die Reform der Kirche und speziell der Klöster voranzutreiben. Nikolaus von Cusa nahm diese Aufgabe sehr ernst. Bei der am 3. Februar 1451 eröffneten Provinzialsynode in Salzburg verlangte er ganz energisch von allen Religiosen die Rückkehr zu ihrer Regel und deren genaue Einhaltung. Als Visitatoren für die Augustiner-Chorherren ernannte der Kardinal Propst Nikolaus von St. Dorothea, Propst Petrus von Rohr und Stiftsdechant Wolfgang Kerspeck von St. Florian.

Die Kommission weilte Anfang Dezember 1451 in Richersberg. Sie bemängelte eine Fülle von Kleinigkeiten, etwa das Essen außerhalb der festgesetzten Zeit, das Verlassen des Schlafsaales ohne Erlaubnis, die Missachtung von Fastenvorschriften, unsaubere Altargeräte, Schlampigkeit beim Chorgebet. Die Visitatoren wollten derartige Unsitten ein für alle mal abstellen und verordneten die Übernahme der strengen Raudnitzer Statuten. Das war nun nicht mehr im Sinne der Reicherberger. Kaum war die Reformkommission außer Haus, wurde Propst Paul bei Kaiser Friedrich III. vorstellig und bat, dieser möge sich beim Papst dafür verwenden, dass der Konvent die seit 300 Jahren üblichen Salzburger Statuten weiterverwendet dürfe. Papst Nikolaus gewährte die erbetene Dispens. Diese Erlaubnis sollte den Chorherren einige Jahre später beinah zum Verhängnis werden. Eine 1466 von Herzog Ludwig XI. eingesetzte Kommission stellte fest, dass die bereits 1451 erfolgten Anordnungen hier überhaupt keine Beachtung gefunden hatten und drohte dem Propst wie auch dem Dechant mit der Absetzung. Erneut erging die Aufforderung zur Übernahme der Raudnitzer Statuten, und zwar sollten die Chorherren aus Indersdorf hierher berufen werden und dem Konvent bei der Einführung behilflich sein.

Wer von den hiesigen Chorherren die neuen Statuten nicht halten könne oder wolle, solle das Stift verlassen. Weiters verlangten die Visitatoren auch, dem Stift die Pfarreien zu entziehen und drängten auf die Resignation des hochbetagten Propstes, wogegen sich dieser aber heftig sträubte. Wieder wandte er sich an Kaiser Friedrich III. um Bestätigung der alten Privilegien. Diesmal ging es aber nicht mehr so einfach. Immerhin konnte die Reform durch die Indersdorfer Chorherren abgewehrt werden, auch die Pfarreien blieben erhalten – mit Ausnahme von Traiskirchen, dass der Bischof von Passau dem Stift entzog. Schließlich gab Propst Paul doch im Jahre 1468 seine Zustimmung zur Resignation.

Unter seinen Nachfolgern Bartholomäus Hoyer (1469 – 1482), Johannes von Lenberg (1482 – 1493) und Hieronymus Stettner (1493 – 1495) besserten sich die äußeren und inneren Verhältnisse stetig und erreichten unter Propst Matthäus Purkner (1495 – 1527) seinen letzten Höhepunkt vor dem religiösen Grabenbruch der Reformation in den dreißiger Jahren. Die Amtszeit dieses Propstes ist noch getragen vom erlöschenden Glanz spätgotischer Frömmigkeit. So wurden die Pfarrkirchen in Bromberg, Edlitz und Ort errichtet, die Innenausstattung der beiden Reichersberger Kirchen im Stil der Zeit erneuert. Der regen Bautätigkeit hielten Stiftungen von Messen und Jahrtagen die Waage, die Dechant Petrus Trenkler getreulich aufgezeichnet hat. Mit einer Reihe anderer Klöster ging Reichersberg damals noch Gebtsverbrüderungen ein, in den Pfarreien gab es noch ein blühendes Bruderschaftswesen.

Der Tradition seiner Vorgänger folgend, schickte auch Propst Matthäus weiterhin begabte Junioren an die Wiener Universität. Viele Zukunftshoffnungen zerschlugen sich, als die 1521 in Wien grassierende Pest alle fünft damals dort studierenden Diakone aus Reichersberg dahinraffte. Nach Aussage der freilich recht spärlichen Quellen erscheint der Konvent zu dieser Zeit noch in ich gefestigt. In den niederösterreichischen Pfarreien kündigten sich bereits aber Zeichen es Verfalls an. In einem Brief vom 7. September 1520 klagte der Propst: Es missfalle ihm aus äußerste dass halbwahnsinnige Betragen der Brüder, die nur kriegen, schlagen und Ärgernis geben und von denen einer im Auftrag des Dechants seine Dirne entfernen musste. Die gemaßregelten Pfarrer mussten ins Stift zurückkehren, was dem geistlichen Niveau des Hauses wiederum nicht förderlich gewesen sein dürfte. Der Tod des Propstes Matthäus Purkner 1527 bedeutete in der Stiftgeschichte eine tiefe Zäsur. Nur knapp einen Monat später musste am 16. August 1527 der Pfarrvikar Leonhard Käser aus Waizenbirchen in Schärding wegen seiner lutherischen Überzeugung den Scheiterhaufen besteigen. In den nächsten Jahrzehnten drangen unaufhaltsam reformatorische Ideen ein, sie trübten das katholische Glaubensbewusstsein, führten aber nur ganz selten zu einer wirklich überzeugten Annahme des evangelischen Bekenntnisses.

Die Reformationszeit

Etwas Licht brachte eine 1558 auf Betreiben Herzog Albrechts V. angesetzte Visitation in das Wirrwarr der theologischen Meinungen. Das Hauptübel war eine erschreckende Unwissenheit beim Klerus wie beim Volk. Kein einziger Chorherr hatte eine Universität besucht, der Schulmeister und ebenso der Novizenmeister vermittelten den Schülern und Jungherren deutlich lutherisch gefärbte Ansichten. Bedenklich stimmt auch, dass von den befragten Chorherren die meisten von ihren Angehörigen und nur ein einziger auf eigenen Wunsch ins Closter promoviert worden war.

Der seit einem halben Jahr im Amt befindliche Propst Wolfgang Gassner (1558–1573) konnte für die unter seinen Vorgängern eingerissenen Missstände nicht verantwortlich gemacht werden. Er beantwortete die Fragen der Visitatoren durchaus zufriedenstellend und genoss auch das Vertrauen des Konvents. Die an die Substanz gehenden Wissensmängel in Glaubenslehre und Sakramentenspendung konnten beim besten Willen nicht von heute auf morgen behoben werden, auch wenn die Chorherren versprachen vleissig nachzulesen. Jedenfalls hatten sich die Dinge nicht gebessert, als Kardinal Commendone bei der Reise zur Salzburger Provinzialsynode am 4. März 1569 das Stift visitierte. Die Mitgliederzahl war seit 1558 von 23 auf 14 gesunken, im Stift selbst lebten außer dem Propst noch vier Priester und drei Diakone, sechs Priester waren auf den Pfarreien exponiert. Die Zahl der Präbediensteten an der Stiftsschule war mit 30 gleich geblieben.

Der Kardinal beanstandete die unsauberen Kirchengeräte und die dürftigen Messgewänder. Bezüglich der Sakramente herrschte die alte Unwissenheit und Nachlässigkeit. Die Krankenölung wurde nicht gespendet und der Dechant sprach die Absolutionsformel falsch, die Messe wurde so leise gelesen, dass man kaum etwas hörte und der Ministrant gab keine Antworten - Offensichtlich gab es in den Befragungen auch Verständigungsschwierigkeiten, da die Lateinkenntnisse der Kanoniker sehr gering waren. Für die Chorherren selbst mag es eine Erleichterung bedeutet haben, dass Kardinal Commendone noch am gleichen Tag weiterreiste – sichtbare Erfolge zeigte die Visitation jedenfalls nicht.

Propst Wolfgang Gassner hinterließ bei seinem Tod das Stift in wirtschaftlicher Hinsicht in geordneten Verhältnissen. Nun tat ein starker Mann not, von dem man auch erwarten konnte, dass er die gesunkene Ordensdisziplin wieder heben würde. Die Kapitulare einigten sich auf den relativ jungen, aber selbstbewussten Cellerar Wolfgang Tallinger (1573 – 1578). Leider erfüllte er die auf ihn gesetzten Erwartungen nicht. Bald häuften sich Klagen über ihn. Er regierte eigenmächtig, gab dem Konvent keinerlei Einblick in die Wirtschaftsführung, kümmerte sich nicht um die niederösterreichischen Besitzungen, übersah fällige Steuertermine, nahm Darlehen für private Jagd- und Tischgesellschaften auf und lebte im Konkubinat. In den wenigen Jahren seiner Regierung brachte er das Haus rasch an den Rand des Abgrundes. Schließlich erhob der Konvent Klage in München und beim Ordinariat in Passau. Eine Visitation verfügte die Absetzung des Propstes und seine Inhaftierung auf der Feste Oberhaus. Er durfte nach einiger Zeit zwar wieder in das Stift zurückkehren, musste aber vom Konvent getrennt leben, bis zu seinem Tod 1582.

Die beiden nächsten Prälaten Johann und Thomas Radlmayr – sie waren Vettern – regierten nur kurze Zeit. Der 1588 durch einen Kompromiss gewählte bisherige Stiftsdechant [Magnus Keller|Magnus Keller]] (1588–1612) trat ein schweres Erbe an. Ihm fiel die Aufgabe zu, die von seinen Vorgängern übernommene Schuldenlast abzutragen. Missernten, Naturkatastrophen und Teuerungen verhinderten die rasche Sanierung der Finanzen. Dazu befand sich die Stiftskirche in einem desolaten Zustand; die Werkleute schlugen vor, sie gänzlich abzureißen und neu zu bauen. Daraus wurde zwar nichts, aber von 1593 an weisen die Prälaturrechnungen laufend Zahlungen für Reparaturen und Innenausstattung aus. Propst Magnus sorgte für die Aufstellung neuer Altäre, eines Chorgestühls, einer Orgel, der großen Glocke, für die Restaurierung des Kreuzganges, des Dormitoriums und des Kapitelsaales. Er schickte auch wieder Kleriker an höhere Schulen, vornehmlich nach Ingolstadt, Dillingen und Salzburg, sodass sich allmählich auch eine neue Geistes- und Frömmigkeitshaltung bemerkbar machte. Auf eine grundlegende Besserung des alten Klerus war ohnedies nicht mehr zu hoffen, obwohl es der Propst nicht an scharfen Verweisen fehlen ließ.

Während sich das Stift mehr schlecht als recht, aber doch tapfer durch die Reformationszeit kämpfte, sah es in den niederösterreichischen Pfarren wesentlich schlimmer aus. Die Pittener Waldmark lag das ganze 16. Jahrhundert in Angriffsfeld der beginnenden Türkenkriege und der ungarischen Vorstöße. Zu den Verwüstungen durch die Feinde gesellten sich die hohen Abgaben der „Türkensteuer“. Der protestantische Ritter- und Herrenstand nütze diese Bedrängnisse durch das Verlangen nach Religionsfreiheit aus. Die Habsburger konnten nicht wie die Wittelsbacher dem Protestantismus mit aller Schärfe gegenübertreten. Kirchlich gehörte die Waldmark damals zum Dekanat Wiener Neustadt, das mit 1782 eine eigene, sehr bewährte Synodalverfassung hatte und zu den bestverwalteten Gebieten Niederösterreichs zählte. Leider fielen gerade die Reichersberger Pfarren unangenehm auf. 1571 wurde auf einer Synode Beschwerde geführt, daß allermeist die Pfarrer unordentlich und ungehorsam leben, welche dem Prälaten zu Reichersberg gehörig sein, denn sie vermeinen, einem Salzburger Decan exemt und allein ihrem Prälaten unterworden zu sein, welcher aber diesem District also weit entlegen, als daß er seiner Pfarrer Unbotmäßigkeit weisen und wenden könnte. Unter „Reichersberger Pfarren“ verstand man nicht nur die drei mit Chorherren besetzten, sondern auch die Patronatspfarren, die von den Weltpriestern betreut wurden. Deren Vergehen wurden aber samt und sonders den Reichersbergern angelastet. In der zitierten Beschwerde wird bereits eine Ursache angesprochen: die weite Entfernung vom Stift, die das rechtzeitige Eingreifen des Propstes erschwerte. Ein weiterer Faktor waren die mächtigen protestantischen Adelsgeschlechter dieser Gegend, deren Druck sich die Seelsorger nicht zu entziehen vermochten. Die dürftige Ausbildung machte sie darüber hinaus unfähig, in den Unterscheidungslehren klare Positionen zu beziehen. So fielen sie war nicht offiziell vom katholischen Glauben ab, passten sich in ihrer Lebensweise aber doch mehr den Zeitströmungen an. Die Rekatholisierung der Buckligen Welt konnte erst gelingen, als das im 17. Jahrhundert wieder innerlich erstarkende Stift gut ausgebildete Priester in die Pfarreien entsandte und die Habsburger einen streng gegenreformatorischen Kurs gegenüber dem protestantischen Adel einschlugen.

Äußere und innere Erneuerung

Das größte Unglück seit Jahrhunderten ereignete sich Anfang Mai 1624: Ein Großbrand vernichtete die gesamte Klosteranlage. Über die Ursache gibt es verschiedene Nachrichten: Nach der einen entstand das Feuer während der Nacht durch ein vom Koch nicht gelöschtes Herdfeuer, die andere Aufzeichnung verlegt den Brand in die Nachmittagsstunden, als die Chorherren jenseits des Inn in den Auen spazieren gingen. Ein starker Wind erschwerte die Löscharbeiten, so dass nur wenig vor den Flammen gerettet werden konnte, immerhin einige alte Codices und die wichtigsten Urkunden. Aus der Not der Zeit heraus war es nicht möglich einen repräsentativen Neubau zu schaffen, zuallererst brauchte die Gemeinschaft ein Dach über dem Kopf. Am 29. Juni 1526 konnte der Grundstein gelegt werden, ein Quadrat um den Kreuzgarten. Im Herbst 1628 konnten die Chorherren das neue Kloster beziehen.

Der Bauernaufstand in Oberösterreich 1626 brachte zusätzliche Sorgen. Um ein Übergreifen auf bayerisches Gebiet zu verhindern, musste die Grenze befestigt werden. Das Stift musste Arbeiter, Reiter und Pferde bereitstellen und hohe Abgaben leisten. Die Aufregungen beim Brand, die steten Sorgen beim Neubau und diese zusätzlichen Belastungen brachten Propst Johannes Zörer (1621–1627) früh ins Grab. Der bisherige Stiftsdechant Melchior Hinterberger (1627–1637) folgte ihm im Amt nach. Er begann 1629 mit dem Neubau der Klosterkirche. Als im Dreißigjährigen Krieg die Schweden näher rückten, verteilte er die Chorherren nach Salzburg und Niederösterreich. Die drückenden Kriegsabgaben verzögerten den Kirchenbau. Erst der nächste Propst Jakob Christian (1637–1649) konnte ihn vollenden. Am 31. Juli 1644 weihte Weihbischof Bartholomäus Kobalt aus Passau die neue Kirche. In den 20 Jahren seit dem Brand waren alle Gottesdienste in der Frauenkirche gehalten worden. Der Dreißigjährige Krieg ging dem Ende zu. Die Schweden kamen zwar nie über den Inn, dafür aber unzählige Flüchtlinge. 1646 forderte der Landrichter von Schärding die Pfarrer auf, daß sye die Pfarrkhinder oder Gmein zu Christl. Mitleiden sowoll zur Raichung des Allmussens als Notwendigen Underkhommens willen beweglich ermahnen.

1648 entstand eine furchtbare Hungersnot. Die armen Leute ernährten sich vom Fleisch verendeter Tiere, von Kleien, Eicheln und Baumrinden. Zu allem Unglück trat noch die Pest auf und raffte Tausende hinweg. Im Stift starben zwei Chorherren, von den übrigen zehn sandte der besorgte Propst die Hälfte nach Niederösterreich und reiste 1649 selbst nach. Der Tod, dem er entrinnen wollte, holte ihn in Wiener Neustadt ein, sein Leichnam wurde in Pitten begraben. Adam Pichler (1650–1675) trat sein Amt unmittelbar nach Erlöschen der Pest an. Diesseits des Inn waren weite Strecken entvölkert, jenseits des Flusses viele Ortschaften und Gehöfte von den Schweden zerstört. Propst Adam sorgte dafür, dass die ruinierten Güter wieder besiedelt wurden. Allein in den Faschingstagen des Jahres 1650 traten in Münsteuer 50 Brautpaare an den Altar.

Nach zwanzigjähriger Pause entstand der Nordtrakt des äußeren Hofes, die nächsten Prälaten [Anton I. Ernst|Anton Ernst]] (1675–1685) und Theobald Antissner (1685–1704) erbauten die ebenerdigen Wirtschaftsgebäude und den Südtrakt, sodass die gesamte Anlage nach 70 Jahren endlich zum Abschluss gebracht werden konnte. In das neue Haus zog auch ein neuer Geistlicher ein. Schon Propst Johannes Zörer hatte aus dem damals blühenden Stift Dießen drei Priester und einen Laienbruder geholt. Einer von ihnen, Ubald Luzenberger, übernahm hier das Amt des Stiftsdechanten und Novizenmeisters. Sämtliche Prälaten des 17. Jahrhunderts richteten ihr Augenmerk auf Einhaltung der klösterlichen Ordnung und wissenschaftliches Streben. Die Jungherren erhielten ihre Ausbildung an den Universitäten von Graz und Ingolstadt, die Hälfte der Chorherren war akademisch graduiert. Die Stifte Suben und St. Nikola erbaten sich Reichersberger Chorherren zur Reform ihrer Konvente. Damals bürgerte sich auch der Brauch ein, den Chorherren bei der Profess einen Ordensnamen zugeben, eine Zeit lang wurden die Priester auch mit „Pater“, die Kleriker und Brüder mit „Frater“ angesprochen. Der letzte Laienbruder Nikolaus Lang starb 1682, seither wurde kein solcher mehr aufgenommen.

Große Aufmerksamkeit richteten die Prälaten der Barockzeit auf die Ausgestaltung der Stiftskirche und auf einen prunkvollen Gottesdienst. Das Stift brachte eine Reihe tüchtiger Prediger hervor. Das Predigtamt bedeutete auch große körperliche Anstrengungen, man legte noch viel Wert auf Gestik und Stimme. Von Stiftsdechant Ubald Sebald († 1698) hören wir, dass er sich infolge der Beschwerden des Predigens 16 schwere Krankheiten zugezogen hatte. Ein Reichersberger Chorherr, Elias Hölzl, wirkte von 1665 bis zu seinem Tod 1673 als Prediger im Stift Nikola.

Im Jahr 1654 gewährte Papst Innozenz X. dem jeweiligen Propst von Reichersberg das Recht der Pontifikalen. Die alten Prälaten hatten zum Zeichen ihrer Würde nur einen Ring am Finger getragen. Die Pontifikalgottesdienste erforderten eine entsprechende Anzahl von Sängern und Instrumentalisten. Für die Jahre 1641 bis 1800 führt Konrad Meindl 37 Chorherren an, die sehr musikalisch waren. Für die Sopran- und Altstimmen sorgte eine kleine Schar an Sängerknaben. Aber auch die weltliche Musik fand ihre Pflege. Als 1779 eine Wandertruppe nach Reichersberg kam, fand sie eine schöne Liebhaberbühne vor und ein gutes Orchester, bestehend aus Stiftsherren, Prälatendiener und Hofrichter. Bei der Übertragung der Gebeine des heiligen Claudius berichtet die Chronik von Pauken- und Trompetenspiel, das abwechselnd mit Gesängen die Prozession begleitet habe.

Rückschläge für die wirtschaftliche Entwicklung brachten die immer wieder aufflammenden Kriege. 1703 brach der Spanische Erbfolgekrieg aus. Die österreichischen Heere zogen gegen Ried und Schärding, unterlagen aber der bayerischen Übermacht. 1704 zog Max Emmanuel über Reichersberg nach Schärding und eroberte Passau. Dann wandte er sich ostwärts bis Eferding, musste aber, um nicht abgeschnitten zu werden, den Rückzug antreten. Kaiserliche Truppen folgten nach und überraschten am 26. Juni das Stift. Sie verlangten 12.000 Gulden als Brandschatzung; das Innviertel kam unter kaiserliche Verwaltung. Dagegen erhoben sich die Bauern, jetzt musste das Stift den Aufständischen Geld, Pferde und Lebensmittel bereitstellen. Schließlich behielten die kaiserlichen Truppen die Oberhand.

Die folgende Friedenszeit nützte Propst Herkulan Kalchgruber (1707–1734) zur Innenausstattung der Stiftskirche und zu umfangreichen Neubauten in den Pfarreien. Matthias Führer (1735–1752) erbaute an der Nordseite der Kirche die heutige Sakristei. Manche seiner Pläne machte der Österreichische Erbfolgekrieg zunichte. 1734/44 schlugen 30.000 Mann auf den Stiftsfeldern ihre Zelte auf. Die Ruhr raffte unzählige Menschen hinweg, der gesamte Rindviehbestand des Meierhofes fiel der Seuche zum Opfer. Die hohen Kriegsauslagen konnten nur durch die Aufnahme von Schulden bestritten werden. Doch gelang es bereits dem nächsten Propst Karl Stephan (1752–1770), die Schulden abzutragen. Er errichtete die Seitenaltäre aus Gipsmarmor, die beiden Marmorportale im Presbyterium und die schönen Kirchenstühle. Bei seinem Tod hinterließ er 54.000 Golden, die nach seinem Willen zur Aufstellung eines marmornen Hochaltares verwendet werden sollten.

Propst Ambros Kreuzmayr (1770–1810) hatte eine vierzigjährige Regierungszeit. Das erste Jahrzehnt verlief in ruhigen Bahnen. Nach dem Einsturz des Kirchturmes 1774 baute er einen neuen Turm und ließ Kirche, Bibliothek und Bayerischen Saal mit Fresken schmücken. 1779 kam das Inviertel durch den Frieden von Teschen an Österreich. Dies brachte für das bislang bayerische Kloster eine Reihe einschneidender Maßnahmen. Dabei konnte man noch von Glück reden, dass das Stift nicht so wie viele andere zur Zeit Kaiser Franz Josephs II. überhaupt aufgehoben wurde. Vielleicht hatte es der Kaiser deshalb als „nützlich“ eingestuft, weil es als ausländisches Kloster seit Jahrhunderten in Österreich Seelsorge betrieben hatte. Freilich mussten auf Befehl der Regierung fünf neue Pfarren errichtet werden, wobei die Baukosten der Pfarrhöfe und Schulen vom Stift zu tragen waren. „Nutzlose“ Filialkirchen, darunter auch die Frauenkirche in Reichersberg, traf das Los der Schließung und des Abbruchs. Durch Verbot der Novizenaufnahme sollte der Personalstand der Chorherren auf 16 reduziert werden. Auch die alte weiße Ordenstracht erregte das Missfallen des Kaisers. Ein Regierungsdekret verlangte die in Österreich bey den Canonicis regularibus eingeführte schwarze Kleidertracht und weiße schmale Roketen oder sogenannte Sarrökeln wie sie in den Pfarren schon längere Zeit üblich waren.

Wieder tobte die Kriegsfurie. Während der Franzosenkriege (1800–1809) erlebte Reichersberg drei feindliche Einfälle: Plünderungen, Bereitstellung von Quartieren und Naturallieferungen nahmen kein Ende. Im Stiftsgebäude mussten ein österreichisches und später ein französisches Militärspital untergebracht werden. Hunderte Soldaten erlagen hier ihren Verwundungen und Seuchen und fanden auf den Tobelfeldern ein namenloses Grab. Eine Inschrift über dem Eingang zum Konvent erinnert an jene schreckliche Zeit: Tausend kranker Krieger bleiche Schatten/Hier im Haus ihr Totenlager hatten/Himmlischer Patron schütz uns hienieden/Erfleh fürder uns Segen und Frieden.

Mit dem Tod des Propstes Ambros schien auch das Ende des Stiftes gekommen zu sein. Die französisch-bayerische Landesregierung ordnete die Administration des Stiftes an. Den Stiftsherren wurde eine Pension ausbezahlt, das Vermögen des Stiftes eingezogen. Gewissenlose Kommissäre begannen mit der öffentlichen Versteigerung der Einrichtungsgegenstände, der Pretiosen und Paramente, ebenso auch des Viehbestandes und der Naturalien des Meierhofes. Die Grundstücke und Gewerbebetriebe wurden verpachtet. Ein Rettungsanker für das Stift waren in dieser Zeit die in Niederösterreich liegenden Pfarren. Dort standen einige äußerst tüchtige und energische Chorherren in der Seelsorge. Sie unternahmen nun alles in ihrer Macht stehende, um eine gänzliche Aufhebung des Stiftes zu verhindern.

Die Pfarrer Georg Christ von Edlitz, Petrus Schmid von Thernberg und Gelas Gruber von Ort reisten 1812 nach München und erreichten eine Audienz bei König Max Joseph. Dieser empfing sie huldvoll, verwies sie aber an den mächtigen Minister Montgelas. Von ihm erhielten sie die Zusicherung, dass in Kürze über das weitere Schicksal des Stiftes entschieden würde. Es vergingen Wochen, Monate und Jahre, ohne dass sich am Schwebezustand des Stiftes etwas änderte. Endlich fielen di Würfel auf den Schachfeldern. Nach der endgültigen Niederwerfung Napoleons musste Bayern am 30. April 1816 das Innviertel an Österreich zurückgeben.

Bereits am 20. Mai richtete der Konvent an Kaiser Franz I. ein Gesuch um Weiterbestehen des Stiftes – die Chorherren von Ranshofen hingegen baten um Bestätigung der 1811 erfolgten Aufhebung und die Auszahlung der ihnen von der bayerischen Regierung versprochenen Pensionen. Die kaiserliche Antwort löste Jubel aus: Seine Majestät haben vermöge hohen Hofkanzleidekret vom 19. September 1816 gnädigst zu beschließen geruht, dass das Stift Reichersberg fortzudauern habe und sich einen eigenen Prälaten wählen könne… Nun begannen sich alle Hände zu regen. Die Gebäude boten einen trostlosen Anblick: Die Zimmer standen durchwegs leer, Fenster und Öfen waren zerbrochen, die Fußböden mit Blut und Arzneien bedeckt, die Sakristei ausgeräumt. Im Meierhof stand eine einige Kuh, vom früheren Personal war nur mehr eine alte Hühnermagd übriggeblieben. Bei der Beschaffung des nötigsten Hausrates boten die Stifte Lambach und Kremsmünster ihre Hilfe an. Mit 1. Dezember 1816 begann wieder das Reguläre leben, die Wahl eines neuen Propstes erfolgte aber erst am 17. Februar 1817. An diesem bedeutsamen Tag erschienen die 13 noch lebenden Chorherren zum ersten Mal mit violetten Mozetten. Die Stimmenmehrheit vereinigte sich auf den Pfarrer von Thernberg Petrus Schmid (1817–1822). Ihm fiel nun die mühevolle Aufbauarbeit zu. Seine Hauptsorge galt der Hebung des gesunkenen Personalstandes. Er konnte einige tüchtige Weltpriester zum Eintritt bewegen, die nach dem Novitiaz gleich in die Seelsorge entsandt werden konnten. Freilich hat diese junge Generation viele der durch die Administrationszeit unterbrochenen alten Haustraditionen nicht mehr aufgenommen, zudem wirkte die josephinische Kirchengesetzgebung noch lange nach. Nur fünf Jahre waren Propst Petrus noch beschieden, er starb bereits im 46. Lebensjahr.

Erst nach mehreren Wahlgängen einigten ich die Kapitulare auf Anton Straub (1823–1860). Obwohl er aus ärmsten Verhältnissen stammte, war ihm das Studium ermöglicht worden, 1803 trat er in Reichersberg ein. Dank seiner Französischkenntnisse machte er sich in den Jahren der französischen Besatzung sehr nützlich, als eifriger Seelsorger stand er hunderten Soldaten, die hier der Seuche erlagen, in ihrer Todesstunde bei. Später setzte er ihnen durch den Bau der Tobelkapelle ein bescheidenes Denkmal. Als junger Priester begann er mit einer Lateinvorbereitungsschule, um talentierten Buben den Zugang zum Studium zu erleichtern. Er hatte zeitweilig zwischen 30 und 40 Schüler. Viele von ihnen ergriffen später den geistlichen Beruf. Seit 1812 betrete er die Pfarre Lambrechten. Als Propst bemühte er sich um die Aufstockung des Fundus und die weitere Ausstattung des Stiftes. Er ließ auch zahlreiche Um- und Neubauten an Kirchen, Pfarrhöfen und Schulen durchführen. Einen schweren Schlag erfuhr das wirtschaftliche Gleichgewicht im Jahre 1848. Die Grundentlastung und die Ablösung der Zehente verminderten das Einkommen des Stiftes fast um ein Drittel. Allerdings hatte die Sache auch einen Vorteil: Es gab nun mit den Untertanen, die nur widerwillig ihre Grunddienste leisteten, keinen Verdruss und mit den Beamten der Herrschaftsgerichte keine langwierigen Prozesse mehr.

Eine 1855 unter Leitung des Linzer Bischofs Franz Joseph Rudigier durchgeführt Visitation fand das Stift in guter Ordnung. Zu seinem goldenen Priesterjubiläum 1857 verlieh Kaiser Franz Joseph dem hochbetagten Prälaten das Ritterkreuz des Leopoldordens. Nach Propst Antons Tod wählte das Kapitel den bisherigen Pfarrer von Bromberg Bartholomäus Pflanzl (1861–1875) zum Propst. Er zählte damals schon 67 Jahre, konnte aber doch noch 14 Jahre den Hirtenstab führen. In seine Zeit fallen der Bau des 1866 abgebrannten Pfarrhofes zu Ort, der Ankauf des Gutes Hochwolkersdorf, die Anschaffung von sechs neuen Glocken für die Stiftskirche sowie die Restaurierung der Altäre.

Die Chronik berichtet uns leider großteils nur äußere Ereignisse – selten gewährt sie Einblick in den Alltag der Chorherren, in den Geist, der die Gemeinschaft beseelte, in die Motive, aus denen heraus die einzelnen hier eintraten und lebten. Auch Konrad Meindl hat in seinem „Catalogus omnium canonicorum regularium“ meist äußere Daten festgehalten, nur die Prälaten erfreuen sich einer eingehenderen Würdigung. Am Beispiel des Propstes Bernhard Appel (1876–1899) sehen wir aber doch sehr anschaulich, mit welcher Hingabe und welchem Eifer die Chorherren jener Zeit ihre Berufung lebten. Bernhard Appels Heimat war Böhmen. Er trat 1836 in das Stift ein und wirkte nach seiner Priesterweihe 1841 20 Jahre lang als Bibliothekar, Novizenmeister und Stiftsdechant. In dieser Zeit konnte er 15 Novizen ins Ordensleben einführen und begann mit ihnen wieder das vollständige Offizium zu beten – seit der Zeit Josephs II. hatte der Konvent nur mehr die kleinen Horen und die Vesper gemeinsam verrichtet. Zusammen mit den Novizen brachte er die Bibliothek in Ordnung und legte für die noch vorhandenen Bestände einen Katalog an. 1857 veröffentlichte er seine „Geschichte des regulirten Chorherrenstiftes des heiligenn Augustiin zu Reichersberg“, die noch heute eine unentbehrliche Fundgrube für den Haushistoriker darstellt.

Schon als junger Priester hatte er das Gelübde gemacht, alle Ersparnisse zu Ehren Gottes, für die Kirche und für die Armen zu verwenden. So verdankt ihm die Sakristei einige Ornate und einen mit Edelsteinen besetzten Kelch. Eine aufopfernde Tätigkeit entfaltete er im Beichtstuhl. Da es zu dieser Zeit im ganzen Innviertel kein anderes Kloster gab, war der Andrang sehr groß Ein Höhepunkt seiner Regierungszeit waren die Jubiläumsfeiern zum 800jährigen Bestehen des Stiftes im Jahr 1884 verbunden mit einer Volksmission, der ersten, die es hier gab. 1891 feierte der greise Propst sein goldenes Priesterjubiläum. Kaiser Franz Joseph verlieh ihm aus diesem Anlass das Ritterkreuz des Leopoldordens. Auch die Heiligsprechung des Chorherrn Petrus Fourier fand hier eine begeisterte Resonanz in einem Triduum vom 27. bis 29. September 1897. Dabei feierte der für die Bevölkerung im Land- und Reichstag rastlos tätige Stiftsrentmeister Gregor Doblhamer das goldene Priesterjubiläum. Propst Bernhard entschlief am 7. September 1899 und fand seine letzte Ruhestätte in der Friedhofskapelle.

Das 20. Jahrhundert

Der bisherige Stiftsdechant Konrad Meindl hatte sich längst das Vertrauen der Mitbrüder erworben. Der langjährige Bibliothekar und Archivar des Stiftes ganz nicht nur als eifriger Historiker und Heimatforscher, er stand auch im Ruf eines vorbildlichen Ordensmannes. Nach seiner Wahl zum Propst am 29. Mai 1900 bemühte er sich besonders um die Hebung des geistlichen Niveaus in der Gemeinschaft. Er bezog auch den Kreuzgang mit den ebenerdigen Räumen in die Klausur ein, verrichtete mit den Chorherren das vollständige Chorgebet und ließ den Sommersaal zur Chorkapelle umgestalten. Er nahm auch regen Anteil am Zustandekommen der Österreichischen Chorherrenkongregation 1907 und achtete gewissenhaft auf die Einhaltung der neuen Statuten. Ende 1901 brannte der Meierhof ab, der Neubau konnte jedoch bis zur Ernte 1902 fertiggestellt werden. Propst Konrad verwaltete das Rentmeisteramt selbst und führte nach einem genau festgelegten Plan, ohne jemals die Finanzen des Stiftes zu überziehen, viele notwendige Restaurierungsarbeiten in Kirche und Stift durch. Bei seinem Tod 1915 hinterließ er ein geordnetes Hauswesen und eine vom Ordensgeist durchdrungene Gemeinschaft.

Unterdessen war der erste Weltkrieg ausgebrochen. Wenn auch die eigenetlichen Kriegsschauplätze in weiter Ferne lagen, so prägte der Krieg doch das gesamte Leben in Stadt und Land. In der Landwirtschaft fehlten die zu den Waffen gerufenen Arbeitskräfte, sie konnten ab 1916 durch russische Kriegsgefangene ersetzt werden. Schwerer als die Zwangsablieferung von Getreide und Naturalien wogen die Metalllieferungen, denen auch die Kirchenglocken zum Opfer fielen – von den sieben Glocken durften nur die größte und die kleinste am Turm verbleiben. Von 1915 bis zum Ende des Krieges beherbergte das Stift 20 italienische Priester, die aus politischen Gründen hier interniert waren. Im Dorf mussten Italiener und Juden, die aus den Kriegsgebieten evakuiert worden waren, aufgenommen werden. Der nächste Propst Roman Wögerbauer (1915–1935) begann trotz der schwierigen Lage mit dem Bau eines Elektrizitätswerks. Die in den Nachkriegsjahren einsetzende Inflation entwertete den gesamten Kapitalbesitz. Propst Gerhoch Weiß (1935–1946) übernahm ein hochverschuldetes Haus und eine resignierende Gemeinschaft. Zwar bemühte sich der von Rom bestellte Visitator Hilarin Felder, die rasante finanzielle Talfahrt zu stoppen, die 1938 erfolgte Annexion Österreichs durch Hitlerdeutschland durchkreuzte aber seine Anordnungen.

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten begann eine ungemein kritische Epoche. Das hochverschuldete Haus war für die neuen Machthaber sicherlich nicht attraktiv, es blieb auch von der Enteignung verschont. Als aber die Fliegerschule Wels mit der Anlage eines Flugplatzes im Raum Münsteuer-Reichersbrg begann, wurde das Stiftsgebäude zur Unterbringung der Soldaten gefordert. Die Deutsche Luftwaffe schloss mit dem Konvent einen Mietvertrag, was einen doppelten Vorteil mit sich brachte. Zum einen hatte das Stift für die Vermieteten Räume fixe Einnahmen, zum anderen konnte das Haus nicht mehr für andere Zwecke angefordert werden. 1940 bezogen die ersten Soldaten ihre Quartiere im Stift. Es klingt fast unglaublich, aber die finanzielle Situation besserte sich in der NS-Zeit, freilich unter großen Opfern. So mussten für den Flugplatz Gründe verkauft und die Gewerbebetriebe unter Druck der Behörden verpachtet werden.

Abgesehen von den üblichen Schikanen – Hausdurchsuchung, Verhöre, Vorladungen durch die Gestapo, Verhaftung eines Klerikers, mannigfache Behinderung der Seelsorge – konnte die Gemeinschaft das klösterliche Leben fortsetzen. Die Leiter der Fliegerschule pflogen durchwegs ein gutes Verhältnis zu den Stiftsherren. Auch der Bürgermeister und der Ortsgruppenleiter waren dem Stift durchaus wohlgesinnt. Propst Gerhoch stand bei allen Kreisen der Bevölkerung in hohem Ansehen. Unermüdlich mahnte er die Mitbrüder zur Zurückhaltung in politischen Fragen. Er selbst blieb auch als Propst Pfarrer von Reichersberg. Mit fortschreitender Dauer des Krieges verlegte die Fliegerschule Wels immer mehr Soldaten nach Reichersberg, schließlich barst das Haus geradezu aus allen Nähten. Das Stift war eine große Kaserne geworden, in der – wie zufällig – auch einige Priester wohnten. Das Kriegsende brachte ein furchtbares Bombardement des Flugplatzes durch amerikanische Tiefflieger, Stift und Ort kamen aber wie durch ein Wunder heil davon.

Wesentlich schlimmer erging es den niederösterreichischen Pfarren, die alle Schrecken des russischen Einmarsches zu spüren bekamen. Infolge der Demarkationslinie – Reichersberg lag in der amerikanischen, die niederösterreichischen Pfarren lagen in der russischen Zone. war auch die Verbindung zwischen Stift und Pfarren unterbrochen bzw. sehr lange Zeit erschwert. In Oberösterreich verloren in diesen Tagen zwei Chorherren ihr Leben: Rupert Haginger wurde noch am 2. Mai 1945 von SS-Männern erschossen, Magnus Huber starb an Fleckfieber, das er sich bei der Betreuung von Gefangenen zugezogen hatte. In Niederösterreich waren alle Mitbrüder am Leben geblieben, nur der schöne Pfarrhof in Bromberg war abgebrannt.

Nach dem Tod des Propstes Gerhoch berief Stiftsdechant Norbert Hofbauer das Kapitel zur Neuwahl nach Pitten ein. Bei den schwierigen Verkehrsverhältnissen jener Zeit schien es günstiger, dass sich der kleine Teil der Kapitulare – nur vier aus Oberösterreich – auf die Reise machte. Auch der Generalabt konnte von Klosterneuburg leichter nach Pitten als nach Reichersberg gelangen. Aus der Wahl ging der dortige Pfarrvikar Floridus Buttinger als Propst hervor. Neuer Stiftsdechant wurde der Kaplan von Pitten Odulf Danecker. Zum Stiftspfarrer ernannte Propst Floridus seinen Neffen Augustin Gadringer, zum Hofmeister den Kaplan von Bromberg Lambert Weißl. Mit diesen vier Chorherren zog die neue Gemeinschaf in Reichersberg ein. Der bisherige Dechant Norbert Hofbauer und der Pfarrvikar Ambros Handlechner, die das Stift geschickt durch die NS-Zeit manövriert hatten, übernahmen die Pfarren Lambrechten und Pitten. Somit markiert das Jahr 1945 auch personell einen Schlussstrich unter die vergangenen Jahre.

Die größte Sorge blieb weiterhin die defizitäre Wirtschaftslage, vor allem kam der Meierhof nicht aus den roten Zahlen. Die auf den Pfarren stationierten Seelsorger erhielten zwar ihre Gehälter von den Diözesen, doch zog der Propst ein Viertel davon für das Stift ab. Das führte zu Differenzen mit den Mitbrüdern, die in den geplünderten Pfarrhöfen nicht einmal das Nötigste zum Leben hatten. Um eine bessere Verbindung mit dem Stift zu gewährleisten, schlossen sich die niederösterreichischen Pfarren zum Priorat Pitten zusammen. Der Prior übernahm in etwa die Aufgaben, die früher dem Lehensverwalter zugekommen waren, er fungiert praktisch als Verbindungsmann zwischen Stift und Pfarrseelsorgern. Die Chorherren des Priorates wählten 1955 als ersten Prior den Pfarrer von Edlitz Bernhard Mitter.

Ab 1960 machte sich bei Propst Floridus eine Arterienverkalkung bemerkbar, durch die er seine Amtsgeschäfte nicht mehr ausüben konnte. Da er von sich aus nicht resignierte, wollte ihm das Kapitel diese Kränkung ersparen, in dazu zwingen. Der Generalabt erreichte 1962 von der Religiosenkongregation in Rom eine Verfügung, durch die Stiftsdechant Odulf Danecker zum Administrator bestellt wurde, ohne dass die Stellung des Propstes nach außen hin verletzt worden wäre. Nach seinem Tod 1963 fiel die Wahl erwartungsgemäß auf Odulf Danecker (1963–1980). Unter seiner Leitung erlebte das Stift eine wahre Renaissance. Nach vierzigjährigen, zum teil verzweifelten Bemühungen wurde das Haus nun endlich schuldenfrei. Ein wesentlicher Schritt dazu war die Aufgabe der defizitären Betriebe.

Bereits 1956 begann der Rentmeister und Regens chori Roman Foisser, im Augustinisaal musikalische Veranstaltungen anzubieten. Deren Zahl und Qualität nahm im Laufe der Jahre immer mehr zu. Der „Reichersberger Kultursommer“ lockt seither alljährlich ein zahlreiches Publikum zu den Aufführungen. Die große Landesausstellung 1974 „Die Bildhauerfamilie Schwanthaler 1633 – 1848“ brachte dem Stift neben umfangreichen Restaurierungsarbeiten aus Landesmitteln auch einen Bekanntheitsgrad wie nie zuvor: die fast 200.000 Besucher waren nicht einmal von den größten Optimisten erwartet worden.

Die Ergebnisse und Auswirkungen des II. Vaticanums, die vielerorts zu persönlich du unmittelbar in die Praxis umgesetzt wurden und daher auch in Klostergemeinschaften Verwirrung und Spannungen hervorriefen, fanden hier eher bedächtige Aufnahme. Propst Odulf stand den Neuerungen zwar nicht ablehnend, aber doch zurückhaltend gegenüber, er scheute Experimente in Liturgie und Seelsorge und führte die ihm Anvertrauten eher behutsam in die nachkonziliare Zeit. Die größte Sorge in dieser sonst so erfolgreichen Periode bereitete der mangelnde Ordensnachwuchs. Viel zu früh und unerwartet erlag Propst Odulf am 4. Mai 1980 einem Herzinfarkt. Seine letzte Ruhestätte erhielt er in der ehemaligen Ahamergruft in der Kirche, die er 1976 als Begräbnisstätte für die Prälaten hatte umbauen lassen.

Sein Nachfolger, Propst Eberhard Vollnhofer, stammte aus der alten Stiftspfarre Bromberg. Unter seiner Regierungszeit besserte sich die personelle Situation zusehends. Von 1984 bis 1994 füllten zehn Neupriester den Personalstand wieder auf. Die Restaurierungsarbeiten konnten weitergeführt werden und gelangten im Jubiläumsjahr 1984 weitegehend zum Abschluss. Die Landesausstellung „900 Jahre Stift Reichersberg – Augustiner-Chorherren zwischen Passau und Salzburg“ zog zwischen Mai und Oktober 1984 230.000 Besucher an. Auch in den Pfarreien präsentierten sich die Kirchen und Pfarrhöfe als Schmuckstücke im jeweiligen Ortsbild. Es konnten sogar zwei Filialkirchen neu gebaut werden: Grimmenstein (Edlitz) 1960 und Klingfurt (Walpersbach) 1988. Lambrechten erhielt 1974 einen neuen Pfarrhof.

2005 resignierte Eberhard Vollnhofer († 26. April 2019), ihm folgte Werner Thanecker nach, der 2011 resignierte und am 6. August 2014 verstarb. Gerhard Eichinger war von 2011 bis 2016 Propst von Reichersberg, seit 2016 bekleidet der 1980 geborene Markus Grasl dieses Amt.

Wirtschaftliche, rechtliche und soziale Verhältnisse

Wirtschaftliche Verhältnisse

Als Gründungsausstattung übergab Werner dem Kloster seine Burg mit dem dazugehörigen Grund und Boden, etwa zwölf Mansen umfassend; nördliche Grenze war die Flussmitte. Dazu kamen noch verstreute Besitzungen in der Umgebung: St. Martin, Traiskirchen, Raab, Schardenberg und zwei Weingärten in Aschach. Ein weit entferntes Gut, Kraut am Millstättersee, wurde bald nach der Gründung des Klosters von Verwandten Werners, die Erbansprüche geltend machten, beschlagnahmt. Es gelang erst unter Erzbischof Konrad I. von Salzburg, nach langwierigen Verhandlungen diesen Besitz für das Stift zu retten.

Zur Zeit des Propstes Gerhoch wuchs der Stiftsbesitz stetig durch zahlreiche Schenkungen. Zum überwiegenden Teil handelt es sich um Liegenschaften geringen Umfanges beiderseits des unteren Inn, die die beiden dort ansässigen Familien dem heiligen Michael von Reichersberg übertrugen. Außer Grundbesitz wurden Zinsleute geschenkt, nicht selten ergaben ich Bauern freiwillig in den Schutz und Zinsdienst der Kanoniker. Den Verkehr zwischen Stift und seinen Besitzungen erleichterten Häfen und Schifffahrtsrechte auf dem Inn. Von Anfang an beschränkte sich das Stiftsgut aber nicht auf das Inngebiet. Neben dem schon erwähnten Gut zu Kraut in Kärnten und den Weingärten in Aschach an der Donau erwarb Gerhoch auch Weingärten in der Wachau, eine Salzpfanne in Reichenhall, Höfe zu Unken im Land Salzburg; selbst in Regensburg erhielt Reichersberg Grundbesitz. Doch ging das Bestreben Gerhochs dahin, die entfernten Besitzungen durch solche im näheren Bereich einzutauschen. So gelang es in einer großangelegten Tauschaktion, die sich von 1153 bis 1176 hinzog, das benachbarte Dorf Münsteuer zu erwerben. Schon 1144 hatte Konrad von Salzburg durch die Schenkung des Zehents in den weit entfernten Pfarren Pitten und Bromberg an der ungarischen Grenze dem Stift eine neue Einkommensquelle erschlossen. Da dieser Besitz in der Folgezeit aber eine relativ eigenständige Entwicklung nahm, soll er auch gesondert behandelt werden. Die wirtschaftliche Basis des Stiftes war schon im 12. Jahrhundert grundgelegt und sollte sich in späteren Zeiten nur mehr geringfügig ändern. Haupteinnahme waren die Erträgnisse des von Laienbrüdern und Knechten bewirtschafteten Meierhofes in Reichersberg, ferner die Abgaben der untertänigen Bauerngüter, die in Naturalien oder in Geld geleistet wurden und schließlich der Zehent aus den Pfarren der niederösterreichischen Waldmark.

Zu den Weingärten in Aschach und Krems erwarb das Stift im 13. Jahrhundert noch weitere, nämlich den Weinzierlhof bei Krems und das Gut Oberhrub an der mährischen Grenze. 1242 kamen einige Höfe zu Abtenau im Land Salzburg durch Tausch in den Besitz des Stiftes. Im 13. und 14. Jahrhundert stagnierte die wirtschaftliche Situation. Die Schenkungen und Stiftungen gingen merklich zurück, der rasche Wechsel der Pröpste und Administratoren vereitelte langfristige Planungen. Erst die Pröpste Dietmar von Bergheim (1346 – 1386) und Griffo von Ottenberg (1386–1412) erreichten einen wirtschaftlichen Aufschwung, der bis in die 53 Jahre dauernde Regierungszeit des Propstes Paul Tellenpeck (1415–1468) anhielt.

In dieser Zeit legte der Schaffer Bartholomäus Hoyer ein „Registrum“ an, dass uns wertvolle Einblicke in die gesamte Hausverwaltung der geistlichen Kommunität gibt. Die Aufzählung sämtlicher Ämter des Kapitels und der Bediensteten nebst ihren Verpflichtungen, der Präbenden der Chorherren und der Löhne der Angestellten, die Gebräuche in Küche, Keller und Ökonomie stellt die gesamte Organisation des klösterlichen Hauswesens als ein wechselseitiges Spiel von Leistung und Gegenleistung dar.

Neben dem Amt des Propstes und des Dechants war wohl das des Schaffers das wichtigste, aber auch das mühevollste. Er sorgte für dir Küche und den Speiseplan wir für die Beschaffung der Lebensmittel, ihm oblagen die Sorge für den Keller und die Weine, die Obhut über den Kornspeicher, die Beaufsichtigung der Stampfmühle, aber auch die Kontrolle des Stalles samt seinen Mobilien, Reitsätteln, Zügel, etc., die Versorgung der Pferde. Er war verantwortlich für die Instandhaltung der Gebäude, der Schule, des Kammerhauses, der Wohnung des Pförtners, des Meierhofes, des Wirtshauses, des Grenzhauses… Nicht zuletzt musste er sich um das Badhaus, das Haus des Überführers und um die Boote sowie die Fischteiche kümmern. Der Apparat der geistlichen Amtsträger bestand nur aus acht Kanonikern.

Neben den drei schon erwähnten werden noch die Pfarrer von Münsteuer und Reichersberg aufgezählt, der Custos ecclesiae (Sakristan), der Novizenmeister und der „Obleyer“ (er hatte die Gelder von Messstiftungen etc. zu verwalten und auszuteilen). Die Kommunität vervollständigten eventuell einige Senioren sowie die Jungherren. Laienbrüder scheinen zu dieser Zeit nicht auf, vereinzelt finden sich später solche bis ins 17. Jahrhundert. Die gesamten Arbeiten wurden von weltlichem Personal verrichtet. Im Register sind Aufgaben und Entlohnung (in Geld und Naturalien) aller Bediensteten aufgeführt. Es sind dies 39 Personen: Richter, Kanster, Kämmerer, Prälatenkoch, Herrenkoch, Kuchlknecht, Lehrbub, Bäcklermeister, zwei Bäckerknechte, Obermarstaller, Untermarstaller, Hausknecht, Refentknecht, Fleischhacker, Hofmeier, zwei Meierhofdirnden, Stadler, Sauknecht, Kühknecht, Hofmeister. Schulmeister, Türhüter des Konvents, Refektoriknecht, Mesner, Torwart, Baumgärtner, Bader, Baddirne, Hofwirt, Hofschmied, Schuster, Binder, Zimmermeister, Hofwäscherin, Schneider, Fischer, Organist.

Als Beispiel für die genau festgelegten Aufgaben und die Entlohnung der Bediensteten sei der Hofmeister angeführt: Er musste die Eier für die Stiftskirche einkaufen, er hatte die Gerste umzuschaufeln, zu dörren, in die Pfisterei zu bringen, in die Stampf zu fahren, zu enthülsen wieder umzuschaufeln und in den Kasten zu tragen. Er musste Sorge tragen, dass bis Ostern Kohl und Salat gebaut wurden und musste selbst den Garten betreuen. Er brachte täglich das Gemüse in die Küche Zu Ostern und zu Pfingsten übernahm er die jungen Hühner gegen Verrechnung und lieferte sie in der Küche ab. Als Hühnerfutter hielt er die schlechte, von Mäusen angefressene Gerster. Er half beim Saustechen und ging dem Fleischhacker zur Hand. Er und sein Weib sollten mit den Meierhofdirnen die Milch im Schnitt einsammeln… an Geld bezog der Hofmeister jährlich 12 Schilling Lohn, die ihm in drei Raten zu Sonnenwende, Michaeli und Lichtmess ausbezahlt wurden. An Naturalien erhielt er wöchentlich 22 Speisbrote und zwei Herrenbrote, ein Kandl Wein, zu Weihnachten ein Rauchkäs, zu Ostern ein Weichkäs und 18 Eier.

Auch die saisonbedingten Arbeiten unterlagen einer genauen Regelung. So waren etwa die Häusler von Pfaffing verpflichtet, gegen einen bestimmten Geldbetrag die Wiesen zu mähen, zur Heuernte wurden Taglöhner aufgenommen, die Männer bekamen vier Pfennig, die Frauen drei Pfennig pro Tag. Die Dorfleute von Reichersberg mussten verschiedene Arbeiten als Robot verrichten, sie erhielten dafür Brot und Käse.

1640 brannte der alte Meierhof ab. Propst Jakob Christian ließ den Neubau nicht mehr an der alten Stelle, sondern am Ortsrand bei den Weihern aufführen. Durch Einbeziehung der Gründe des Gutes zu Asperl und des 1686 erworbenen Tobelgutes vergrößerte sich die bewirtschaftete Fläche, man brauchte mehr Arbeiter im Meierhof. Sie lassen sich an den alten Hausnamen leicht erkennen. Es sind alle Namen, die mit dem Grundwort „Mann“ zusammengesetzt sind (Hermann, Kuchlmann, Lenzmann, Liendlmann…). Diese Meierhof-„Männer“ waren verheiratete Häusler, die zuhause eine kleine Wirtschaft hatten, die sie nicht genügend beschäftigte und auf Arbeit und Pacht von Seiten des Stiftes anwies.

Das Stift war für seine Untertanen fast ausschließlicher Arbeitgeber. O wehrten sich mit dem Hinweis auf den Verdienstverlust die robot- und scharwerkleistenden Reichersberger gegen die Ablösung ihrer Verpflichtungen 1783, wie sie staatlicherseits verlangt wurde, denn sie fürchteten dass die Aelteren von ihnen, die Weiber und Kinder ihres Erwerbes beraubt, in der Folge sogar, wenn mit der Stiftsökonomie entweder Verpachtung oder Vererbrechtung eine Aenderung geschehe, selbst die Tüchtigsten von ihnen keine Arbeit mehr fänden, 90 Familien in das äusserste Elend versetzt würden, geschweige denn, dass sie noch im Stande wären, eine Steuer zu entrichten (22. Februar 1785).

Der Waldbesitz des Stiftes war gering. Zum Stiftungsgut zählten nur die Innauen und das Aspetwäldchen, aus der Zeit Gerhochs (1132-1169) stammte der Wald in Hart, 1373 erhielt das Stift von den Edlen von Maasbach den Wald am Aichberg, 1383 ergab sich die Gelegenheit zum Kauf des sogenannten Hochschachens (Lambrechten), 1442 wird zum ersten Mal der Wald Vorhau als Besitz des Stiftes erwähnt. Neben den zur Gründungsausstattung zählenden Weinbergen in Aschach an der Donau werden bereits zur Zeit Gerhochs Weingärten in der Wachau erwähnt. Schon Herzog Leopold IV. hatte Güter bei Krems geschenkt, 1156bestätigte Erzbischof Konrad die Zehentfreiheit der Kremser Weingüter, doch stieß sie Gerhoch wieder ab.

In den folgenden Jahrhunderten erfahren wir aus Urkunden immer wieder von Käufen, Verkäufen, Schenkungen und Tauschaktionen in der Kremser Gegend, 1120 besaß das Stift bereits ein Haus in Krems. Mittelpunkt des stiftlichen Sitzes bildete der Weinzierlhof. Da Recht der freien Weinausfuhr erneuerte Erzherzog Albrecht von Österreich 1463. Für den Transport des Weines erhielt das Stift wiederholt von den Herzögen von Österreich und Bayern, den Bischöfen von Passau und den Grafen von Schaunberg die Mautfreiheit auf Donau und Inn verliehen. Zur Weinlese fuhr alljährlich ein Schiff von Reichersberg nach Krems mit Arbeitskräften, Gerätschaften und Verpflegung. 1645 fielen die Schweden von Mähren aus in der Wachau ein, wobei sie den Weinzierlhof zerstörten. Kaum war er wieder aufgebaut, fiel er 1647 einer Feuersbrunst zum Opfer. Die Erträgnisse standen jedenfalls zu den großen Investitionen und ständigen Auslagen in einem argen Missverhältnis, so dass sich Propst Hieronymus Schwegler 1706 entschloss, den ganzen Besitz an die Jesuiten zu verkaufen. Über die Qualität des Kremser Weines schrieb der Propst an den Bischof von Passau, er sei der Gesundheit schädlich, daß viel Religiosen an Händt und Füßen verkrumpern und mithin in besten Jahren zu auch bedürftigen Verrichtungen unbrauchbar gemacht werden…

Einen weiteren Besitz mit etlichen Weingärten erwarb das Stift allmählich in der Gegend um Grub an der mährischen Grenze. Den Grundstock bildete ein Kauf unter Propst Ulrich im Jahre 1233. Wegen der vielfältigen Schwierigkeiten, die die Verwaltung des so weit entfernten Besitzes mit sich brachte, verkaufte Propst Anton Straub die Herrschaft Obergrub und erwarb dafür im Jahr 1839 das dem Stift nahe gelegene Gut Hackledt.

1686 kaufte Propst Theobald Antissner den von den Türken niedergebrannten Freihof Guntramsdorf bei Mödling der fortan von einem Chorherrn als Verwalter beaufsichtigt wurde. An der dortigen Kapelle konnte er auch in beschränktem Maße seelsorglich wirken. Die geplante Inkorporation der Pfarre Guntramsdorf schlug allerdings 1706 fehl. Auch sonst hatte das Stift mit dem Hof wenig Glück, er wurde daher 1764 wegen schlechter Erträge wieder abgestoßen.

Propst Theobald erwarb 1686 auch das abgebrannte Gut zu Tobel (Reichersberg) und vereinigte es mit den Meierhofgründen- Die Größe des in Eigenregie bearbeiteten Besitzes in seinem Gutachten des Jahres 1816 zu entnehmen, als es um das Fortbestehen des Stiftes ging. Damals gehörten zum Maierhof: 230 Joch Äcker, 173 Joch Wiesen, 243 Joch Waldungen, zusammen 646 österreichische Joch. Zur geschlossenen Gemarkung Pfaffing mit über 100 Holden und der Hofmark Reichersberg erwarb das Stift am 1. Februar 1710 Schloss und Hofmark Ort.

Im Landgericht Schärding besaß das Stift 66 Güter, im Landgericht Ried 49, auch einige verstreute Holden im Landgericht Mauerkirchen. Jenseits des Inn gehörte zu Reichersberg der Sitz Samberg, und in den Gerichten Eggenfelden, Biburg und Griesbach zinsten einschichtige Untertanen. Die Griesbacher Holden saßen im benachbarten Dorf Würding, das mit Reichersberg durch eine Fähre verbunden war. Weitere Güter lagen verstreut in den oberösterreichischen Gerichten Peuerbach, Weizenkirchen, Schaunberg und Wels, dazu kamen Untertanen im salzburgischen um Abtenau.

Alles in allem gehörten zu Grundherrschaft des Stiftes Reichersberg etwa 1.400 bäuerliche Anwesen. Entsprechend der weiten Streuung und der Größe der Güter waren die Abgaben der hörigen Bauern sehr unterschiedlich. In den Stiftsbüchern. Die von 1556 an vorliegen, sind die Stifttage (Laurentius, Bartholomäus, Ägidius. Georg, Martin, Maria Geburt, Gallus und Michael) mit den Erträgnissen aus den verschiedenen Höfen genau verzeichnet. Im Laufe der Jahrhunderte verschoben sich die Abgaben immer mehr von Naturalien zum Geld. Nach Eingliederung des Innviertels verlangte die österreichische Regierung ein genaues Vermögensverzeichnis. Es ergab sich ein jährlicher Überschuss von 3.534 Gulden aus der gesamten Geldgebarung. Davon mussten 2.000 Gulden als Religionsfondssteuer abgeliefert werden, ebenso alles entbehrliche Kirchen- und Tafelsbilder im Wert von 5.318 Gulden. Außerdem hatte das Stift neue Lasten zu tragen. Zu den Baukosten für die neu errichteten Pfarrhöfe und Schulen kam nun auch das Jahresgehalt von vier exponierten Priestern in der Höhe von 1.600 Gulden, das Einkommen des niederösterreichischen Lehens sank infolge der vielen Bauten auf 1.500 Gulden.

Im Jahr 1810 verfügte die provisorische französische Landesregierung des Inn- und Hausruckviertels die Schließung der Stiftsrechnungen. Ein Regierungskommissar übernahm die Verwaltung. Die Stiftsherren erhielten ihre jährliche Pension von 600 Gulden, die Pfarrer von 800 Gulden ausbezahlt. Die Finanzdirektion Passau schlug dem Verwalter vor, den Meierhofs und die ganze Ökonomie rundweg zu verkaufen, doch wurde darauf glücklicherweise nichts. Dafür gelangten Vieh, Getreide, Naturalien, Geräte, Werkzeug, Silber, Pretiosen, Wein und Möbel zur Versteigerung, ebenso alle schlagbaren Bäume in den Stiftswäldern. Mit einem Mal ist somit das durch mehrhundertjährigen Fleiß mühevoll Gesammelte zertrümmert und zerstreut worden. Die Summe von etwas 22.000 Gulden sowie der jährliche Pachtertrag für die langwirtschaftlichen Gründe von 4.277 Gulden flossen in die Kreiskasse nach Passau und wurden auf königlichen Befehl dem Religionsfonds zugeführt. Der Gesamtschaden, den das Stift während französisch-bayerischen Administration erlitt, beläuft sich auf 80.000 Gulden.

Nachdem Kaiser Franz I. 1816 die Erlaubnis zum Fortbestand des Stiftes gegeben hatte, verlangte die k. k. Finanzdirektion eine ausführliche Darstellung der Vermögenslage. Die jährlichen Einnahmen beliefen sich nach einem fünfjährigen Durchschnitt auf 29.000 Gulden, die Ausgabe auf 18.500 Gulden. Somit verblieb ein Reingewinn von 10.500 Gulden. Propst Petrus Schmid übernahm ein vollständig ausgeplündertes Haus. Allein die Glaserrechnungen betrugen damals 10.000 Gulden, und es dauerte viele Jahre bis das Haus halbwegs eingerichtet war. Die verpachtete Ökonomie wurde erst 1835 wieder zur Gänze in Eigenregie übernommen.

Bereits nach einigen Jahrzehnten erhielt das mühsam erlangte wirtschaftliche Gleichgewicht einen neuen Stoß. Als der Kremsierer Reichstag am 7. September 1848 die Aufhebung der Grunduntertänigkeit aussprach, versiegte mit einem Schlag die Haupteinnahmequelle des Stiftes, die seit Jahrhunderten aus den Abgaben, Zehenten du Diensten der Untertanen bestand. Die untertänigen Bauern waren schon seit dem Frühjahr 1848 in Aufregung, niemand gab mehr im Sommer den Getreidezehent, nur einzelne leisteten noch den Naturaldient. Zum ersten Mal brauchten die Bauern die Ernte vollständig in ihre Scheuern. Erst nach vier Jahren wurden die Grundentlastungskapitalien von der Landeskommission zuerkannt, bis dahin mussten die Herrschaften mit geringen Vorschüssen aus dem Landesfonds das Auslangen finden. Die Entschädigungsrente verminderte das Einkommen um ein Drittel.

Da diesem verminderten Einkommen aber gleichbleibende Verpflichtungen gegenüberstanden, konnte seither nur mehr äußerste Sparsamkeit den Ausgleich des Haushaltes gewährleisten. Nach wie vor blieb aber auch die Rente aus dem Grundentlastungskapital von jährlich 21.000 Gulden ein wichtiger Pfeiler der stiftlichen Finanzen. Die Ökonomie und die gewerblichen Betriebe hätten niemals ausgereicht alle Auslagen zu decken. Propst Konrad Meindl erreichte immerhin eine spürbare Entlastung der finanziellen Situation, als ihm auf sein Ansuchen die Kongruaergänzung von Pfarreien bewilligt wurde.

Die nach dem ersten Weltkrieg einsetzende Inflation entwertete innerhalb weniger Jahre den gesamten Kapitalbesitz. Mit der Abwertung der Papierkrone um Jahr 1925 im Verhältnis 1:10.000 hatte sich das einstige Vermögen in nichts aufgelöst. Von dieser Zeit an schlossen die stiftlichen Bilanzen regelmäßig mit Abgängen. Man war gezwungen, hochverzinsliche Darlehen aufzunehmen, der Schuldenstand stieg von Jahr zu Jahr an. Ende 1923 betrug dieser 11.694 Schilling und kletterte bis zum Jahr 1931 auf die schwindelnde Höhe von 350.150 Schilling. Das Stift war nicht einmal mehr in der Lage, die fälligen Zinsen aufzubringen. Verschiedentliche Sanierungsmaßnahmen führten zu keinem Erfolg. Propst Gerhoch Weiß übernahm 1935 einen Schuldenstand von über 500.000 Schilling, der Konkurs schien unvermeidlich.

Eine Wende in der finanziellen Talfahrt brachte die Apostolische Visitation der österreichischen Chorherrenstifte im Jahr 1937. Der Visitator Hilarin Felder aus dem Kapuzinerorden beauftragte nämlich das Stift Klosterneuburg, dem Stift Reichersberg ein Darlegen von 505.000 Schilling bei drei Prozent Zinsen zur Verfügung zu stellen. Damit sollten vorerst die bei den Banken aufgenommenen Darlehen mit sieben bi zehn Prozent Zinsen abgestoßen werden. Bis zu seiner Aufhebung im Jahr 1941 überwies Klosterneuburg etwa ein Drittel dieser Summe. Dann mussten die fälligen Raten wieder vom Stift selbst getragen werden. Es gelang Propst Gerhoch aber, von der Erzdiözese Wien einen billigen Kredit zu erhalten.

Die Religioenkongregation gab ein apostolisches Indult, wodurch Reichersberg und alle österreichischen Chorherrenstifte samt den Pfarren für die „Pro-Populo-Messen“ zugunsten des in großer Not befindlichen Stiftes Stipendien annehmen durften. Seit der Einhebung der Kirchenbeträge wurde das Gehalt für die Seelsorgepriester regelmäßig von den Diözesen überwiesen, wovon der Propst 25 Prozent für das Stift behielt. Darüber hinaus stellten die Mitbrüder in beispielhafter Einmütigkeit ihre Ersparnisse zur Verfügung. Der Verkauf von ca. 30 Hektar Grund für den Flugplatz, die Ablöse für Brauerei und Weinkeller und die regelmäßige Miete der Fliegerschule ermöglichten es, den Schuldenberg des Stiftes langsam abzubauen. Er betrug bei Kriegsende nur mehr ein Drittel des Standes von 1937. In den Nachkriegsjahren wollte lange kein rechter Aufschwung gelingen. Erst Propst Odulf Danecker (1963 – 1980) entschloss sich, gedrängt von seinem Rentmeister Roman Foissner, zu einer grundlegenden Umstrukturierung der stiftlichen Wirtschaft. Aufgelassen wurden die Bäckerei und das E-Werk, zur Verpachtung kamen die Landwirtschaft und später auch die Gärtnerei. Die Kellerei übersiedelte 1968 in den Südtrakt. Umfangreiche Investitionen waren notwendig, um den Weihandel, den das Stift seit 1864 betrieb, als wichtiges Standbein der stiftlichen Wirtschaft zu erhalten. Seit etwa 1985 ging der Umsatz jedoch stetig zurück, sso dass eine Weiterführung in der alten Form nicht mehr ratsam schien. Von 1990 bis 1993 pachtete das Stift Klosterneuburg die großen Kellergewölbe als Auslieferungslager für seine Kellerei. Seither konnte kein dauerhafter Verwendungszeck gefunden werden. Durch die Verpachtung der Landwirtschaft stehen auch die meisten Räume des Meierhofes leer. Der 1974 anlässlich der Schwanthalerausstellung zu erwartende Ansturm von Gästen ließ einen Plan Gestalt annehmen, den großen Rinderstall mit seinen schönen Gewölben zu einem Restaurant auszubauen.

Schon nach wenigen Jahren zeigte sich aber, dass das Lokal bei normalem Betrieb – ohne Sonderausstellung – nicht auszulasten war. Im Ausstellungsjahr 1984 war der Umsatz zufriedenstellend, die anschließende Abwärtsentwicklung dann nicht mehr aufzuhalten. Mit Jahresende 1987 kam das endgültige Aus. Eine günstigere Entwicklung nahm das Bräustüberl neben dem Stiftstor. Von 1976 an führte es das Stift in Eigenregie mit einem Geschäftsführer. Wegen Personalproblemen entschloss sich das Kapitel 1995 wieder zur Verpachtung. Seit in den sechziger Jahren die Volksschule, der Kindergarten und das Postamt Neubauten im Dorf bezogen hatten, fand sich lange keine passende Verwendung für die äußeren Stiftsgebäude. Ein im Jahr 1969 hier veranstaltetes internationales Fotoseminar ließ den Gedanken an ein Bildungszentrum aufkommen. Frau Dr. Katharina Dobler vom oberösterreichischen Volksbildungswerk nahm sich mit großem Engagement der Sache an. Gab es anfangs besonders handwerkliche und kunsthandwerkliche Kurse, so kamen später Seminare zur Pflege der Musik und Volkskultur, aber auch Exerzitien, Besinnungstage und Ehevorbereitungskurse dazu. Für die Unterbringung der Kursteilnehmer wurden seit 1970 laufend Gästezimmer ausgebaut; heute verfügt das Bildungshaus über 20 Einbett- und 15 Zweibettzimmer. Der Klosterladen bietet seit der Umgestaltung neben den Weinen aus der Stiftskellerei Klosterneuburg oder Likören aus dem Trappistenkloster Engelszell vor allem Souvenirs und Geschenkartikel. Ein weiterer Anziehungspunkt konnte mit der Vinothek geschaffen werden, die sich im ehemaligen Obstkeller unter dem Nordtrakt befindet.

Um den Substanzverlust durch die Abgabe von Gründen für Siedlungszwecke oder für die Ortsumfahrung etc. wettzumachen, wurde der Erlös zur Aufstockung des Waldbesitzes verwendet; er beträgt rund 200 Hektar, allerdings in ausgesprochener Streulage mit 20 Parzellen. Seit 1980 war es sogar möglich, in Deutschkreuz im Burgenland einige Weingärten zu erwerben, die nun bereits das Ausmaß von 17 Hektar erreicht haben – sie sind aber verpachtet. Bereits 1980 hatte eine Bohrung unterhalb des Stiftes in der Au heißes schwefelhaltiges Wasser erbracht. Seither gibt es unterschiedliche Pläne diese Thermalquelle zu nutzen. Die oberösterreichische Landesregierung gab 1988 die grundsätzliche Bewilligung zur Errichtung eines Sonderkrankenhauses (Rehabilitationsanstalt).

Das niederösterreichische Lehen

Um die ungenügenden Einkünfte des Stiftes aufzubessern, aber auch, um dem Bestreben des Klosters Formbach entgegenzuwirken, das Zehentrecht in der Waldmark an sich zu ziehen, verlieh Erzbischof Konrad I. von Salzburg am 23. Oktober 1144 dem Propst Gerhoch den Zehent in den Pfarren Pitten und Bromberg. Ausgenommen war nur der den dortigen Pfarrern gebührende Anteil.

In der Urkunde wird betont, dass die Pfarre Bromberg von der Püttenau bis zur Ungarngrenze und bis zum Hartberg ausgedehnt werden könnte. Tatsächlich wollte ich das Kloster Formbach mit den dadurch geschaffenen Besitzverhältnissen nicht so ohne weiteres abfinden, doch gelang im Jahre 1146 eine gütliche Einigung. An den Pfarren Bromberg und Pitten waren damals noch Weltpriester angestellt. Daher ließ Propst Gerhoch zur Verwaltung und Einhebung des Zehents in Pitten eine Niederlassung für die Chorherren erbauen. Die Kapelle wurde im Herbst 1149 von Erzbischof Eberhard I. persönlich geweiht.

Die Zehentablieferung an ein bayerisches, also im Ausland gelegenes Kloster, das dafür auch keine Gegenleistung erbrachte, war sicher nicht unproblematisch. Daher inkorporierte Erzbischof Eberhard I. im Jahr 1160 die Pfarre Bromberg dem Stift und betraute die Chorherren mit der Seelsorge in diesem ungeheuer ausgedehnten Sprengel. Damit erübrigte sich die Niederlassung der Chorherren in Pitten, und in den folgenden Jahrhunderten fungierten die Pfarrer von Bromberg auch als Lehensverwalter, das heißt als Vertreter des Propstes in der Waldmark. Von hier aus wurden die Pfarrer präsentiert, der Zehent vergeben, Pachtverträge geordnet, Streitigkeiten geschlichtet und gelegentlich auch Stiftungen entgegengenommen. Propst Griffo von Ottenberg (1386–1412) weilte fast jedes zweite Jahr in Bromberg, wo sich dann alle Zehentpächter einfanden.

Eine direkte Zehenteinhebung wäre mit ungeheuren Kosten und Schwierigkeiten verbunden gewesen, deshalb wählte man eine Form, die auf einfache und leicht durchführbare Art den Zehentnutzgenuss gewährleistete: den Zehentpachtvertrag. Adelige Herren, Burggrafen, Ritter und auch Pfarrer erhielten den Zehent für gewisse Zeitabschnitte, meist nur einige Jahre. Sie waren gezwungen, ihren Verpflichtungen gewissenhaft nachzukommen, falls sie nicht Gefahr laufen wollten, den Vertrag für die kommenden Zeiten zu verlieren. Der Lehensverwalter des Stiftes war dennoch nicht zu beneiden. Der Zehent blieb eine Quelle ständiger Streitigkeiten. Besonders in der Zeit der Reformation, als die meisten Adeligen die neue Lehre annahmen, versuchten viele, sich den Zehent anzueignen. Der Lehensverwalter musste häufig Prozesse führen, um die alten Rechte des Stiftes zu verteidigen. Die große Steuerlast infolge der Türkenkriege, der gelübdewidrige Haushalt mancher Pfarrer und gewaltige Naturkatastrophen vermehrten die wirtschaftlichen Sorgen. Der Geldentwertung wollte das Stift dadurch entgegenwirken, dass es versuchte, die verpachteten. Zehente wieder in Eigenverwaltung zurückzunehmen, was zu erneuten Streitigkeiten führte und letztlich keinen Erfolg zeitigte. Um eine Übersicht über die teilweise sehr komplizierten Zehentverhältnisse zu bekommen, wurden 1685 Abschriften aus dem Grundurbarium angefertigt. Seit etwa 1700 begannen die Lehensverwalter, mit ihren Zehentholden sogenannte Bestandsverträge abzuschließen. Die Holden schlossen sich gewöhnlich zu einer Zehentgemeinde zusammen und lieferten den Pachtvertrag in Geld unter Ausschaltung eines Zwischenpächters direkt an den Zehentherrn. Diese Form wurde durch eine Verordnung Kaiser Franz' I. seit 1797 bei Neuverpachtungen verpflichtend. Unterdessen hatten die Reformen Josephs II. eine Lawine finanzieller Belastungen ins Rollen gebracht. Der Bau der Schulen und Pfarrhöfe in den neugegründeten Pfarren sowie die Kongruaergänzungen für deren Pfarrer überstiegen die Einnahmen der Lehenskasse und zwangen zu Anleihen. Als das Stift 1810 von der französisch-bayerischen Landesregierung in Administration gesetzt wurde, forderte die niederösterreichische Landesregierung vom Lehensverwalter einen genauen Bericht über die Besitzverhältnisse des Stiftes in der Waldmark.

Er meldete unverzüglich,

daß 1. das Stift hier drei alte Pfarren besitze, die in bezug auf ihre Realitäten, Zehente und Untertanen vom Stift ganz unabhängig seien, eigene Pfarrgrundbücher besitzen und dem landschaftlichen Kataster unter eigenem Namen und Nummer als kleine Grundherrschaften einverleibt seien; 2. die Pfarrer der neuen Pfarren Hollenthon, Thernberg, Scheiblingkirchen und Walpersbach den Unterhalt von jährlich 800 fl von der Lehensverwaltung beziehen, da sie wenig oder gar keine Realitäten besitzen; 3. in den Patronatspfarren das Stift das Zehenirechi besitze mit Ausnahme des dem Pfarrer zustehenden Anteiles; diese Zehente jedoch wegen der beschwerlichen Zufuhr in dieser Gebirgsgegend an die benachbarten Herrschaften und teilweise an die zehentbaren Gemeinden selbst mittels Pachtverträge um Geld vergeben seien.

Die relativ große Eigenständigkeit des niederösterreichischen Lehens hatte für das Stift damals auch Vorteile. Die französisch-bayerische Lokalkommission versuchte zwar, diese niederösterreichischen Besitzungen zu erfassen, doch gab es dafür im Stift keinerlei Unterlagen. Daher scheute Bayern auch vor einer gänzlichen Aufhebung zurück, weil zu befürchten war, dass dann die österreichische Regierung die niederösterreichischen Besitzungen ebenso einziehen würde. Obwohl die Lehensverwaltung bei der Bemessung der Pachtverträge immer schonend vorging, bei Unglücksfällen Zehentnachlass gewährte und den Robot milde handhabte, wuchs bei den Untertanen die Abneigung gegen Robot wie Zehent, sodass Robotverweigerungen, Zehenthinterziehungen und die Rückstände an Pachtzahlungen immer häufiger vorkamen. Für eine geistliche Herrschaft, die zugleich die Seelsorge ausübte, war die gewaltsame Eintreibung der Forderungen besonders belastend. Deshalb ernannte Propst Anton Straub im Jahre 1830 einen Laien zum Lehensverwalter. 1848 fand die Lehensherrschaft des Stiftes Reichersberg in der Waldmark nach siebenhundertjährigem Bestand ihr Ende. Fast drei Jahre musste der Lehensverwalter auf die ihm durch die Grundentlastung zuerkannte Entschädigungsrente warten. Diese war natürlich bedeutend niedriger als die früheren Einnahmen und reichte kaum für die Erhaltung und Instandsetzung der Kirchen und Gebäude der sieben inkorporierten und elf Patronatspfarren. Bis nach dem Ersten Weltkrieg kam dazu noch die Kongruaergänzung für die Pfarrer, deren Einkommen nicht ausreichte.

1868 kaufte Propst Bartholomäus Pflanzl das Gut Hochwolkersdorf mit einem ansehnlichen Waldbesitz. Allerdings war damit das Patronat über die dortige Pfarre verbunden, was zusätzliche finanzielle Verpflichtungen mit sich brachte. Als mit der Geldentwertung nach dem Ersten Weltkrieg auch die Renten versiegten, blieben der Patronatskasse nur mehr die Einnahmen aus dem Besitz in Hochwolkersdorf. Abgesehen von der dortigen Pfarre standen dessen Erträgnisse mit den Patronatsverpflichtungen aber in keinem Zusammenhang. Seit Beginn unseres Jahrhunderts hat sich die Zehentschenkung des Erzbischofs Konrad I., die ja den Zweck hatte, die ungenügende Dotierung des Stiftes zu verbessern, ins Gegenteil gekehrt. Die Einnahmen waren praktisch weggefallen, die Auslagen aber waren nach der geltenden Rechtslage geblieben. Der Patron hatte die Material- und Professionistenkosten - also die Hauptlast - zu tragen, die Pfarren mussten Hand- und Zugrobot leisten. In den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen wirkten sich die Forderungen der 18 niederösterreichischen Pfarren an das Stift, das ohnedies am Rand des finanziellen Ruins stand, verheerend aus. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte das Stift nur mehr symbolische Beiträge an die Pfarren überweisen. Endlich übernahm die Erzdiözese Wien im Jahre 1977 die ehemaligen Patronatspfarren und zwar ohne die sonst übliche Ablöse. Geblieben sind die acht inkorporierten Pfarren und damit auch die Verpflichtung zur Beitragsleistung.

Rechtliche Verhältnisse

Da Kleriker und Mönche seit der frühchristlichen Zeit keine Waffen tragen durften, konnten sie den militärischen Schutz der Klöster und deren Besitzungen sowie auch die Rechtsprechung über die Klosteruntertanen nicht selbst wahrnehmen. Üblicherweise betrauten sie damit einen Laien, häufig ein Mitglied der Gründerfamilie, den man nach dem lateinischen advocatus als Vogt bezeichnete. Reichersberg war schon bei seiner Gründung dem Schutz des Erzbischofs von Salzburg anvertraut worden (iuri et ditioni et defensioni Salisburgensi episcopi), mit der ausdrücklichen Bestimmung, dass die Vogtei nur vom Hauptvogt der Salzburger Kirche ausgeübt und dass kein Untervogt bestellt werden dürfe. So berichten es uns in nahezu gleichen Worten die Annalen, eine Reihe von Urkunden der Erzbischöfe von Salzburg, etliche Diplome staufischer Herrscher, ja sogar päpstliche Privilegien.

Der Sinn dieser Bestimmung war, ungebührlichen laikalen Einfluss von allem Anfang an auszuschalten. Es gab ja genügend Beispiele dafür, dass sich Vögte von Beschützern eines Klosters zu Bedrückern entwickelten. Häufig gingen die Hauptvögte, die durchwegs dem Hochadel angehörten, dazu über, die praktische Ausübung der Vogtei an einen ihrer Dienstmannen als Untervogt zu übertragen. Diese Untervögte, die selbst nur wenig begütert waren, versuchten dann aus ihrer Stellung möglichst viel Gewinn zu ziehen. Damit wurde gerade die Untervogtei zu einer besonders drückenden Last für das ,,beschirmte" Kloster.

In Reichersberg sollte also nach dem Willen des Gründers kein Untervogt bestellt werden dürfen. Diese Bestimmung kam freilich in den Wirren des Investiturstreites nicht zum Tragen. Zudem zeigten die Grafen von Peilstein, die Hauptvögte Salzburgs, an der Vogtei über Reichersberg wenig Interesse: Zum einen erschwerte die relativ weite Entfernung ein wirksames Eingreifen, zum andern waren aus dem geringen Stiftsbesitz für den Vogt auch keine großen Erträgnisse, zum Beispiel aus den Gerichtsgefällen, zu erwarten.

So scheint bereits um die Mitte des 12. Jahrhunderts ein Reginger von Ried, offenbar ein Verwandter der Gründerfamilie, als Untervogt auf: Reingerus de Riede, advocatus Reicherspergensis cenobii (UBLOE I, 321 Nr. 81). Anscheinend besaß er das Vertrauen des Konvents. Als aber nach dessen Tod sein Sohn Ulrich Erbansprüche auf die Vogtei geltend machte, wandte sich Propst Ger hoch mit einer Beschwerde an Erzbischof Eberhard I. Dieser bekräftigte die überlieferte Rechtslage, dass für Reichersberg nur der Hauptvogt von Salzburg zuständig sei, sollte er aber einen Vertreter bestellen, dann nur im Einverständnis mit dem Propst und dem Kapitel. Als Entschädigung für seine Mühen erhielt der Vogt ein Drittel der Gerichtsgefälle (AR 15). Diese Verfügung ließ sich Gerhoch auch von Kaiser Friedrich I. bestätigen. Damit hatte er ein Privileg, das ihm bei Vogteimissbrauch eine starke Hand bot. Nach Erwerb des Dorfes Münsteuer bat er Herzog Heinrich, die Vogtei über diesen Besitz zu übernehmen. So stellte diese Sondervogtei des bayerischen Herzogs ein starkes Gegengewicht zum Salzburger Hauptvogt dar. Die Vogtei Salzburgs erstreckte sich ja nur über den ursprünglichen Stiftungsbesitz, während sich verschiedene andere Adelsgeschlechter die Vogtei über ihre dem Stift gemachten Schenkungen vorbehielten. Dadurch hatte man es tatsächlich immer mit mehreren Vögten zu tun, was in der Folgezeit oft zu Übergriffen führte.

Nach dem Aussterben der Grafen von Peilstein im Jahre 1218 bestellte Erzbischof Eberhard II. für das Hochstift Salzburg keine Vögte mehr, sondern zog deren Befugnisse an sich. Von dieser Maßnahme war auch Reichersberg betroffen. Einige Adelige der Umgebung wollten diese Verfügung nicht anerkennen, beriefen sich auf alte Privilegien und Abmachungen und bedrückten das Stift. Sie beschlagnahmten Schiffsladungen, überfielen Untertanen und plünderten sie aus. In dieser Bedrängnis legte Propst Heinrich vor dem Altar der Stiftskirche ein großes Kreuz nieder und sang täglich mit den Brüdern die Antiphon „Aspice Domine". Besonders gewalttätig zeigten sich die Herren von Hagenau. Obwohl Erzbischof Eberhard schon 1220 ausdrücklich erklärt hatte, dass er ihnen niemals Vogteirechte über Reichersberg zugestanden habe, gaben sie ihre Ansprüche nicht auf. Um den langdauernden Streit zu beenden, zog es der Erzbischof vor, ihnen die angeblichen Vogteirechte in Geld abzulösen.

Dem Stift ebenfalls sehr lästige Nachbarn, die Herren von Waldeck, ließen sich Mitte des 13. Jahrhunders zu einem Vergleich herbei. Sie verzichteten auf verschiedene Güter, wurden aber dafür vom Stift als Gerichtsvögte bestellt. Der unmittelbare Stiftsbereich am Klosterberg genoss die Immunität. Auf Verlangen des Vogtes musste aber ein des Raubes, Diebstahls oder anderen todeswürdigen Verbrechens Überführter ausgeliefert werden, während ein solcher, der außerhalb dieses Bereiches angetroffen wurde, vom Vogt ergriffen und abgeurteilt werden konnte, jedoch durfte der Vogt dessen Besitz nicht einziehen. Wurde ein Stiftsuntertan, der außerhalb des immunen Stiftsbereiches wohnte, eines todeswürdigen Verbrechens überführt, so hatten sich die Waldecker hinsichtlich seines Besitzes an das gemeine Landrecht zu halten. Im Jahre 1436 brach unter den bayerischen Herzögen Krieg aus. Erzbischof Johann von Reisperg schickte zum Schutz des Stiftes eine Truppe Soldaten unter Führung Johann Hoyers hierher.

Auch für die Pfarren in der Waldmark galt die Regelung Erzbischof Eberhards II. Die Vogtei über Pitten, Bromberg und Edlitz stand nur dem Hauptvogt von Salzburg zu. Daneben hatten auch einige Adelsgeschlechter Vogteirechte, was auch hier immer wieder zu Streitigkeiten führte. Propst Paul Tellenpeck bat 1459 Kaiser Friedrich als Landesfürsten, die österreichischen Pfarren samt den Holden, Gütern und Zehenten in seinen Schirm zu nehmen. Auch seine Nachfolger bestätigten das niederösterreichische Lehen als landesfürstliche Vogtei.

Soziale Verhältnisse

Genaue Angaben über die Stärke und soziale Zusammensetzung des Reichersberger Konvents sind bis zur Barockzeit nicht möglich, da sämtliche Unterlagen beim Brand von 1624 zugrunde gingen. Die erste vollständige Aufzählung der hiesigen Chorherren liegt erst von 1675 vor, die nächste von 1728. 1884 hat Konrad Meindl in mühevoller Kleinarbeit ein Verzeichnis der Chorherren erstellt, deren Namen er aus den verschiedensten Quellen zusammentrug. In der Weiterführung bis zum Jahre 1988 scheinen darin 693 Mitglieder auf.

Diese Zahl entspricht sicherlich nicht der Realität, weil besonders für die ersten Jahrhunderte die urkundlichen Nachrichten sehr spärlich sind. Wir gehen aber wohl nicht fehl in der Annahme, dass es in den ersten Jahrzehnten nur eine kleine Schar von Klerikern war, die in dem alten Burgkloster ein mehr kontemplativ ausgerichtetes Leben führte. Weder die ungeeigneten Gebäude noch die karge Dotation hätten einen größeren Konvent erlaubt.

Erst mit dem dritten Propst Gerhoch (1132–1169) begann eine über dreißig Jahre dauernde Blütezeit. Die Chronik berichtet zwar von Laienbrüdern in nicht geringer Zahl, in einer Urkunde aus Gerhochs späterer Zeit unterschreiben neben Propst und Dechant aber nur zwei Priester, fünf Diakone und zwei Subdiakone. Das wird die Mehrzahl der im Stift selbst dienenden Kanoniker gewesen sein. Auch die Tatsache, dass an den acht großen Bänden des Psalmenkommentars nur drei Schreiber tätig waren, lässt auf einen kleinen Konvent schließen. Nur in einzelnen Fällen lassen sich Stand und Familie der Konventsmitglieder ermitteln. Sie zeigen Reichersberg als ein Stift der kleinen freien und ministerialischen Familien des Inntals. Nur äußerst selten begehrten Söhne des hohen Adels hier Aufnahme, und das wurde dann beinahe als Sensation empfunden. Eine Urkunde aus dem Jahre 1227 ist von 16 Chorherren unterzeichnet. Beim Tod des Propstes Walter 1281 lebten 20 Chorherren im Stift, sechs auf Pfarreien.

Der Administrator Ortolf von Teuffenbach verringerte die Zahl der Herrenpfründen auf acht. Eine Urkunde vom Jahre 1335 spricht von einer pusillus grex canonicorum Reycherspergensis ecclesie. Wahrscheinlich lebten auch einige Konversen im Stift. Auch das Wahlinstrument des Propstes Griffo von Ottenberg vom 2. Juli 1386 ist nur von acht Chorherren unterzeichnet. Ihnen sind aber noch die in Niederösterreich stationierten Kapitulare zuzuzählen, die an der Wahl nicht teilnahmen, und wohl auch einige Jungherren, die noch nicht stimmberechtigt waren. Der Gesamtpersonalstand wird die Zahl 20 kaum überschritten haben. In der Reformationszeit sank die Zahl der Mitglieder von 23 im Jahre 1558 auf 14 im Jahre 1569. Im Zuge der inneren Reform füllte sich der Konvent aber wieder auf. Die Novizenaufnahme wurde der Zahl der Todesfälle angepasst, so dass die Gemeinschaft immer etwa 25 Mitglieder zählte.

Zwischen 1633 und 1779 traten 150 Chorherren in Reichersberg ein, zwei Drittel stammten aus Bayern. Adelige und Bauern waren nur mit je vier Prozent vertreten, meist waren es Söhne von Beamten, Handwerkern und Gewerbetreibenden. Joseph II. verfügte für das Stift einen Numerus fixus von 16 Mann. Demzufolge und auch mangels geeigneter Bewerber gab es von 1777 bis 1789 keinen Eintritt. Nach der sechs Jahre dauernden Administration in der Franzosenzeit erschienen am 17. Februar 1817 sämtliche noch lebende Kapitulare – es waren nur mehr 13 – zur Wahl eines neuen Propstes. In den folgenden Jahrzehnten stieg die Zahl der Mitglieder wieder langsam an und erreichte im Jubeljahr 1884 die Zahl von 24 Priestern und drei Junioren. Dieselbe Zahl entnehmen wir dem Personalschematimus von 1921.

In der nationalsozialistischen Ära gab es keinen einzigen Eintritt. Todesfälle und Austritte von Klerikern dezimierten die Gemeinschaft von 27 im Jahre 1938 auf 17 im Jahre 1945. In den Nachkriegsjahren zeigt sich ein langsamer Aufwärtstrend, der jedoch in der nachkonziliaren Zeit zum Stillstand kam. Nach einer Unterbrechung von elf Jahren traten erst wieder 1978 drei Kandidaten ein. Im Jahre 1995 zählt das Stift 25 Mitglieder: 22 Priester und drei Junioren; das Durchschnittsalter beträgt 49 Jahre. Von ihnen stammen nur ein Drittel aus Familien von Selbständigen (Gewerbetreibende und Bauern), den größeren Teil stellen Söhne von Arbeitern, Nebenerwerbsbauern und Beamten. Es fällt aus, dass kein einziger Chorherr aus einer Akademikerfamilie kommt.

Bibliothek

Der alte Bibliotheksbestand ist dem Brand von 1624 zum Opfer gefallen. Es ist daher nicht möglich, vom alten Buchwesen und der im Kloster gepflegten Buchkunst eine ausreichende Darstellung zu geben. Einem glücklichen Umstand ist es allerdings zu verdanken, dass wir wenigstens den Umfang und die Zusammensetzung des alten Bestandes kennen. Im Auftrag des Kurfürsten Maximilian mussten 1595 und 1610 zwei Bibliothekskataloge nach München gesandt werden, die in der Bayerischen Staatsbibliothek noch erhalten sind (Codex Bavaricus, Cat. 2, fol. 394 f.; Abschr. AR 204). Der Katalog von 1595 nennt insgesamt 172 Handschriften, wobei das Schwergewicht bei der Theologie lag, sie zählte 141 Nummern. 13 waren Juridica, sieben Historica, acht Philosophica, zwei waren medizinischen und eine astronomischen Inhalts. Der Katalog von 1610 verzeichnet hingegen 250 Nummern. Die 78 in der Handschrift von 1595 nicht erwähnten Kodizes mögen nicht alle Neuzugänge gewesen sein. Wahrscheinlicher ist, dass das Verzeichnis von 1595 nur die tatsächlich in der Bibliothek vorhandenen Bücher aufnahm, nicht aber solche, die sich gerade in Kirche, Refektorium oder in privatem Gebrauch befanden. Beide Kataloge sind von derselben Hand geschrieben.

Der Schreiber nennt sich selbst Ludwig Schlachius - er war Schulmeister des Stiftes. Unter den theologischen Schriftstellern hält Augustinus mit 39 Werken die Spitze. Von dieser bibliotheca codicibus instructissima (Monumenta Boica, Vorw. zu Bd. 3) haben nur einige wenige Handschriften den Brand von 1624 überlebt - sie bilden heute die kostbarsten Schätze des Archivs. Die Prälaten des 17. Jahrhunderts mussten ihre Hauptsorge dem Neubau der Stiftsgebäude zuwenden, aber schon von Propst Anton Ernst (1675-1685) wird berichtet; dass er den inzwischen wieder vorhandenen Bücherstand der Bibliothek vermehrte. Die allmählich anwachsende Sammlung war in einem Raum des Konventes untergebracht, nach Fertigstellung des Südtraktes bezog sie den heutigen Carlonesaal.

Die Prälaten des 18. Jahrhunderts verwendeten je nach der Finanzlage des Stiftes bedeutende Summen zur Anschaffung besonders theologischer Werke. So kam es, dass der beschränkte Raum der bisherigen Bibliothek nicht mehr ausreichte. Propst Ambras Kreuzmayr (1770-1810) verlegte die Bibliothek an die Südseite des Kreuzganges. Durch Entfernung der Zwischenwände des Krankentraktes und der Marienkapelle entstand ein langgestreckter Saal, den der Münchener Maler Johann Nepomuk Schöpf mit Fresken schmückte. Die Deckengemälde zeigen den heiligen Augustinus als Bekämpfer der Irrlehren, die Gründung des Stiftes durch Werner und Dietburga von Reichersberg und die Schenkung des Zehents in den niederösterreichischen Pfarren Pitten und Bromberg durch Erzbischof Konrad von Salzburg. Die westliche Schmalseite schmückt ein Bild des großen Propstes Gerhoch, die östliche das des bekannten Thomas von Kempen, beide in der alten Tracht der Augustiner-Chorherren. Während die Fensterleibungen mit Phantasieporträts berühmter antiker Philosophen und Schriftsteller dekoriert sind, füllen die Räume zwischen den großen Fresken Bildnisse bedeutender Kirchenlehrer und Theologen. Die 26 Schränke gehören stilistisch noch dem Rokoko an und sind Arbeiten des Grazer Bildhauers Josef Stöger, der sich im benachbarten Obernberg niederließ. Das kräftige, reich gegliederte Marmorportal in spätem Barock ist mit 1771 datiert und trägt im Aufsatz das Wappen des Stiftes (zwei Reiherflügel) und das des Propstes Ambras Kreuzmayr (Kreuz und Bienenkorb). Es ist ein Werk des Salzburger Meisters Jakob Mösl. Nur knapp drei Jahrzehnte konnten sich die Chorherren ihrer neuen Bibliothek erfreuen. Im Verlauf der Franzosenkriege diente das Haus zuerst als österreichisches Militärspital. Im Jahre 1801 beklagt der Hofrichter Weinmann in einem Schreiben an die Behörden, man habe die Kranken ohne Not in die Bibliothek verlegt, welche hiedurch außerordentlich gelitten habe; denn es sei nicht allein ein beträchtlicher Teil der Bücher entwendet worden, sondern manche kostbare Werke wären jetzt mank! Ein ähnliches Schicksal widerfuhr der Bibliothek zur Zeit des französischen Militärspitals 1809/1810. Nach dem Abzug der Franzosen im April 1810 herrschte im ganzen Haus eine unbeschreibliche Verwüstung. Personal- und Geldmangel ließen die Bibliothek auch in den folgenden Jahrzehnten ein Schattendasein führen. Im Jahre 1841 übernahm der Chorherr Bernhard Appel das Amt des Bibliothekars. Er ordnete die vorhandenen Bestände und legte auch einen Katalog an. Die größten Verdienste aber erwarb sich sein Nachfolger Konrad Meindl (Bibliothekar seit 1868). Die beiden heute noch in Gebrauch befindlichen Kataloge (Zettel- und systematischer Katalog) tragen großteils seine Handschrift, ebenso geht die heutige Anordnung der Bestände auf ihn zurück.

I Theologie

a Bibelwissenschaft

b Kirchenschriftsteller, Konzilien

c Dogmatik

d Moral

e Aszetik und Mystik

f Pastoral und Liturgie

g Homiletik und Katechetik

II Rechtswissenschaft

III Geschichte, Geographie, Statistik

IV Philosophie

V Mathematik

VI Naturwissenschaft

VII Medizin

VIII Philologische und klassische Literatur

IX Journale und Belletristik

Während Konrad Meindl noch laufend Bücher anschaffen konnte, freilich nicht soviel wie er es wünschte, konnte sein Nachfolger als Bibliothekar Gerhoch Weiß (seit 1905) nur mehr das bereits Vorhandene bewahren. Die katastrophale Finanzlage des Stiftes zwischen den beiden Weltkriegen zwang zu äußerster Sparsamkeit. Von 1940 bis 1945 war im Stift eine Fliegerschule einquartiert. In den letzten Kriegsjahren wurden immer mehr Räume beansprucht, zuletzt auch die Klausur. Die Bibliothek dürfte aber nicht sonderlich gelitten haben, es finden sich keinerlei Hinweise, dass der Raum zweckentfremdet gewesen wäre. In den Nachkriegsjahren musste man sich darauf beschränken, die alte Ordnung wiederherzustellen. In die große Schwanthaler-Ausstellung des Jahres 1974 war auch die Bibliothek einbezogen. Die schadhaften Fresken wurden restauriert, und an die Stelle der ganz ungenügenden Beleuchtung traten zwei Kristalluster. Bei den Arbeiten zur Sicherung der Bibliothekskästen wurde die alte Ordnung empfindlich gestört und konnte nur zum Teil wiederhergestellt werden.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts war die Bibliothek praktisch nur mehr ein Schauraum. Da im Budget des Stiftes keinerlei Mittel dafür zur Verfügung standen, ergänzte sie sich nur aus den Nachlässen der Chorherren und gelegentlichen Zukäufen. Ein weiteres Problem bildete der Raummangel. In den meisten Regalen waren die Bücher in zwei Reihen hintereinander aufgestellt. Schon gegen Ende des 20. Jahrhunderts ließ Konrad Meindl einen Türbogen in einen kleinen Raum an der Nordostecke ausbrechen, seither kamen dort noch zwei angrenzende Räume hinzu. Deren Raum reichte aber kaum aus und man hatte dort immer wieder mit Feuchtigkeit zu kämpfen.

Bau und Kunstgeschichte

Das Stift präsentiert sich heute als rein barocke Anlage, es sind keinerlei mittelalterliche Bauteile mehr vorhanden. Leider existiert auch kein einziges Bild des alten Klosters, sodass wir beim Versuch einer Rekonstruktion auf die spärlichen Angaben der Chronik angewiesen sind. Am Anfang diente die Burg Werners mit der Kapelle zum heiligen Sixtus den Kanonikern als Unterkunft. Als erste bauliche Veränderung wird berichtet, dass Werner die Befestigungsanlagen der Burg niederlegen ließ. Im Jahre 1126 weihte Erzbischof Konrad I. von Salzburg die neuerbaute Klosterkirche zu Ehren des hl. Erzengels Michael ein. Propst Gerhoch (1132-1169) fand bei seinem Amtsantritt ein ziemlich desolates Kloster vor, dessen Bauten großteils aus Holz waren. Das ist durchaus verständlich, denn bis zur Fertigstellung einer steinernen Klosteranlage, deren Errichtung mehrere Jahrzehnte in Anspruch nahm, gab es kaum eine andere Wahl, als den Konvent in provisorischen Gebäuden unterzubringen. Noch dazu verzögerten die zeitbedingten politischen und kriegerischen Auseinandersetzungen den Ausbau des Klosters. Gerhochs Kloster besaß neben der Kirche vermutlich einen Kreuzgang mit Brunnenhaus, einen Aufenthalts- und Arbeitsraum mit Ofen und Kamin, einen Küchenbau mit Feuerstelle, ein gemeinsames Dormitorium, Vorratsräume, Wirtschaftsräume, eine Abortanlage. Auch ein Hospital gehörte neben der Stiftsschule und einer Gaststube zu diesem Gebäudeensemble. Übrigens war das Terrain der alten Klosteranlage wesentlich kleiner als heute. Dort, wo sich im äußeren Stiftshof der Michaelsbrunnen erhebt, lief bereits ein tiefer Graben, der das Kloster vom Dorf trennte. Die einzige Verbindung bildete die Zugbrücke, über die man durch den Torturm in den mit einer Mauer umgebenen Klosterbezirk gelangte. Die Konventgebäude bildeten mit der Kirche ein Quadrat, dem bis zum Torturm einige Nebengebäude vorgelagert waren. Von den alten Bauten könnten sich einige Grundmauern im Bereich des Kreuzgartens erhalten haben. Benno Ulm vermutet auch, dass die massive Südwand der heutigen Kirche die Brandkatastrophe von 1624 überdauert hat. Einzige sichtbare Zeugen aus der Frühzeit sind eine achtkantige Säule und ein Stein mit einem Männerkopf, die sich heute im Stiftsmuseum befinden. Erhalten sind weiters noch eine ganze Reihe mittelalterlicher Grabsteine, darunter der des Propstes Gerhoch (aus dem 13. Jahrhundert). Um das Jahr 1338 scheint der Kirchturm eingestürzt zu sein, denn Propst Ortolf erwirkte damals einen Ablass für die Gläubigen, die zum Wiederaufbau des Turmes ein Almosen gaben. Er konnte aber erst 1355 fertiggestellt werden. Die alte Klosterkirche war wesentlich kleiner als die heutige. Außer dem Hochaltar und dem Kreuzaltar in der Mitte standen nur zwei Seitenaltäre, das Sakramentshäuschen, der Taufstein und wenige Chorstühle darin. Vor dem Kreuzaltar befand sich das Hochgrab der Stifter, das um 1470 eine prachtvolle Deckplatte erhielt. Sie befindet sich heute an der Wand neben der ersten Seitenkapelle. Unter drei kräftigen Kielbögen mit fleischigen Krabben und Fialen stehen die Stifter, in der Mitte Werner und seine Gattin Dietburga, die das Kirchenmodell tragen, links von ihnen, gerüstet mit Schild und Rennfähnchen, ihr früh verstorbener Sohn Gebhard. Die drei Figuren stehen wie die Gestalten im Schrein eines Flügelaltares auf Konsolen, zwischen ihnen die Wappen der Plainer und der Helfensteiner, die Reiherflügel und die Rauten des Geschlechtes der Dietburga. Über die stilistische Herkunft der Platte aus Straubing oder Salzburg besteht noch keine Übereinkunft.

Zur Zeit des Propstes Magnus Keller (1588-1612) war die Kirche schon recht baufällig. Man hielt es damals für die beste Lösung, sie gänzlich abzubrechen und einen Neubau aufzuführen. Dieser Plan kam aber dann doch nicht zur Ausführung. Immerhin ließ Propst Magnus das bis dahin flach gedeckte Schiff einwölben und schaffte neue Altäre, Chorstühle, eine Orgel und eine große Glocke an. Eine kleine Glocke im Kreuzgang, die sich früher in der Frauenkirche befand, trägt die Inschrift: ,,Her Magnus Propst zu Richersperg 1602".

Anfang Mai 1624 vernichtete ein Großbrand die gesamte Klosteranlage. Nach dem Wegräumen des Schuttes und der Sicherung der noch standfesten Mauern erhielten die noch verwendbaren Bauteile eiligst provisorische Dächer. Dann ging man an die

Abbrechung der alten Meyer, als dess alten gewesten Convents und ganzen Schlaihauss, darbey auch die Dechantey, halber Creitzgang und unsser Frauen Cappellen(Prälaturrechnung April 1625).

Die feierliche Grundsteinlegung zum Neubau erfolgte am Peter-und-Pauls-Tag 1625. Ein norditalienischer Baumeister, Niklas Zillier, übernahm die Bauleitung. Zu ihm gesellten sich noch Anthoni und Cassian (Caspar) Ragathon. Diese sind identisch mit den Righettoni aus Castaneda im Misoxtal in Graubünden. Bis Herbst 1625 wurden der Konventbau mit Sommer- und Winterkonvent, Dormitorium und Abort fertiggestellt. Über den Winter zogen die welschen Baumeister heim nach Graubünden und kehrten erst im Frühjahr wieder. Bis 1628 wurden drei Flügel um den Kreuzhof aufgeführt. An der Kirchenseite wurde über dem Kreuzgang ein winziges Oratorium eingebaut. Im Ostflügel des Konventbaues öffnet sich der Kreuzgang nicht zum Hof hin, sondern ist in der Mitte durch den „Stock" geführt. Den Auftrag für den Neubau der Stiftskirche erhielt ein Rieder Baumeister, Christoph Weiß. 1629 lieferte ein Schmied aus Braunau Gitter für die Kirchenfenster, die Zimmermannsarbeiten für Kirche und Konventgebäude übernahm Wolf Tobler aus Schärding. Im November 1630 wurde das Chortürmchen aufgesetzt. Unter dem bereits gedeckten Dach konnten Maurer und Tischler ungehindert vom Wetter an den Gewölben und der Innenausstattung arbeiten. Beim Einfall der Schweden in Bayern 1632 kamen die Arbeiten zum Erliegen, denn auch der Polier Wilhelm Starzer ist mit seinen Consorten wegen besorgender Kriegsleiff heimbgereisi (Prälaturakten 21. Mai 1632). Bis zur Kirchweihe am 31. Juli 1644 lässt sich der Baufortgang nur andeutungsweise aus den lückenhaften Rechnungen verfolgen. Ab 1637 entstand der Nordtrakt mit den sogenannten Fürstenzimmern und dem Bayerischen Saal. Über 17 kräftigen Pfeilerarkaden öffnet sich im Obergeschoß ein Laubengang mit 34 Arkaden. 1664 wurde mit dem Baumeister Thomas Prünner aus Ried bereits die Schlussabrechnung gemacht. Den Weiterbau des Nordtraktes übernahm Carlo Antonio Carlone. In den folgenden Jahren wurden die ebenerdigen Wirtschaftsgebäude, die den westlichen Teil des Stiftshofes begrenzen, samt dem gedrungenen Torturm aufgeführt. Nach der Fertigstellung der Bäckerei 1679 und des Brauhauses 1685 schloss Carlo Antonio Carlone den äußeren Stiftshof mit dem zweigeschossigen Südtrakt ab. Im Gelenk zwischen dem Konventtrakt und dem Neubau fügte er das Sommerrefektorium mit dem achteckigen Brunnenhaus ein. Als Stukkateure arbeiteten neben Giovanni Battista Carlone noch Paolo d'Allio und Piero Camuzzi an den üppig-schweren Girlanden.

Den optischen Mittelpunkt des Stiftshofes bildet der Michaelsbrunnen, den Propst Theobald Antissner 1697 aufstellen ließ. Die Steinmetzarbeiten schuf der Salzburger Gregor Götzinger, die Ornamente und Delphine der Salzburger Bildhauer Bernhard Mändl, das Röhrenwerk der Münchener Brunnenmeister Adam Bartl. Die bekrönende Figur des heiligen Erzengels Michael ist eine Treibarbeit aus feuervergoldetem Kupferblech. Sie ist eine Meisterarbeit des Thomas Schwanthaler. Von ihm sind auch noch einige Plastiken und Epitaphe erhalten.

Als Höhepunkte der künstlerischen Ausstattung der Klostergebäude sind die malerischen Leistungen zu werten. Es handelt sich mit Ausnahme weniger bedeutender Ölbilder um die großen Freskenzyklen in der Kirche und den drei profanen Prunk- und Repräsentationsräumen. Zeitlich umgreifen diese Arbeiten fast ein Jahrhundert. Den Auftrag zur Ausschmückung des Festsaales im Südtrakt erhielten zwei Münchener Maler, Johann Eustachius Kendlbacher und Benedikt Albrecht. Das Thema des langgestreckten Deckenfreskos ist das Wirken der göttlichen Vorsehung. In der Scheinarchitektur stehen zwischen den Säulen die Allegorien der damals bekannten vier Erdteile Europa, Asien, Afrika und Amerika. Zwischen den Fenstern stehen überlebensgroße Imperatorengestalten, die in ockerfarbener Grisailletechnik mit Coldhöhungen gemalt sind. Die beiden Ölbilder an den Stirnseiten „Mose schlägt Wasser aus dem Felsen" und „Der Mannaregen in der Wüste" stammen von Kendlbacher. Die Prälaturrechnungen vom 9. September 1695 vermerken: Denen Mallern wögen des Neuen in Fresco ganz verförtigten Saals über die vorhin schon empfangen 580 Gulden völlig zalt und conientiert mit 400 Gulden.

Die Bibliothek erhielt ihren Freskenschmuck 1770/71 vom Münchener Maler Johann Nepomuk Schöpf. Das Programm umfasst die Geschichte der Kirche, des Ordens und des Stiftes, Vertreter der Theologie und der Wissenschaften. Das Programm des Bayerischen Saales ist zur Gänze der griechischen Mythologie entnommen. Das Mittelbild der flachen Decke zeigt Phöbus Apollo mit dem vierspännigen Sonnenwagen, der täglich aus dem Ozean auffährt. Weitere mythologische Szenen sind an den Wänden dargestellt. Der Bayerische Saal diente früher als „Tafelzimmer" für vornehme Gäste. Propst Ambros Kreuzmayr notiert 1771: Dem Hern Schöpf, Mahl er von München, hab ich für die Ausmahlung des Tafelzimmers und der Bibliothek am baaren Geld behändigt 800 Gulden.

Das letzte große Unternehmen vor dem Klostersturm des Josephinismus und der Säkularisation war die Freskierung der gewaltigen Deckenfläche der Stiftskirche. Vorausgegangen war der Einsturz des Kirchturmes 1774. Dieser stammte noch von der alten Kirche, dürfte beim Brand nur geringfügigen Schaden genommen haben und erhielt später eine barocke Haube aus Weißblech. Nun wollte man eine neue Kupferkuppel aufsetzen. Dieser Last waren aber die alten Mauern nicht mehr gewachsen. Am 17. Februar 1774 stürzte der fast vollendete Turm ein, zerschlug das Kirchengewölbe, die Empore mit der Orgel und die anliegenden Räume des Nordtraktes. Propst Ambros ließ unverzüglich einen Plan für den Neubau erstellen, der aber nur in abgeänderter Form zur Ausführung gelangte. Der diesbezügliche Erlass der kurfürstlichen Regierungsstelle in Burghausen lautet:

Von Gottes Gnaden Maximilian Joseph ... Wir befehlen euch gnädigst, dass der bey eurer Stiftskirche neu zu erbauende Thurm nicht höher aufgeführt werde, als wie selber in dem wieder zurückfolgenden Riss mit Tinte angezeichnet worden. Wo wir im übrigen den Bau ratificiren ...

Tatsächlich ist auf dem Plan die schlanke Zwiebelhaube etwa in der Mitte durchgestrichen: Hier soll das Kreuz aufgericht werden! Der neue Turm, um einige Klafter weiter westlich errichtet, gestattete die Verlängerung des Kirchenraumes und kann in seiner relativ bescheidenen Form als erstes Anzeichen des aufkommenden Klassizismus gelten.

Für die Freskierung der Kirche gewann der Propst einen der fähigsten Freskanten seiner Zeit, Christian Wink aus München. In seinem Werk überwiegen profane Aufträge, erst in zweiter Linie diente der Hofmaler der Kirche. Seine Fresken in der Stiftskirche sind hell und frisch, die Bewegung und Komposition ist noch durchaus spätbarock, in den Nebenbildern ist bereits der Klassizismus spürbar. Die kuppelige Rundung über dem Presbyterium zeigt die Anbetung des Gottesnamen Jahwe durch die Chöre der Engel und Heiligen. Den großen mittleren Deckenspiegel nimmt die Legende von der Erscheinung des Erzengels Michael auf dem Berge Gargano in Apulien 493 ein. Das westliche Deckenfresko stellt die Übergabe der Ordensregel durch den heiligen Augustinus an die Chorherren dar. Interessant ist die Darstellung der Chorherren in ihrer Tracht, die den Wandel der Ordenskleidung anschaulich macht. Ganz links hat sich Christian Wink selbst abgebildet, neben ihm steht der Auftraggeber Propst Ambros Kreuzmayr. Von Wink stammen auch noch das Fresko in der Vorhalle „Mose vor dem brennenden Dornbusch" und im Prälatenoratorium „Ein Pilger auf dem steinigen Weg zum Himmel" sowie die kleinen Medaillonfresken in der Hauskapelle. Die Deckenfresken verleihen der sonst sehr schlicht wirkenden Kirche eine frohe, festliche Stimmung, die im Sommer besonders gegen Abend voll zur Wirkung kommt. Der Raum ist 43 m lang, 15 m hoch und ebenso breit (ohne Seitenkapellen). Hochaltar, Chorgestühl und Kanzel stammen aus der Zeit des Propstes Herkulan Kalchgruber (1707-1734). Leider sind die Prälaturrechnungen dieses kunstsinnigen Prälaten verlorengegangen. Die mächtige, vergoldete Kanzel wird dem Passauer Matthias Götz zugeschrieben. Die Kanzelbrüstung tragen zwei der Evangelistensymbole, der Löwe für Markus und der Stier für Lukas. Die beiden anderen Symbole finden sich auf dem überschweren Schalldeckel: zwischen den Voluten und Putten sitzt der Johannesadler auf dem Buch der Apokalypse, die Bekrönung bildet ein posaunenblasender Engel für Matthäus.

An der Nordseite der Kirche sind vier Seitenkapellen angebaut. Für sie schuf Johann Baptist Modler aus Kößlarn 1762 bemerkenswerte Stuckaltäre. Der letzte fiel allerdings dem Einsturz des Kirchturmes zum Opfer und wurde 1775 durch einen Marmoraltar in klassizistischen Formen ersetzt. Da das bereits angesparte Geld dann für den Turm verwendet werden musste, kam die geplante Aufstellung eines Hochaltares und zweier Seitenaltäre in Marmor nicht mehr zustande. Der heutige Hochaltar stammt aus dem Jahre 1713, im Aufsatz trägt er eine frühbarocke Madonna, wahrscheinlich aus der Hand des Weilheimer Bildhauers Hans Degler. Das Altarblatt- der Engelsturz - ist eine Kopie nach Rubens vom Wiener Karl Rahl 1834. Der Tabernakel wird 1750 datiert. Trotz dieser Uneinheitlichkeit fügt sich der Altar in seiner unaufdringlichen Art gut in die Apsisrundung ein. Eine besondere Zierde der Kirche bildet die hohe, elegante Orgelempore mit dem eindrucksvollen Orgelgehäuse des Grazers Josef Stöger 1776. Anlässlich des 900jährigen Jubiläums ließen Stift und Pfarre im Jahre 1981 von der Firma Metzler in Zürich in das alte Gehäuse eine neue Orgel einbauen. Im Presbyterium hat seit 1994 ein kleines Orgelpositiv von Vladimir Slajch aus Borovany (Tschechien) Aufstellung gefunden. Ein Juwel ist die Sakristei, die vom Linzer Meister Franz Josef Holzinger 1737 mit figuralen Flachreliefs geschmückt wurde. Die Mittelfigur stellt Papst Gregor I. dar, den Reformer von Liturgie und Choralgesang, wie er einen vor ihm knieenden Chorherrn auf den Ordensvater Augustinus weist. Nicht bekannt ist der Schöpfer der schönen eingelegten Wandschränke. An Kunstschätzen ist das Stift relativ arm. 1951 ließ Propst Floridus Buttinger im ehemaligen Sommersaal ein kleines Museum einrichten. Den Grundstock bildeten Porträts von Chorherren und Bilder der Stiftspfarreien. Ein schlichter Barockaltar, einige Figuren und Hausrat runden die Sammlung ab. So konnte man gelegentlichen Besuchern des Stiftes einiges zeigen: Kirche, Sakristei, Augustinisaal und „Museum". Die Bibliothek lag ja in der Klausur und war somit nicht allgemein zugänglich. Als 1965 die Innbrücke Obernberg-Bad Füssing gebaut wurde, änderte sich die Situation schlagartig. Ein nie gekannter Besucherstrom ergoss sich in den sonst so verträumten Stiftshof. Das ließ einen Plan zur Verwirklichung gelangen, die wenigen, aber doch sehenswerten Kunstschätze des Hauses im Kreuzgang und den anstoßenden Räumen aufzustellen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Bereits 1966 konnte das neue Stiftsmuseum eröffnet werden. Aus der Zeit der Gotik hat sich naturgemäß nicht mehr viel erhalten. In der Gruftkapelle sind Reste eines gotischen Glasfensters mit der Darstellung der Anbetung der Könige zu sehen. Von sechs noch vorhandenen Tafelbildern sind vier Kopien nach Dürers ,,Marienleben". Eine Kreuzigungsgruppe aus Lindenholz, die sich früher im Dorffriedhof befand, wirkt auf den ersten Blick noch gotisch, wird aber von Fachleuten mit etwa 1600 datiert.

Das Barock ist mit Werken Hans Deglers aus Weilheim sowie der berühmten Schwanthaler vertreten. Meister Thomas ist ein eigener Raum gewidmet. Hier dominiert ein prachtvoll geschnitzter vergoldeter Akanthusrahmen (200 x 170 cm), der seit 1770 als Umrahmung einer Altöttinger Madonna am Altar des Seitenschiffes der Kirche zu Münsteuer diente. Die mit Libellenflügeln versehenen Putten legen aber den Schluss nahe, dass der Rahmen ursprünglich für Privaträume und nicht für eine Kirche bestimmt war. Ein anatomisch vorzüglicher Elfenbeinchristus (Corpus 39 cm) auf einem schwarzpolierten Eichenkreuz gehört zu den kostbarsten Stücken der Sammlung. Zwei korrespondierende Plastiken, Maria vom Siege und Erzengel Michael, sind bereits auf einigen Ausstellungen gezeigt worden. Johann Peter Schwanthaler d. Ä. werden zwei Weihnachtskrippen in geschnitzten Rokokoschreinen zugeschrieben, eine heilige Anna und ein Erzengel Michael, eine Replik in Kleinstformat der von seinem Großvater Thomas geschaffenen Brunnenfigur. Eine bisher Johann Peter d. J. zugeschriebene Verkündigungsgruppe aus Lambrechten dürfte nach neuesten Erkenntnissen ein Werk seines Bruders Franz Jakob um 1780 sein. Eine Monstranz und ein Ziborium, beide Silber, vergoldet, tragen Augsburger Beschauzeichen um 1650. Aus dem 18. Jahrhundert ist nur ein einziger Messkelch mit Emaillemedaillons und reichem Steinbesatz erhalten. Auch an Paramenten hat das Stift nicht viel zu bieten. Der älteste Ornat ist in den Prälaturrechnungen des Jahres 1766 als Werk der Englischen Fräulein in München ausgewiesen. Der Erfolg der von den Chorherren selbst gehaltenen Führungen beweist, dass die Einrichtung des Stiftsmuseums keine nutzlose Investition war. Seit 1977 liegt die jährliche Besucherzahl ziemlich konstant zwischen 22.000 und 25.000. Der Großteil der Gäste kommt aus dem benachbarten Bäderdreieck Bad Füssing-Birnbach-Griesbach.

Archiv

Das Stiftsarchiv befand sich von 1876 bis 1993 in den Räumen der ehemaligen Stiftskanzlei (seither wieder als solche adaptiert). Früher waren die Urkunden und Akten auf verschiedene Räume verteilt. Die wichtigsten Urkunden wurden seit alters her in der Prälatur aufbewahrt, wo sie in einem kleinen gewölbten Nebenraum in einem Kasten mit 18 Laden nach Sachgebieten geordnet waren. Jodok Stülz, der in den Jahren 1838 bis 1841 diesen Bestand bearbeitete, änderte die alte Ordnung ab und reihte die Urkunden und Akten rein chronologisch. Weitere Archivalien befanden sich in der sogenannten alten Registratur, darunter sehr alte Pergamenturkunden über untertänige Bauerngüter; ihre Signatur richtete sich nach den Grundbuchsnummern. Zuletzt fanden sich Urkunden und Akten in der Stiftskanzlei. Konrad Meindl vereinigte alle diese Bestände in den neuen Räumen (Registratur- und Archivraum). Im Zuge des Umbaues des Bildungshauses 1993 war es notwendig, die Archivräume zu verlegen, um für die Verwaltung zentral gelegene Räume zu gewinnen. Das Archiv erhielt im Nordtrakt, links von der Mittelstiege, zwei große Zimmer, die bis 1947 der Volksschule als Klassenraum gedient hatten und zuletzt als Sprechzimmer und Büro in Verwendung waren. Der erste Raum wurde als Arbeitszimmer eingerichtet, in ihm haben auch die schönen alten Archivschränke wieder Aufstellung gefunden. Sämtliche Archivalien, auch das Pfarrarchiv und das Musikarchiv, befinden sich nun im zweiten Raum und zwar in neuen, platzsparenden, auf Schienen laufenden Metallschränken. Die Schränke sind nach der Ordnung der Bestände beschriftet: 1. Urkunden, 2. Akten, 3. Prälaturrechnungen, 4. Altbestand, 5. Grundherrschaft, 6. Nachlässe, 7. Pfarrarchiv, 8. Musikalien.

Die Urkunden liegen mit einfachen zusammengefalteten Papierumschlägen versehen in Blechschachteln. Auf den Umschlägen ist das Datum, ein kurzes Regest, die alte Archivnummer nach dem Meindlkatalog sowie die heutige Archivnummmer eingetragen. Letztere geht auf Dr. Franz Linninger zurück, der in den Jahren 1939 bis 1941 die alten Bestände neu geordnet hat. Die Sammlung umfasst 2.121 alte Urkunden. Ab 1578 (Propst Johannes Radlmayr) sind die Urkunden, Akten und Handschriften nach der Regierungszeit der jeweiligen Pröpste in Faszikeln zusammengefasst.Als wertvollste Stücke des Archivs gelten der Psalmenkommentar des Propstes Gerhoch - die „Gerhoch Codices" - aus dem 12. Jahrhundert (9 Bde.; Bd. 3 in der Bayerischen Staatsbibliothek München Clm. 16012, Bd. 5 verschollen), der „Codex traditionum", der unter Propst Gerhoch angelegt und bis gegen Ende des 13. Jahrhunderts weitergeführt wurde, ferner das Promptuarium monasticum" (1420-1467), und der „Liber procurationis" des Schaffers Bartholomäus Hoyer aus der Zeit um 1465.

Als Hilfsmittel stehen zur Verfügung: Archivverzeichnis 1968 von Michael Hammer; Urkundenkatalog 1940 (Regesten) von Franz Linninger; Archivbeschreibung 1939 durch das Linzer Landesarchiv mit einer Aufzählung aller Urkunden, die nicht im UBLOE aufscheinen (Jodok Stülz lagen nur die Urkunden des Prälaturarchivs vor); Verzeichnis der Prälaturakten 1994 (masch.schr.); Archivalien zur Kunsttopographie des Stiftes Reichersberg 1958 von Benno Ulm (masch.schr.); Verzeichnis der noch vorhandenen gebundenen Schriften des ehemaligen Stiftsgerichtes o. J. (masch.schr.); Verzeichnis des Archivs der niederösterreichischen Lehensverwaltung in Pitten 1965 von Rudolf Steuer;

Ansichten und Pläne

Vom mittelalterlichen Kloster Reichersberg existiert keine einzige Abbildung. Zwar ließ Propst Johannes Zörer bald nach dem Brand des Jahres 1624 vom ,,Jungen Maller von Riedt" (Prälaturrechnung 6. August 1624) ein Bild der alten Anlage malen, doch ist dieses, wie so viele andere Gemälde, wahrscheinlich in der Zeit der französisch-bayerischen Administration (1810 bis 1816) vom Stift weggekommen. 1984 versuchten Günther Kleinhanns und Gregor Schauber eine hypothetische Rekonstruktion der alten Stiftsanlage, die sich auf spärliche Angaben alter Quellen und Abbildungen auf zwei alten Landkarten stützt. Von der barocken Anlage sind keinerlei alte Baupläne und Skizzen erhalten. Eine Ausnahme bildet nur der Entwurf für den (in dieser Form nicht ausgeführten) Kirchturm. 1972 hat die Technische Hochschule Wien (Institut für Baukunst und Bauaufnahmen) die gesamte Anlage vermessen und neue Pläne erstellt. An Handzeichnungen existieren drei aquarellierte Federzeichnungen, wahrscheinlich von I. B. Carl aus Passau, 1799 (z. Zt. im Sommerrefektorium). Ferner zwei Aquarelle von Josef Michael Kurzwernhart, 1818. Sie zeigen das Stift von Nordwesten mit einem Schiffszug am Inn und eine Ansicht von Nordosten gegen Obernberg. Das einzige nennenswerte Ölgemälde befindet sich im Pfarrhof zu Pitten (140 x 210 cm) und ist 1734 datiert. Es lehnt sich in der Darstellung bis ins Detail an einen Kupferstich von Ulrich Kraus 1688 an, nur sind hier Bild und Wappen des Propstes Herkulan Kalchgruber eingefügt. Aus etwa derselben Zeit stammt ein Ölbild im Kreuzgang (138 x 107 cm). Es zeigt den Stifter Werner in der alten Chorherrentracht, wie er mit der rechten Hand auf die barocke Anlage weist. Der Kupferstich von Ulrich Kraus von 1688 (46 x 65 cm) ist die früheste Wiedergabe der barocken Klosteranlage. Er zeigt aus der Vogelschau die beiden Höfe; die Kirche hat noch den alten Turm, links oben der Erzengel Michael flankiert von Augustinus sowie Gerhoch und Arnoldus Pius; rechts oben das Bild des Propstes Theobald Antissner (Kupferplatte im Stiftsarchiv). Der bekannte Stich von Michael Wening, München 1721, unterscheidet sich von obigem vor allem durch die Darstellung einer von Carlo Carlone entworfenen, aber nicht zur Ausführung gelangten prunkvollen Prälaturfassade (Historico-Topographica Descriptio, Rentamt Burghausen, Blatt 47). Auch der Kupferstich von I. B. Carl, Passau um 1800, lehnt sich im Motiv an die beiden vorigen Stiche an, nur zeigt er bereits den heutigen, 1774 erbauten Kirchturm. Links vorne ist noch die 1820 abgebrochene Frauenkirche zu sehen, rechts der Meierhof mit dem mittleren Stadel und das Salettl auf der Teichinsel. Zwei Kupferstiche von Beda Weinmann um 1845 zeigen den Stiftshof gegen die Kirche und eine Ansicht mit der alten Säge unterhalb der Stiftskirche.

Sphragistik und Heraldik

Das älteste Siegel des Stiftes stammt nach Konrad Meindl aus dem Jahre 1229. Es ist ein Rundsiegel und zeigt den Erzengel Michael, wie er mit der linken Hand den Teufel niederstößt. Eine Übereinkunft vom 11. Dezember 1227 lässt auf getrennte Siegel von Propst und Konvent schließen. Im Gegensatz dazu scheint sich die Siegelankündigung auf einer Urkunde des Propstes Gerold vom 23. April 1262 auf ein gemeinsames Siegel von Propst und Konvent zu beziehen. Die älteste im Stiftsarchiv original überlieferte Urkunde mit je einem erhaltenen Siegel des Propstes und des Konventes trägt das Datum vom 19. März 1290; es handelt sich um eine Leibgedingsurkunde für Ulrich von Sautern von Propst Konrad 1. von Radeck. Beide Siegel haben eine spitzovale Form, das Konventsiegel zeigt wieder den Klosterpatron St. Michael mit der Umschrift: SIGILLUM CONVENTUS IN REICHERSPERG.

In den folgenden Jahrhunderten fand ein noch an vielen Urkunden vorhandenes Konventsiegel Verwendung. Es ist ein Rundsiegel (Durchmesser 60 mm) und zeigt den Erzengel Michael in halb kniender Stellung, der mit der Rechten den Teufel niederstößt. Die Umschrift lautet: S' MICHAHEL ARCHANGELI COVET IN RICHERSPERG. Das Siegel ist zum ersten Mal auf einer Urkunde aus dem Jahre 1332 vorhanden, zugleich mit dem einzigen Siegel des Frauenklosters (spitzovales Siegel mit Darstellung der sitzenden Muttergottes mit Kind).

Dieses alte Konventsiegel wurde erst in der Barockzeit durch ein kleineres Rundsiegel mit dem Michaelsmotiv (Durchmesser 35 mm) abgelöst, während nun das Siegel des Propstes, offenbar seit der Infulierung 1654, einen größeren Durchmesser erhielt (45 mm). Die Pröpstesiegel haben von Propst Ulrich III. (1297-1301) bis Paul Tellenpeck (1415-1468) eine spitzovale Form mit dem Bild des Erzengels Michael und darunter in einem Schildchen das persönliche Wappen. Seit Bartholomäus Hoyer (1469-1482) besitzt das Siegel der Pröpste eine runde Form. Unterhalb des Erzengels Michael befinden sich nun zwei Schilde: das linke zeigt das Wappen der Plainer, die beiden Reiherflügel, das rechte jeweils das persönliche Wappen. Nach der Infulierung des Propstes Adam Pichler 1654 ändert sich das Siegel. Es zeigt zwei ovale Schilde (Reiherflügel und persönliches Wappen), die von einem Engelskopf mit Mitra und beigefügtem Stab bekrönt werden. Diese Darstellung wurde seither beibehalten und ist auch heute noch auf der Stampiglie des Propstes zu finden. Seit dem 15. Jahrhundert führt das Stift Reichersberg ein Klosterwappen: von Blau und Rot gespalten, belegt mit einem goldenen Flug (zwei Adlerflügel, fälschlich oft Reiherflügel genannt). Dieses Wappenbild wurde meist auf den Schild der Grafen von Plain zurückgeführt, die ein gleiches Wappen führten, aber mit Reichersberg nichts zu tun hatten. In Wirklichkeit ist der „Flug" das heraldische Symbol für den Erzengel Michael, den Patron des Klosters. Daher führen dieses Zeichen auch andere Klöster, die dem heiligen Michael geweiht sind, wie Michaelbeuern (Salzburg) und Weihenstephan (Bayern).

Literatur

Geschichte

  • Bernard Appel: Geschichte des regulirten lateranensischen Chorherrenstiftes des heiligen Augustin zu Reichersberg in Oberösterreich. Linz 1857. (Digitalisat)
  • Dietmar Assmann: Die Doblkapelle zu Reichersberg. In: Oberösterreichische Heimatblätter 27 (1973), S. 81–88.
  • Franz Berger / Gerhoch Weiß: Konrad Meindl, der Geschichtsforscher des Innviertels. Ried im Innkreis 1946.
  • Manfred Brandl: Gedenktage der Diözese Linz. Linz 1986.
  • Peter Classen: Zur Geschichte der Frühscholastik in Österreich und Bayern. In: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung Band 67 (1959), S. 249–277.
  • Peter Classen: Gerhoch von Reichersberg. Eine Biographie. Wiesbaden 1960.
  • Peter Classen: Gerhoch von Reichersberg und die Regularkanoniker in Bayern und Österreich. In: La vita comune del clero nei secoli XI e XII. Atti della Settimana di studio. Teilband 1. Mailand 1960 (Miscellanea del Centro di studi medievali, 3), S. 304–340. (Digitalisat)
  • Heinrich Fichtenau: Studien zu Gerhoch von Reichersberg. In: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 52 (1938), S. 1–56.
  • Roman Foissner: 10 Jahre Bildungszentrum Reichersberg. Festschrift. Reichersberg 1979.
  • Roman Foissner: Die Orgel in der Stiftspfarrkirche zu Reichersberg. In: Orgelzeitung Heft 1, Reichersberg 1980.
  • Roman Foissner: Musisches Reichersberg. In: 25 Jahre Reichersberger Sommer 1956–1981. Hg. vom Bildungszentrum Stift Reichersberg. Reichersberg 1981.
  • Friedrich Hausmann: Die Urkunden der Staufer für das Stift Reichersberg. In: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 68 (1960), S. 98–113.
  • Andreas Huber: Franz Jakob Schwanthaler (1760–1820) und seine Verkündigung von Lambrechten. In: Verhandlungen des Historischen Vereins für Niederbayern Band 109 (1983), S. 33–55.
  • Hans Heimar Jacobs: Studien über Gerhoch von Reichersberg. Zur Geistesgeschichte des 12. Jahrhunderts. In: Zeitschrift für Kirchengeschichte 50 (1931), S. 315–377.
  • Sabine John: Das Augustiner Chorherrenstift Reichersberg am Inn in Gegenreformation, Barock und Aufklärung. Teil 1. Dipl.-Arb. Univ. München. München 1979.
  • Helga Litschel (Bearb.): 900 Jahre Augustiner-Chorherrenstift Reichersberg. Linz 1983.
    • Wilhelm Störner: Gründungs- und Frühgeschichte des Stiftes Reichersberg am Inn, S. 23–42.
    • Siegfried Haider: Stift Reichersberg zwischen Blüte und Reform (1169–1495), S. 84–105.
    • Kurt Holter: Mittelalterliche Buchkunst in Reichersberg, S. 295–216.
    • Benno Ulm: Zum Kunstschaffen im Stift Reichersberg, S. 250–296.
  • Günther Kleinhanns: Die Stiftsbauten von Ranshofen, Reichersberg und Suben. In: Oberösterreichische Heimatblätter 2 (1984), S. 172–200.
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  • Michael Mayr: Cardinal Commendones Kloster- und Kirchen-Visitation von 1569 in den Diöcesen Passau und Salzburg. Nebst den Original-Protokollen. In: Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 14 (1893), S. 385–398, 567–589.
  • Konrad Meindl: Die Schicksale des Stiftes Reichersberg vom Antritte der Regierung des Propstes Ambros Kreuzmayr bis zum Tode des Propstes Petrus Schmid 1770–1882. Eine Festgabe zur Priester-Jubelfeier des Propstes Bartholomäus Pflanzl. Passau 1873. (Digitalisat)
  • Konrad Meindl: Die Vereinigung des Innviertels mit Österreich infolge des Friedensschlusses zu Teschen am 13. Mai 1779. Eine geschichtliche Reminiscenz zur hundertjährigen Jubelfeier, seinen Landsleuten gewidmet. Linz 1879. (Digitalisat)
  • Konrad Meindl: Bartholomaei Hoyer dicti Schirmer, cellerarii 1462–1469, Registrum procurationis rei domesticae pro familia Reichersperg. In: Archiv für österreichische Geschichte 61 (1880), S. 33–88.
  • Konrad Meindl: Die Grabmonumente des Chorherrnstiftes Reichersberg am Inn. In: Berichte und Mittheilungen des Althertums-Vereines zu Wien 21 (1882), S. 28–51.
  • Konrad Meindl: Catalogus omnium canonicorum regularium Reichersbergensium a prima fundatione usque ad annum jubilaei 1884 e documentis fide dignis conscriptus. Linz 1884.
  • Konrad Meindl: Kurze Geschichte des Regulierten Chorherren-Stiftes Reichersberg am Inn. München 1902.
  • Konrad Meindl: 100 jährige Wiederkehr der Wiedererrichtung des Stiftes Reichersberg. In: Beilage zur Oberösterreichischen Volkszeitung 48, 1. und 7. Dezember 1916.
  • Erich Meuthen: Kirche und Heilsgeschichte bei Gerhoch von Reichersberg. Leiden / Köln 1959 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters, 4). (Digitalisat)
  • Ludwig Miretinsky: Wirtschaftsgeschichte des regulierten Chorherrenstiftes Reichersberg am Inn (1084/1860). Diss. Univ. Wien. Wien 1925.
  • Bernhard Franz Mitter: Die Reichersberger Chorherren in der Pittener Waldmark. Wien 1950.
  • Gabriela Neu: Der spätbarocke Bibliothekssaal des Augustiner-Chorherrenstiftes Reichersberg am Inn. Mag.-Arb. Univ. Freiburg. Freiburg im Breisgau 1987.
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    • Floridus Röhrig: Die Brüder Gerhochs in Klosterneuburg, S. 93–99.
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    • Wilhelm Gregor Schauber: Die Augustiner-Chorfrauen, S. 121–126.
  • Gerhoch Weiß: Katalog der reg. lat. Chorherren des Stiftes Reichersberg am Inn, 1884–1946. Ried im Innkreis 1947.
  • Gerhoch Weiß: Das Chorherrenstift Reichersberg am Inn 1084–1934. Ried im Innkreis 1934.
  • Otto Wutzel (Hg.): Die Bildhauerfamilie Schwanthaler 1633-1848. Vom Barock zum Klassizismus. Katalog der Ausstellung des Landes Oberösterreich. Reichersberg am Inn 1974.
  • Rudolf Zinnhobler: Die kirchliche Gliederung im Innviertel von 1643 bis 1850. In: Historische Dokumentation zur Eingliederung des Innviertels im Jahre 1779. Katalog zur Sonderausstellung in Ried im Innkreis. Linz 1979, S. 141–151.
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