Sacra.Wiki Stift Klosterneuburg: Unterschied zwischen den Versionen

Stift Klosterneuburg: Unterschied zwischen den Versionen

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==Geschichtlicher Überblick==
===Die Gründung des weltlichen Kollegiatstiftes===
Um das Jahr 50 n. Chr. errichteten die Römer an der Stelle des heutigen Stiftes ein Kastell, das an diesem strategisch wichtigen Punkt den Übergang über die Donau sichern sollte. Es war der westlichste militärische Stützpunkt in der Provinz Oberpannonien, doch leider konnte bis heute sein Name nicht eindeutig geklärt werden. Ursprünglich waren die Gebäude aus Holz. Wie in anderen Grenzkastellen wurden die hölzernen Bau- ten am Anfang des 2. Jahrhunderts durch Steinbauten ersetzt. Während des 5. Jahrhunderts wurde das Kastell wie die ganze Provinz von den römischen Truppen geräumt. Erst im 11. Jahrhundert setzte wieder eine kontinuierliche Besiedlung ein, die "Neuburg" genannt wurde, im Gegensatz zur "Alten Burg", den Ruinen des Römerkastells (Burg und Stadt sind in dieser Zeit als Synonyme anzusehen). Etwa 2 km donauaufwärts bestand schon seit dem frühen 9. Jahrhundert eine Ufersiedlung um die Kirche St. Martin.
In der Mark Österreich hatte seit 976 das Geschlecht der "Babenberger" das Amt der Markgrafen inne. Ihre Aufgabe war, die Grenze nach dem Sieg über die Magyaren (955) nicht nur zu sichern, sondern auch weiter nach Osten vorzuschieben. Dementsprechend verlegten die Markgrafen ihren Sitz von Pöchlarn, dem ursprünglichen Herrschaftszentrum, weiter nach Melk, dann Gars am Kamp (gegen die Slawen), Tulln, und schließlich ließ sich Markgraf Leopold III. in Neuburg nieder.
Leopold III. war durch die Heirat mit Agnes, der Tochter Kaiser Heinrichs IV. und Schwester Heinrichs V., in die Reihe der vornehmsten Reichsfürsten aufgestiegen. Da Agnes in erster Ehe mit Herzog Friedrich von Schwaben, dem ersten Staufer, verheiratet gewesen war, kam noch die Versippung mit diesem zukunftsträchtigen Geschlecht hinzu. Agnes brachte aber nicht nur hohes Ansehen, sondern auch reiche materielle Mittel mit in die Mark, so dass ihr Gatte in der Lage war, seine neu gewonnene Stellung sichtbar zu dokumentieren. Dazu sollte nicht nur ein neues, prächtiges Wohngebäude, sondern auch ein Stift für weltliche Kanoniker dienen.
Über die Gründung dieses Stiftes berichtet eine bekannte Legende. Demnach habe Leopold an der Stelle, an der er auf der Jagd den verlorenen Schleier seiner Gattin nach neun Jahren wiedergefunden habe, das Stift Neuburg errichtet. Das entspricht nicht der historischen Wirklichkeit, wenngleich die Legende für den mittelalterlichen Menschen schon einen Aussagewert hatte, der hier nicht zur Diskussion steht.
Jedenfalls fand Leopold hier schon mindestens zwei Kirchen im Bereich des ehemaligen römischen Kastells vor: die bereits 1108 urkundlich überlieferte Marienkirche und die St.-Afra-Kapelle, dazu noch die ziemlich bescheidene Burg des Stadtherrn (als solcher ist ein Graf Walther von Chling bezeugt). Ander Stelle dieses "festen Hauses" baute nun Leopold, als er seinen Sitz in Neuburg aufschlug, ein prächtiges Gebäude, dass in Größe und Anlage dem Palas der Wartburg, der Burg von Meißen und anderer fürstlicher Residenzen entsprach. Heute ist in dem mehrfach umgebauten Trakt das Stiftsarchiv untergebracht.
Um das Jahr 1113 zog Leopold III. nach Neuburg, und ein Jahr später gründete er das zur Residenz gehörige Kollegiatstift Am 12. Juni 1114 wurde der Grundstein zur neuen Stiftskirche gelegt, die die größte Kirche des Landes werden sollte. Auch die Gründung des weltlichen Kollegiatstiftes war ein Prestigeprojekt Ein geistliches Kollegium gehörte zur Hofhaltung eines mächtigen Fürsten. Übrigens existierte auch in Lorch an der Rems, wo Leopolds Gattin als Herzogin von Schwaben residiert hatte, ein Kollegiatstift für zwölf Kanoniker und einen Propst. Es entsprach also den Gepflogenheiten der Zeit, ein solches Stift zu errichten, und auch in Neuburg lebten ein Propst und zwölf Kanoniker. Nach dem Tode des ersten Propstes Otto um das Jahr 1126 – er war zugleich Pfarrer von Falkenstein – setzte der Markgraf seinen begabtesten Sohn Otto zum Nachfolger ein und sandte ihn mit großem adeligen Gefolge (vermutlich jenen 15 Jünglingen, die später mit ihm ins Kloster Marimond eintraten) zum Studium der Theologie nach Paris. Das war für den Propst eines Kollegiatstiftes damals ein ungewöhnlicher Aufwand und lässt vermuten, dass der Markgraf seinen Sohn zum Bischofsamt ausersehen hatte und Neuburg zum Bischofssitz machen wollte. Darauf deutet auch die reiche Besitzausstattung des Stiftes hin und die Monumentalität der Stiftskirche, die durchaus das Format einer Bischofskathedrale hat.
Auf Grund des Eigenkirchenrechts hätte Markgraf Leopold wohl die Möglichkeit gehabt, ein solches Landesbistum an seinem Regierungssitz zu errichten, und für das kirchliche Leben im Lande wäre es auch sehr förderlich gewesen, denn der Diözesanbischof (Passau) und der Metropolit (Salzburg) saßen weit in der Ferne. Aber diese Bischöfe sahen die kirchenpolitischen Pläne des Markgrafen mit tiefem Misstrauen. Als daher der junge, in Frankreich studierende Prinz Otto 1132 überraschend samt seinen 15 Gefährten in das strenge Zisterzienserkloster Marimond eintrat und damit die Pläne seines Vaters durchkreuzte, sahen die Bischöfe ihre Stunde gekommen. Erzbischof Konrad von Salzburg, Bischof Reginmar von Passau und Bischof Roman von Gurk hielten gemeinsam mit anderen Klerikern in Neuburg eine kleine Synode. Und es gelang ihnen – sicherlich mit massiver Unterstützung des nunmehrigen Zisterziensermönches Otto – den Markgrafen zur Aufgabe seiner kirchenpolitischen Pläne zu bewegen. Leopold entließ die weltlichen Kanoniker samt ihrem Propst Opold, der schon während der Abwesenheit des jungen Otto als dessen Vikar fungiert hatte, und stattete sie mit anderen Pfründen aus. Neuburg sollte ein Kloster von Augustiner-Chorherren werden. Damit verzichtete er auf seine Eigenkirchenrechte, denn die Regularkanoniker unterstanden grundsätzlich immer dem Diözesanbischof. In der Lebensbeschreibung Leopolds, dem "Chronicon pii marchionis", heißt es, dass der Markgraf die weltlichen Kanoniker entlassen habe, weil sie ihm den Gottesdienst unachtsam und allzu nachlässig zu versehen schienen. Das ist kaum wörtlich zu verstehen, sondern ist ein Topos oder Gemeinplatz, wie man ihn häufig in mittelalterlichen Texten zur Begründung einer Regeländerung oder Reform lesen kann. Übrigens hat Otto seinen Vater im selben Jahr dazu veranlasst, in Heiligenkreuz auch ein Kloster seines eigenen, des Zisterzienserordens, zu gründen.
Eine zweite Ursache dürfte auch eine gewisse Rolle spielen. Wir wissen, dass die in Augsburg ansässigen Grafen von Cham und Vohburg, deren letzter Spross Bischof Hermann von Augsburg (1096–1133) war, gewisse Rechte in Neuburg besaßen. Darauf deutet die schon länger bestehende Afrakapelle hin (die heilige Afra war Patronin von Augsburg). Als Bischof Hermann 1108 im Gefolge Heinrichs V. durch Neuburg zog, fand er hier ihm untertänige Zinsleute vor, die er der hiesigen Marienkirche übereignete. Bischof Hermann, der lange von den Anhängern der Kirchenreform bekämpft worden war, starb am 11. März 1133. Das könnte dazu beigetragen haben, dass in Neuburg der Weg für die Reform frei wurde.
===Der Einzug der Augustiner-Chorherren===
Die Einführung der Regularkanoniker entsprach dem Reformprogramm des Salzburger Erzbischofs Konrad. Die Augustiner-Chorherren sollten geistliche Stützpunkte im Land aufbauen, um die Seelsorge im Geist der Kirchenreform zu betreiben und zugleich Bollwerke der rechtmäßigen Kirche zu bilden. Angesichts der im Hochmittelalter häufigen Spaltungen war das ein wichtiger Aspekt.
Die Bischöfe schlugen dem Markgrafen auch gleich den Mann vor, der das reformierte Kloster Ieiten sollte: Hartmann, den bisherigen Propst von Chiemsee. Dieser war ein hervorragender Exponent des Salzburger Reformkreises und hatte schon Erfahrung im Reformieren von Konventen. Er hatte 1122 im Salzburger Domkapitel als Dekan die Augustinusregel eingeführt und leitete seit 1129 das Chorherrenstift Chiemsee. Er zog mit einer ausgewählten Mannschaft in Neuburg ein, die aus verschiedenen Konventen stammte. Man nennt St. Nikola, Chiemsee, Rottenbuch und das Salzburger Domkapitel. Als eigentliches Mutterkloster betrachtete man in Neuburg immer das Stift St. Nikola bei Passau, das 1067 von Bischof Altmann von Passau gegründet worden war.
Es war, wie gesagt, eine ausgesuchte Mannschaft, unter der sich bedeutende Persönlichkeiten befanden. Zwei Brüder des berühmten Propstes Gerhoch von Reichersberg waren dabei, Marquard und Rudiger, beide versierte, in Paris geschulte Theologen, und beide wurden später nacheinander Propst. Mit dem Einzug der Regularkanoniker wurde Neuburg schlagartig zu einem theologischen Zentrum von hohem Niveau, wovon mehrere literarische Arbeiten der Konventualen zeugen. Außerdem war das Stift tatsächlich durch Jahrhunderte ein unerschütterlicher Stützpunkt streng kirchlichen Geistes und in allen Spaltungen ein treuer Parteigänger des römischen Papstes.
Markgraf Leopold, der offenbar noch immer kirchenpolitische Ambitionen hatte, trug Hartmann seine Eigenpfarren zur Inkorporation an. Das war an sich im Sinne der Kirchenreform, denn die Kanoniker sollten ja in der Pfarrseelsorge tätig sein und dem Eigenkirchenwesen entgegenwirken. Mit den 13 landesfürstlichen Pfarren hatte es aber eine eigene Bewandtnis, denn sie scheinen auf kirchenrechtlich nicht ganz einwandfreie Weise in den Besitz des Markgrafen bzw. dessen Vaters Leopold II. gekommen zu sein. Daher verweigerte Propst Hartmann die Annahme dieser Pfarren und übernahm nur die Pfarre Klosterneuburg für sein Stift. Im Greifensteiner Zehentvertrag vom September 1135 übertrug Markgraf Leopold dem Bischof von Passau den Zehent der übrigen zwölf Pfarren, und für Klosterneuburg entschädigte er ihn durch anderweitigen Besitz.
Das "Chronicon pii marchionis" berichtet, daßss Propst Hartmann dem Kloster eigene Statuten gegeben habe, die mit folgenden Worten beginnen: Sub testimonio Christi et ecclesiae. Diese Statuten sind leider nicht erhalten, was darauf schließen lässt, dass sie nicht allzu lange gültig waren. Später galten in Klosterneuburg wie in fast allen süddeutschen Chorherrenstiften die Statuten des Stiftes Marbach im Elsass. Durch eine Bulle vom 30. März 1134 verlieh Innozenz II. dem Stift den päpstlichen Schutz.
Am 29. September 1136 wurde die Stiftskirche geweiht, nachdem ihr Innenraum fertiggestellt worden war (das gewaltig geplante Westwerk konnte nur zum Teil ausgeführt werden). Dieselben Bischöfe, die drei Jahre zuvor die Reform des Stiftes durchgesetzt hatten, nahmen nun die feierliche Weihe vor: Konrad von Salzburg, Regjnmar von Passau und Roman von Gurk. Markgraf Leopold konnte sich nicht lange an dem prächtigen Kirchenraum freuen, denn er starb schon wenige Wochen später am 15. November 1136. Er wurde im Kapitelsaal in einer Gruft beigesetzt, und die Grabstätte des "milden Markgrafen", wie er schon zu Lebzeiten genannt wurde, erfreute sich bald eines regen Zustroms von Wallfahrern, die ihn als Heiligen verehrten. Bis zur offiziellen Heiligsprechung sollten aber noch Jahrhunderte vergehen.
Mit dem Tod Leopolds III. erlosch Klosterneuburgs Funktion als Herrschersitz. Die Witwe Agnes wohnte zwar weiterhin hier bis zu ihrem Tod am 24. September 1143 und wurde an der Seite ihres Gatten bestattet. Aber Leopolds Söhne schlugen ihre Residenzen anderswo auf: Leopold IV. zog als Herzog von Bayern nach Regensburg, und Heinrich II, der erste Herzog von Österreich, machte Wien zur Hauptstadt des Landes, was sein Vater schon vorbereitet hatte.
Das Kloster hatte nun seinen mächtigen Beschützer verloren, was zu gewissen Sorgen Anlass gab. Papst Innozenz Il., der schon am 8. Januar 1137 der Witwe Agnes in einem ausführlichen Schreiben Trost über den Tod ihres Gatten gespendet hatte, schrieb neuerlich am 11. April desselben Jahres an die Markgräfin und empfahl das Stift Neuburg und dessen Propst Hartmann ihrer besonderen Fürsorge. Am 30. November 1137 nahm er das Stift in einer feierlichen Urkunde neuerlich unter päpstlichen Schutz. Auch Bischof Reginmar von Passau erneuerte im selben Jahr alle Privilegien des Stiftes. Man scheint also wirklich mit dem Tod des Stifters Befürchtungen für die Zukunft verbunden zu haben und wollte sich absichern.
Die Persönlichkeit des angesehenen Propstes Hartmann bot überdies eine gewisse Sicherheit. Als aber Hartmann Ende 1140 zum Bischof von Brixen ernannt wurde, sorgte sich das Stift neuerlich um seine Zukunft und um das Recht der freien Propstwahl. Deshalb wurde Anfang 1141 eine Stiftungsurkunde Leopolds III. hergestellt, die zwar inhaltlich zweifellos richtig, formal aber eine Fälschung war. Hier werden die Rechte des Stiftes und des nach der Regel des heiligen Augustinus lebenden Konvents besonders hervorgehoben. Ob diese Urkunde die Ursache war oder ob sich der schon gefestigte Konvent aus eigenen Kräften behaupten konnte, ist nicht wesentlich. Er nahm auf jeden Fall eine sehr positive Entwicklung.
Wie gefestigt der ursprünglich zusammengewürfelte Neuburger Konventbereits war, geht schon daraus hervor, dass Bischof Hartmann das von ihm 1142 in der Nähe seiner Bischofsstadt Brixen gegründete Kloster Neustift mit Chorherren aus Klosterneuburg besetzen konnte. Hartmann starb am 23. Dezember 1164 in Brixen im Ruf der Heiligkeit. Da er in Brixen begraben wurde, hat sich in Klosterneuburg kein Kult für ihn entwickelt. Hier wurde einzig der Stifter Leopold III. als Heiliger verehrt.

Version vom 24. April 2020, 10:42 Uhr



Geschichtlicher Überblick

Die Gründung des weltlichen Kollegiatstiftes

Um das Jahr 50 n. Chr. errichteten die Römer an der Stelle des heutigen Stiftes ein Kastell, das an diesem strategisch wichtigen Punkt den Übergang über die Donau sichern sollte. Es war der westlichste militärische Stützpunkt in der Provinz Oberpannonien, doch leider konnte bis heute sein Name nicht eindeutig geklärt werden. Ursprünglich waren die Gebäude aus Holz. Wie in anderen Grenzkastellen wurden die hölzernen Bau- ten am Anfang des 2. Jahrhunderts durch Steinbauten ersetzt. Während des 5. Jahrhunderts wurde das Kastell wie die ganze Provinz von den römischen Truppen geräumt. Erst im 11. Jahrhundert setzte wieder eine kontinuierliche Besiedlung ein, die "Neuburg" genannt wurde, im Gegensatz zur "Alten Burg", den Ruinen des Römerkastells (Burg und Stadt sind in dieser Zeit als Synonyme anzusehen). Etwa 2 km donauaufwärts bestand schon seit dem frühen 9. Jahrhundert eine Ufersiedlung um die Kirche St. Martin. In der Mark Österreich hatte seit 976 das Geschlecht der "Babenberger" das Amt der Markgrafen inne. Ihre Aufgabe war, die Grenze nach dem Sieg über die Magyaren (955) nicht nur zu sichern, sondern auch weiter nach Osten vorzuschieben. Dementsprechend verlegten die Markgrafen ihren Sitz von Pöchlarn, dem ursprünglichen Herrschaftszentrum, weiter nach Melk, dann Gars am Kamp (gegen die Slawen), Tulln, und schließlich ließ sich Markgraf Leopold III. in Neuburg nieder. Leopold III. war durch die Heirat mit Agnes, der Tochter Kaiser Heinrichs IV. und Schwester Heinrichs V., in die Reihe der vornehmsten Reichsfürsten aufgestiegen. Da Agnes in erster Ehe mit Herzog Friedrich von Schwaben, dem ersten Staufer, verheiratet gewesen war, kam noch die Versippung mit diesem zukunftsträchtigen Geschlecht hinzu. Agnes brachte aber nicht nur hohes Ansehen, sondern auch reiche materielle Mittel mit in die Mark, so dass ihr Gatte in der Lage war, seine neu gewonnene Stellung sichtbar zu dokumentieren. Dazu sollte nicht nur ein neues, prächtiges Wohngebäude, sondern auch ein Stift für weltliche Kanoniker dienen. Über die Gründung dieses Stiftes berichtet eine bekannte Legende. Demnach habe Leopold an der Stelle, an der er auf der Jagd den verlorenen Schleier seiner Gattin nach neun Jahren wiedergefunden habe, das Stift Neuburg errichtet. Das entspricht nicht der historischen Wirklichkeit, wenngleich die Legende für den mittelalterlichen Menschen schon einen Aussagewert hatte, der hier nicht zur Diskussion steht. Jedenfalls fand Leopold hier schon mindestens zwei Kirchen im Bereich des ehemaligen römischen Kastells vor: die bereits 1108 urkundlich überlieferte Marienkirche und die St.-Afra-Kapelle, dazu noch die ziemlich bescheidene Burg des Stadtherrn (als solcher ist ein Graf Walther von Chling bezeugt). Ander Stelle dieses "festen Hauses" baute nun Leopold, als er seinen Sitz in Neuburg aufschlug, ein prächtiges Gebäude, dass in Größe und Anlage dem Palas der Wartburg, der Burg von Meißen und anderer fürstlicher Residenzen entsprach. Heute ist in dem mehrfach umgebauten Trakt das Stiftsarchiv untergebracht. Um das Jahr 1113 zog Leopold III. nach Neuburg, und ein Jahr später gründete er das zur Residenz gehörige Kollegiatstift Am 12. Juni 1114 wurde der Grundstein zur neuen Stiftskirche gelegt, die die größte Kirche des Landes werden sollte. Auch die Gründung des weltlichen Kollegiatstiftes war ein Prestigeprojekt Ein geistliches Kollegium gehörte zur Hofhaltung eines mächtigen Fürsten. Übrigens existierte auch in Lorch an der Rems, wo Leopolds Gattin als Herzogin von Schwaben residiert hatte, ein Kollegiatstift für zwölf Kanoniker und einen Propst. Es entsprach also den Gepflogenheiten der Zeit, ein solches Stift zu errichten, und auch in Neuburg lebten ein Propst und zwölf Kanoniker. Nach dem Tode des ersten Propstes Otto um das Jahr 1126 – er war zugleich Pfarrer von Falkenstein – setzte der Markgraf seinen begabtesten Sohn Otto zum Nachfolger ein und sandte ihn mit großem adeligen Gefolge (vermutlich jenen 15 Jünglingen, die später mit ihm ins Kloster Marimond eintraten) zum Studium der Theologie nach Paris. Das war für den Propst eines Kollegiatstiftes damals ein ungewöhnlicher Aufwand und lässt vermuten, dass der Markgraf seinen Sohn zum Bischofsamt ausersehen hatte und Neuburg zum Bischofssitz machen wollte. Darauf deutet auch die reiche Besitzausstattung des Stiftes hin und die Monumentalität der Stiftskirche, die durchaus das Format einer Bischofskathedrale hat. Auf Grund des Eigenkirchenrechts hätte Markgraf Leopold wohl die Möglichkeit gehabt, ein solches Landesbistum an seinem Regierungssitz zu errichten, und für das kirchliche Leben im Lande wäre es auch sehr förderlich gewesen, denn der Diözesanbischof (Passau) und der Metropolit (Salzburg) saßen weit in der Ferne. Aber diese Bischöfe sahen die kirchenpolitischen Pläne des Markgrafen mit tiefem Misstrauen. Als daher der junge, in Frankreich studierende Prinz Otto 1132 überraschend samt seinen 15 Gefährten in das strenge Zisterzienserkloster Marimond eintrat und damit die Pläne seines Vaters durchkreuzte, sahen die Bischöfe ihre Stunde gekommen. Erzbischof Konrad von Salzburg, Bischof Reginmar von Passau und Bischof Roman von Gurk hielten gemeinsam mit anderen Klerikern in Neuburg eine kleine Synode. Und es gelang ihnen – sicherlich mit massiver Unterstützung des nunmehrigen Zisterziensermönches Otto – den Markgrafen zur Aufgabe seiner kirchenpolitischen Pläne zu bewegen. Leopold entließ die weltlichen Kanoniker samt ihrem Propst Opold, der schon während der Abwesenheit des jungen Otto als dessen Vikar fungiert hatte, und stattete sie mit anderen Pfründen aus. Neuburg sollte ein Kloster von Augustiner-Chorherren werden. Damit verzichtete er auf seine Eigenkirchenrechte, denn die Regularkanoniker unterstanden grundsätzlich immer dem Diözesanbischof. In der Lebensbeschreibung Leopolds, dem "Chronicon pii marchionis", heißt es, dass der Markgraf die weltlichen Kanoniker entlassen habe, weil sie ihm den Gottesdienst unachtsam und allzu nachlässig zu versehen schienen. Das ist kaum wörtlich zu verstehen, sondern ist ein Topos oder Gemeinplatz, wie man ihn häufig in mittelalterlichen Texten zur Begründung einer Regeländerung oder Reform lesen kann. Übrigens hat Otto seinen Vater im selben Jahr dazu veranlasst, in Heiligenkreuz auch ein Kloster seines eigenen, des Zisterzienserordens, zu gründen. Eine zweite Ursache dürfte auch eine gewisse Rolle spielen. Wir wissen, dass die in Augsburg ansässigen Grafen von Cham und Vohburg, deren letzter Spross Bischof Hermann von Augsburg (1096–1133) war, gewisse Rechte in Neuburg besaßen. Darauf deutet die schon länger bestehende Afrakapelle hin (die heilige Afra war Patronin von Augsburg). Als Bischof Hermann 1108 im Gefolge Heinrichs V. durch Neuburg zog, fand er hier ihm untertänige Zinsleute vor, die er der hiesigen Marienkirche übereignete. Bischof Hermann, der lange von den Anhängern der Kirchenreform bekämpft worden war, starb am 11. März 1133. Das könnte dazu beigetragen haben, dass in Neuburg der Weg für die Reform frei wurde.


Der Einzug der Augustiner-Chorherren

Die Einführung der Regularkanoniker entsprach dem Reformprogramm des Salzburger Erzbischofs Konrad. Die Augustiner-Chorherren sollten geistliche Stützpunkte im Land aufbauen, um die Seelsorge im Geist der Kirchenreform zu betreiben und zugleich Bollwerke der rechtmäßigen Kirche zu bilden. Angesichts der im Hochmittelalter häufigen Spaltungen war das ein wichtiger Aspekt. Die Bischöfe schlugen dem Markgrafen auch gleich den Mann vor, der das reformierte Kloster Ieiten sollte: Hartmann, den bisherigen Propst von Chiemsee. Dieser war ein hervorragender Exponent des Salzburger Reformkreises und hatte schon Erfahrung im Reformieren von Konventen. Er hatte 1122 im Salzburger Domkapitel als Dekan die Augustinusregel eingeführt und leitete seit 1129 das Chorherrenstift Chiemsee. Er zog mit einer ausgewählten Mannschaft in Neuburg ein, die aus verschiedenen Konventen stammte. Man nennt St. Nikola, Chiemsee, Rottenbuch und das Salzburger Domkapitel. Als eigentliches Mutterkloster betrachtete man in Neuburg immer das Stift St. Nikola bei Passau, das 1067 von Bischof Altmann von Passau gegründet worden war. Es war, wie gesagt, eine ausgesuchte Mannschaft, unter der sich bedeutende Persönlichkeiten befanden. Zwei Brüder des berühmten Propstes Gerhoch von Reichersberg waren dabei, Marquard und Rudiger, beide versierte, in Paris geschulte Theologen, und beide wurden später nacheinander Propst. Mit dem Einzug der Regularkanoniker wurde Neuburg schlagartig zu einem theologischen Zentrum von hohem Niveau, wovon mehrere literarische Arbeiten der Konventualen zeugen. Außerdem war das Stift tatsächlich durch Jahrhunderte ein unerschütterlicher Stützpunkt streng kirchlichen Geistes und in allen Spaltungen ein treuer Parteigänger des römischen Papstes. Markgraf Leopold, der offenbar noch immer kirchenpolitische Ambitionen hatte, trug Hartmann seine Eigenpfarren zur Inkorporation an. Das war an sich im Sinne der Kirchenreform, denn die Kanoniker sollten ja in der Pfarrseelsorge tätig sein und dem Eigenkirchenwesen entgegenwirken. Mit den 13 landesfürstlichen Pfarren hatte es aber eine eigene Bewandtnis, denn sie scheinen auf kirchenrechtlich nicht ganz einwandfreie Weise in den Besitz des Markgrafen bzw. dessen Vaters Leopold II. gekommen zu sein. Daher verweigerte Propst Hartmann die Annahme dieser Pfarren und übernahm nur die Pfarre Klosterneuburg für sein Stift. Im Greifensteiner Zehentvertrag vom September 1135 übertrug Markgraf Leopold dem Bischof von Passau den Zehent der übrigen zwölf Pfarren, und für Klosterneuburg entschädigte er ihn durch anderweitigen Besitz. Das "Chronicon pii marchionis" berichtet, daßss Propst Hartmann dem Kloster eigene Statuten gegeben habe, die mit folgenden Worten beginnen: Sub testimonio Christi et ecclesiae. Diese Statuten sind leider nicht erhalten, was darauf schließen lässt, dass sie nicht allzu lange gültig waren. Später galten in Klosterneuburg wie in fast allen süddeutschen Chorherrenstiften die Statuten des Stiftes Marbach im Elsass. Durch eine Bulle vom 30. März 1134 verlieh Innozenz II. dem Stift den päpstlichen Schutz. Am 29. September 1136 wurde die Stiftskirche geweiht, nachdem ihr Innenraum fertiggestellt worden war (das gewaltig geplante Westwerk konnte nur zum Teil ausgeführt werden). Dieselben Bischöfe, die drei Jahre zuvor die Reform des Stiftes durchgesetzt hatten, nahmen nun die feierliche Weihe vor: Konrad von Salzburg, Regjnmar von Passau und Roman von Gurk. Markgraf Leopold konnte sich nicht lange an dem prächtigen Kirchenraum freuen, denn er starb schon wenige Wochen später am 15. November 1136. Er wurde im Kapitelsaal in einer Gruft beigesetzt, und die Grabstätte des "milden Markgrafen", wie er schon zu Lebzeiten genannt wurde, erfreute sich bald eines regen Zustroms von Wallfahrern, die ihn als Heiligen verehrten. Bis zur offiziellen Heiligsprechung sollten aber noch Jahrhunderte vergehen. Mit dem Tod Leopolds III. erlosch Klosterneuburgs Funktion als Herrschersitz. Die Witwe Agnes wohnte zwar weiterhin hier bis zu ihrem Tod am 24. September 1143 und wurde an der Seite ihres Gatten bestattet. Aber Leopolds Söhne schlugen ihre Residenzen anderswo auf: Leopold IV. zog als Herzog von Bayern nach Regensburg, und Heinrich II, der erste Herzog von Österreich, machte Wien zur Hauptstadt des Landes, was sein Vater schon vorbereitet hatte. Das Kloster hatte nun seinen mächtigen Beschützer verloren, was zu gewissen Sorgen Anlass gab. Papst Innozenz Il., der schon am 8. Januar 1137 der Witwe Agnes in einem ausführlichen Schreiben Trost über den Tod ihres Gatten gespendet hatte, schrieb neuerlich am 11. April desselben Jahres an die Markgräfin und empfahl das Stift Neuburg und dessen Propst Hartmann ihrer besonderen Fürsorge. Am 30. November 1137 nahm er das Stift in einer feierlichen Urkunde neuerlich unter päpstlichen Schutz. Auch Bischof Reginmar von Passau erneuerte im selben Jahr alle Privilegien des Stiftes. Man scheint also wirklich mit dem Tod des Stifters Befürchtungen für die Zukunft verbunden zu haben und wollte sich absichern. Die Persönlichkeit des angesehenen Propstes Hartmann bot überdies eine gewisse Sicherheit. Als aber Hartmann Ende 1140 zum Bischof von Brixen ernannt wurde, sorgte sich das Stift neuerlich um seine Zukunft und um das Recht der freien Propstwahl. Deshalb wurde Anfang 1141 eine Stiftungsurkunde Leopolds III. hergestellt, die zwar inhaltlich zweifellos richtig, formal aber eine Fälschung war. Hier werden die Rechte des Stiftes und des nach der Regel des heiligen Augustinus lebenden Konvents besonders hervorgehoben. Ob diese Urkunde die Ursache war oder ob sich der schon gefestigte Konvent aus eigenen Kräften behaupten konnte, ist nicht wesentlich. Er nahm auf jeden Fall eine sehr positive Entwicklung. Wie gefestigt der ursprünglich zusammengewürfelte Neuburger Konventbereits war, geht schon daraus hervor, dass Bischof Hartmann das von ihm 1142 in der Nähe seiner Bischofsstadt Brixen gegründete Kloster Neustift mit Chorherren aus Klosterneuburg besetzen konnte. Hartmann starb am 23. Dezember 1164 in Brixen im Ruf der Heiligkeit. Da er in Brixen begraben wurde, hat sich in Klosterneuburg kein Kult für ihn entwickelt. Hier wurde einzig der Stifter Leopold III. als Heiliger verehrt.

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